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Bildrechte: Die Fotos der Vorfahren

Vor gut 170 Jahren ließ ein rassistischer Naturforscher afroamerikanische Sklaven fotografieren, um die Unterlegenheit einer schwarzen Rasse zu belegen, und überließ die Bilder am Ende der Harvard University. Nun prozessiert eine mutmaßliche Nachfahrin (in fünfter Generation) eines der Porträtierten gegen die Universität, aber welche Rechtsgüter sind hier überhaupt strittig?

Bildrechte: Die Fotos der Vorfahren
Renty „Taylor“, geboren um 1775 im Gebiet des Kongo und später in die Sklaverei verschleppt, hier in einem Porträtfoto vom März 1850. Sein tatsächlicher Name ist unbekannt; „Taylor“ wurde er nach den damaligen Gepflogenheiten genannt, weil das der Name seines Besitzers war.

Louis Agassiz, der 1807 in der Schweiz geboren wurde, in Erlangen und München studierte und 1847 in die USA auswanderte, um in Harvard eine Professur für Zoologie und Geologie anzutreten, war ein Rassist. Er war von der schon damals überholten These überzeugt, es gäbe verschiedene Menschenrassen, die unabhängig voneinander entstanden und folglich nicht miteinander verwandt seien. Und er ging davon aus, dass die im Afrika beheimatete schwarze Rasse der weißen von Natur aus unterlegen sei, womit die Sklaverei gerechtfertigt wäre. Um seine Position zu belegen – nach welchen Kriterien auch immer –, suchte er „rassisch reine“ Afrikaner unter den Sklaven in den USA und ließ sie durch den Fotografen J. T. Zealy porträtieren. An seinem Lebensende 1873 waren 15 solcher Daguerreotypien in seinem Besitz, die er seiner Universität vermachte. Dort gerieten sie zunächst in Vergessenheit, bis sie mehr als hundert Jahre später wiederentdeckt und die Namen der Abgebildeten ermittelt wurden, unter anderem Renty Taylor und dessen Tochter Delia.

Tamara Lanier aus Norwich (Connecticut), die offenbar eine Nachfahrin Renty Taylors in fünfter Generation ist, hatte die Harvard University 2019 verklagt. Sie forderte die Herausgabe der Daguerreotypien und verlangte, die Universität dürfe keinen Profit aus der Lizensierung der Fotos schlagen; diese sollten vielmehr gemeinfrei sein. Darüber hinaus forderte sie Schadensersatz für das emotionale Leid, das die Veröffentlichung der Fotos bei den Nachkommen verursacht hätte. Nachdem dies in einer früheren Instanz zurückgewiesen worden war, befand das höchste Gericht des Staates Massachusetts nun, dass Lanier einen Anspruch gegenüber Harvard geltend machen könne – allerdings nur, so weit es den letzten Punkt betrifft. Das Gericht bestätigte dagegen, dass allein der Fotograf und nicht die Abgebildeten die Besitzrechte an den Daguerreotypien hätten, und über den Auftraggeber Louis Agassiz waren diese nun auf die Universität übergegangen. Zwar hatten 43 Nachkommen von Agassiz die Universität aufgefordert, die Bilder an die Familie von Tamara Lanier zu übergeben, aber das wäre nur als Geste der Wiedergutmachung möglich; einen Rechtsanspruch darauf gibt es nicht.

Was andererseits die Verwertungsrechte an den Fotos betrifft, so sind alle Rechte des Fotografen und seiner Erben längst erloschen; die Bilder sind bereits gemeinfrei. Insofern ist es unklar, wieso die Harvard University überhaupt Lizenzgebühren für deren Nutzung forderte. Sie konnte eine Gebühr für Scans der Daguerreotypien verlangen, aber seit die Bilder einmal veröffentlicht waren, darf sie jeder lizenzfrei nutzen.

Das oberste Gericht befand allerdings, die vorgebrachten Fakten unterstützten die Behauptung der Klägerin, die Universität hätte ihr nachlässig und rücksichtslos emotionales Leid zugefügt, woraus sich ein Schadensersatzanspruch herleiten lassen könnte; das wird nun in einem neuen Verfahren zu klären sein. Tatsächlich hatten die Universitätsvertreter die von Lanier vorgebrachten Argumente für ihre Ansprüche offenbar nicht näher geprüft und versucht, die Sache auszusitzen; als das Foto von Renty Taylor für ein Tagungsplakat und ein von der Harvard University Press verlegtes Buch verwendet werden sollte, nahm niemand im Vorfeld Kontakt zu ihr auf.

Hier wird die Sache nun allerdings schwierig, denn kann man wirklich davon ausgehen, dass die Veröffentlichung eines unter unwürdigen Umständen entstandenen Fotos des Urururgroßvaters noch 170 Jahre später Symptome wie Schlaflosigkeit und Übelkeit erzeugt, wie es das Gericht als Behauptung akzeptiert? Das Foto wird ja nicht länger als vermeintlicher Beleg für irgendwelche kruden rassistischen Theorien genutzt, sondern als geschichtliches Dokument: Das Porträt von Renty Taylor ist das älteste erhaltene Foto eines Sklaven in den USA.

Wir leben in einer Zeit der Hypersensibilität, in der das ostentative Leiden an einer als ungerecht empfundenen Welt weitreichende Ansprüche begründen soll. Wenn subjektives Empfinden eine rationale Abwägung ersetzen soll, ist das bedenklich. Andererseits lässt es sich auch nicht leugnen, dass viele Institutionen unsensibel agieren, so wie diesem Fall die Harvard University, die keinen für die Wissenschaft relevanten Verlust erlitte, wenn sie die Daguerreotypien den Nachfahren der gegen ihren Willen Porträtierten übergäbe. Auch in Deutschland gibt es vergleichbare Fälle, etwa wenn Museen ausgesprochen erfinderisch Gründe dafür suchen, Raubkunst aus Afrika, wie die in letzter Zeit oft diskutierten Benin-Bronzen, nicht an das Herkunftsland zurückzugeben. Während das Hamburger Museum am Rothenbaum (MARKK) die Organisation der Rückgabe forcierte, verhielt sich das Berliner Humboldt-Forum in derselben Sache bemerkenswert zögerlich und defensiv.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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