Kulturpolitik und Fotografie in turbulenten Zeiten

Während sich in der Welt politische Krisen überschlagen, hierzulande wirtschaftliche Unsicherheit herrscht und unsere Gesellschaft weiter Gefahr läuft sich zu spalten, entdeckt die Fotoszene ihre kulturpolitische Relevanz neu. ProfiFoto fragt nach „neuen Chancen für die Fotografie“ in der Kulturpolitik der neuen Regierung, und findet die Antwort „Die Fotoszene muss jetzt Forderungen formulieren, Netzwerke mobilisieren und das Deutsche Fotoinstitut als nationales Zukunftsprojekt positionieren“. Da stellt sich die unbequeme Frage: Sollten wir unsere ästhetischen Diskurse angesichts drängenderer gesellschaftlicher Herausforderungen nicht vielleicht mal mit einer Portion Demut betrachten?
Der kulturpolitische Bedeutungszirkus
Die Fotografie war seit jeher ein Medium zwischen Dokumentation und Kunst, zwischen Wahrheit und Inszenierung. Doch der Beitrag in ProfiFoto suggeriert eine Aufwertung der Fotografie durch kulturpolitische Aufmerksamkeit, als wäre dies der Ritterschlag für die Branche. Dabei könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich hier eine Zunft selbst auf die Schulter klopft, während um sie herum metaphorisch und manchmal auch buchstäblich die Welt brennt.
Besonders bezeichnend ist, dass der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD die Fotografie nicht einmal explizit als eigenständigen Kulturbereich erwähnt. Die Fotografie verschwindet im Sammelbegriff „Kunst“, ohne eigenes Profil, ohne eigene Anliegen.
Fotografie nimmt sich in unseren Breiten oft sehr ernst – zu ernst vielleicht. Da tut sich eine tiefere Frage auf: Welche gesellschaftliche Bedeutung hat die Fotografie überhaupt noch in einer Zeit multipler Krisen und im Aufkommen generativer künstlicher Intelligenz?
Das verlorene Echtheitszertifikat
Die fotografische Authentizität scheint zum zentralen Kampfbegriff geworden zu sein. Leica, das Traditionsunternehmen mit dem roten Punkt, sucht auf dem OMR Festival 2025 die Nähe zur Tech-Szene und diskutiert die Rolle fotografischer Authentizität mithilfe von KI in einer Ära von fotografisch anmutenden Deep Fakes. Ein faszinierender Ansatz, doch gleichzeitig ein Symptom der Krise: Wer seine Daseinsberechtigung permanent betonen muss, hat sie vielleicht schon verloren.
Die Koalition hat dieses Dilemma immerhin erkannt und plant eine Strategie „Kultur & KI“, die das künstlerische und kulturwirtschaftliche Potenzial von KI-Technologien anerkennt, aber gleichzeitig die Wahrung von Urheberrechten betont. Im Vertrag heißt es explizit: „Urheber müssen für die Nutzung ihrer bei der Entwicklung generativer KI notwendigerweise verwendeten Werke angemessen vergütet werden.“ Eine wichtige Feststellung, die jedoch die tiefere Identitätskrise des Mediums nicht löst.
Während Fotoverbände um Sichtbarkeit und Relevanz ringen, verändert sich die wirtschaftliche Basis vieler Fotografen dramatisch. Besonders in der Werbefotografie beklagen viele den Mangel an guten Jobs und die Kürzung der Budgets. Könnte dieser wirtschaftliche Druck nicht auch eine Chance sein, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen, anstatt kulturpolitische Anerkennung als Allheilmittel zu betrachten? Während sich die Fotografie in Diskussionen über ihren künstlerischen Wert und ihre gesellschaftliche Position verliert, verändert sich die Welt um sie herum in atemberaubendem Tempo.
Immerhin versucht die Koalition, die sozialen Aspekte der Kulturarbeit anzupacken: „Wir werden die soziale Absicherung von Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen innerhalb und außerhalb der Leistungen der Künstlersozialkasse stärken und unbürokratischer auf die besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen in der Kunstbranche abstimmen.“ Eine löbliche Absicht, die auch Fotografen zugutekommen könnte – wenn sie sich denn als Teil einer größeren Kulturgemeinschaft verstehen.
Fehlt hier nicht der Blick über den Tellerrand? Die Frage, welchen gesellschaftlichen Beitrag Fotografie in politischen Krisenzeiten leisten kann und sollte?
Zurück zur dokumentarischen Kraft
Die Gewinner des World Press Photo Award 2025 zeigen, worin die eigentliche Kraft der Fotografie liegen könnte. Rafael Heygster, der für den SPIEGEL Politiker und Anhänger der AfD fotografierte, nutzte sein Medium nicht für Selbstvergewisserung, sondern für gesellschaftliche Dokumentation und Analyse.
