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Objektiv-Report: Die Welt ist rund … mit dem Fisheye

… oder wie ich gelernt habe, Fisheye-Verzeichnungen zu lieben. OK, „lieben“ ist übertrieben, aber wir kommen mittlerweile gut miteinander aus.

Vorletzten Sonntag luden mich Freunde auf ihr Boot ein, um beim Hamburger Hafengeburtstag vom Wasser aus zu fotografieren. Beim Hafengeburtstag gibt es immer einen großen Auftrieb historischer Schiffe, und die Auslaufparade am Sonntag ist eine gute Gelegenheit, ihnen nahe zu kommen. Ich nahm zwei Objektive mit, ein 70–200 mm Telezoom von Sigma und ein 10–17 mm Fisheye-Zoom von Pentax.

Bei einer Brennweite von 98 mm des 1:2,8 70–200 mm Telezooms von Sigma gibt es keine nennenswerte Verzeichnung.
Bei einer Brennweite von 98 mm des 1:2,8 70–200 mm Telezooms von Sigma gibt es keine nennenswerte Verzeichnung.
Pentax-DA 1:3,5–4,5 10–17 mm
Pentax-DA 1:3,5–4,5 10–17 mm

Die Wahl eines Telezooms war sicherlich naheliegend. Warum aber ein Fisheye? Einerseits wollte ich auch das Motorboot meiner Freunde fotografieren, wozu ich einen großen Winkel erfassen musste – unterwegs auszusteigen, um das Boot aus dem nötigen Abstand zu fotografieren, das war ja schlecht möglich. Und dann würden wir einigen größeren Schiffen ziemlich nahe kommen, die ebenfalls nur mit einem sehr großen Bildwinkel vollständig abzubilden wären. Das Fisheye-Zoom deckt mit seinem Brennweitenbereich von 10 bis 17 mm alles vom extremen Weitwinkel bis zum echten Fisheye ab, eignete sich also perfekt.

Der große Bildwinkel von bis zu 180 Grad hat natürlich seinen Preis: Wie es für ein Fisheye charakteristisch ist, werden gerade Linien – genauer gesagt alle geraden Linien, die nicht durch die Bildmitte verlaufen – gebogen abgebildet. Nun gibt es dagegen ein Heilmittel: Wenn ich in Lightroom die »Profilkorrekturen« aktiviere, nutzt der Raw-Konverter das zum Objektiv gehörige Profil, um die starke Verzeichnung zu korrigieren – gerade Linien sind danach wieder gerade, wobei allerdings ein Teil des Bildes verloren geht. Aber nicht nur deshalb entscheide ich mich meistens gegen die Verzeichnungskorrektur. Ich wende die Profilkorrekturen zwar an, um die chromatische Aberration zu beseitigen, aber den Regler für die Korrektur der »Verzerrung« ziehe ich danach wieder auf Null.

Hafengeburtstag_ProfilkorrekturenMan geht ja landläufig davon aus, dass ein Fisheye stark verzerrt, während ein gewöhnliches Weitwinkel idealerweise – also wenn es gut korrigiert ist – keine Verzeichnung produziert. Notfalls hilft man im Raw-Konverter nach und beseitigt die verbliebene Verzeichnung auf digitalem Weg, was selbst bei Fisheyes funktioniert. Hier geht es aber nicht um einen Abbildungsfehler, sondern um eine Frage der Projektion, also die Abbildung der dreidimensionalen Welt in die Fläche eines Bildes.

Eine Kamera empfängt Licht aus einem mehr oder minder großen Winkel und bildet es auf einer Fläche ab. Dies ähnelt der Aufgabe eines Kartographen, die kugelförmige Erdoberfläche auf eine flache Karte zu projizieren. Dafür gibt es diverse Verfahren, die jeweils einige räumliche Beziehungen korrekt darstellen, andere jedoch verfälschen. Beispielsweise suggeriert eine Weltkarte in der Merkator-Projektion, Grönland sei annähernd so groß wie Afrika, während es tatsächlich weniger als ein Zehntel der Fläche hat. Auch die Projektion eines Objektivs wird immer einige räumliche Verhältnisse verfälschen, und das gilt nicht nur für ein Fisheye, sondern ebenso für ein gewöhnliches Weitwinkel, das lediglich andere Dinge verzerrt.

Die sogenannte gnomonische Projektion eines normalen Weitwinkelobjektivs ist für viele Aufgaben perfekt geeignet. Wenn man damit die Fassade eines Hauses fotografiert, bildet sie beispielsweise alle gleich großen Fenster mit gleicher Größe ab, obwohl die Fenster am Rande viel weiter entfernt sind als die Fenster direkt vor der Kamera. Soll aber statt einer Fläche dreidimensionale Motive abgebildet werden – eine Gruppe von Menschen beispielsweise –, dann versagt dieses Verfahren: Personen, die nahe dem Rand stehen, erscheinen im Bild unvorteilhaft in die Breite gestreckt. Der Grund dafür ist, dass wir flache Objekte nahe dem Bildrand perspektivisch verkürzt sehen und das Objektiv diese Verkürzung wieder aufhebt; dreidimensionale Objekte werden dagegen nicht verkürzt – wir sehen sie lediglich schräg von der Seite statt von vorne, und da sie das Objektiv in die Breite zieht, erscheinen sie verzerrt.

Ein Fisheye, dessen mögliche Projektionen hier beschrieben sind, vermeidet diesen Nachteil. Beispielsweise geben viele Fisheye-Objektive Flächenverhältnisse richtig wieder, sind also flächentreu. Zwar sind sie nicht – wie gewöhnliche Weitwinkel – geradentreu, aber sie erzeugen dennoch nicht selten ein natürlicheres Bild. Die Korrektur der Verzerrung in Lightroom, die das Bild auf eine gnomonische Projektion umrechnet, ist dann kontraproduktiv. Schauen wir uns ein paar Beispiele an:

Links ein Ausschnitt aus der Fisheye-Aufnahme, rechts das Ergebnis der Profilkorrektur in Lightroom
Links ein Ausschnitt aus der Fisheye-Aufnahme, rechts das Ergebnis der Profilkorrektur in Lightroom

Der Ausschnitt aus der Fisheye-Aufnahme zeigt das Boot in natürlichen Proportionen; ich habe es hier lediglich durch eine Drehung gerade gerückt (links). Die Verzerrungskorrektur in Lightroom fügt tatsächlich Verzerrungen hinzu, und da die Bildpixel dazu kräftig gestreckt werden müssen, leidet auch die Schärfe darunter (rechts).

Links die unkorrigierte Aufnahme, rechts das Ergebnis der Profilkorrektur
Links die unkorrigierte Aufnahme, rechts das Ergebnis der Profilkorrektur

Das Fisheye hat den tatsächlich geraden Mast durchgebogen (dass er zudem schräg verläuft, ist durch die nach oben gekippte Kamera bedingt; diese stürzenden Linien haben nichts mit dem Objektiv zu tun), aber die Rahen verlaufen parallel und sind richtig proportioniert (links). Die Profilkorrektur beseitigt zwar die Krümmung des Mastes, aber die Rahen scheinen nun rechts einen größeren Abstand als links zu haben und wirken asymmetrisch, so als seien sie nicht in ihrer Mitte am Mast aufgehängt (rechts).

Bei einer Brennweiteneinstellung von 17 mm verzeichnet das Fisheye-Zoom noch immer deutlich, aber die Proportionen stimmen – eine Korrektur würde sie verzerren.
Bei einer Brennweiteneinstellung von 17 mm verzeichnet das Fisheye-Zoom noch immer deutlich, aber die Proportionen stimmen – eine Korrektur würde sie verzerren.

Die Arbeit des Kartographen ist relativ problemlos, so lange er nur kleine Gebiete abbildet; eine Weltkarte dagegen ist eine Herausforderung und welche Lösung er auch immer wählt, wird die resultierende Karte in irgendeiner Hinsicht irreführend sein. Entsprechend gilt für die Fotografie, dass Teleobjektive mit ihren kleinen Bildwinkeln unproblematisch sind, was ihre Projektion betrifft – wenn wir uns aber darauf kaprizieren, extrem große Bildwinkel zu erfassen, macht die Entscheidung für eine bestimmte Projektion, ob durch Wahl des Objektivs oder im Nachhinein im Raw-Konverter getroffen, einen großen Unterschied. Eine eindeutig beste Wahl gibt es hier nicht, und oft wirkt das unkorrigierte Bild eines Fisheye-Objektivs insgesamt stimmiger als die vermeintliche Verbesserung durch eine Verzerrungskorrektur. Probieren Sie es einmal aus.

Michael J. Hußmann
Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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