Das Fotografie-Forum in Monschau widmet sich derzeit mit „Fotokunst im Exil 1928-1949“ einem Kapitel europäischer Geschichte, das erschreckende Parallelen zur Gegenwart aufweist. Unterschiedliche künstlerische Positionen zeigen, wie Fotografen im Exil weiterhin tätig waren, nachdem die politischen Verhältnisse sie zur Flucht aus ihrer Heimat zwangen. Hier wird deutlich: Fotografie wird dann relevant, wenn sie gesellschaftliche Brüche nicht nur abbildet, sondern reflektiert.
Die im Koalitionsvertrag vorgesehene „Digitalisierung des kulturellen Erbes“ könnte für solche historisch bedeutsamen Fotografien einen wichtigen Beitrag leisten. „Die Digitalisierung des kulturellen Erbes und die digitale Transformation kulturellen Arbeitens brauchen zukunftssichere Förderung“, so der Vertrag. Ein durchaus sinnvoller Ansatz, der jedoch nur dann Früchte trägt, wenn man das fotografische Erbe nicht nur digital konserviert, sondern auch inhaltlich aufarbeitet.
Zwischen Metropolen und Provinz
Die Koalition hat erkannt, dass Kultur nicht nur in den großen Städten stattfindet. Programme wie „Aller.Land“ und „Kultur in ländlichen Räumen“ sollen kulturelle Akteure jenseits der Metropolen unterstützen. Für die Fotografie könnte dies bedeuten, dass nicht nur die urbanen Galerien und Museen gefördert werden, sondern auch kleinere Ausstellungsorte und Projekte im ländlichen Raum.
Diese Dezentralisierung könnte der Fotografie helfen, neue Perspektiven in eigenen Land zu entwickeln. Wer fernab der Kulturzentren arbeitet, ist oft näher an den Lebenswelten der Menschen und kann gesellschaftliche Entwicklungen authentischer dokumentieren. Hier könnte die Fotografie eine neue Relevanz jenseits selbstreferentieller Diskurse finden.
Fazit
Vielleicht muss die Fotografie ihre kulturpolitische Bedeutung nicht suchen, sondern wird sie finden, wenn sie relevante Fragen stellt und gesellschaftliche Entwicklungen kritisch begleitet – ohne dabei in Selbstbespiegelung zu verfallen. Der Koalitionsvertrag mag die Fotografie nicht explizit nennen, doch vielleicht ist genau diese Leerstelle die größte Herausforderung: das Medium muss seine Relevanz neu beweisen – nicht durch kulturpolitische Lobbyarbeit, sondern durch gesellschaftlich bedeutsame Bilder, die Perspektiven erweitern und zum Nachdenken anregen.
Vielen Dank für diesen Artikel. Als Fotograf, der dokumentarisch arbeitet, möchte ich das Fazit um eine kleine persönliche Perspektive erweitern – warum gerade die Porträtfotografie in Zeiten von KI für mich an Bedeutung gewinnt:
Hinschauen statt Erfinden
In einer Zeit, in der künstlich generierte Bilder mit atemberaubender Präzision Illusionen schaffen, gewinnt die dokumentarische Fotografie aus meiner Sicht eine neue Bedeutung. Dort, wo Kreative mit Hilfe künstlicher Intelligenz perfekte Abbilder von Menschen und Szenen erfinden, setzt die dokumentarische Porträtfotografie auf das Unperfekte, das Echte, das Gelebte.
Diese Form der Fotografie ist aus meiner Erfahrung heraus langsam. Sie verlangt, die eigene Komfortzone zu verlassen – erfordert Zeit, Präsenz, Begegnung und vor allem Respekt. Menschen werden nicht zur Bildfläche, sondern als Subjekte mit eigener Geschichte ernst genommen. Die Kamera ist dabei nicht Werkzeug der Aneignung, sondern Mittel der Beziehung. Der fotografische Blick verweilt, tastet, fragt: Wer bist du? Wie lebst du? Was soll sichtbar werden?
Dokumentarische Porträts sind dann nicht nur Abbilder einzelner Personen, sondern spiegeln gesellschaftliche Realitäten wider. Sie machen Lebensumstände sichtbar, die in der schnellen Medienwelt oft untergehen – und fordern damit ein aktives Hinschauen.
Gerade in gesellschaftlich turbulenten Zeiten, kann diese Art der Fotografie Räume schaffen – Räume des Dialogs, der Empathie, des Erinnerns. Nicht, um Lösungen zu liefern, sondern um Zeugnis abzulegen. Denn in der Begegnung zwischen Fotografin oder Fotograf und Porträtiertem liegt ein Moment der Wahrheit – einer, den keine KI je generieren kann.