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Bitte keine Verschwörungstheorien!

Bitte keine Verschwörungstheorien!
Bitte keine Verschwörungstheorien! Ich habe mich schon immer gefragt, warum ausgerechnet ein reaktionärer, papistischer Verschwörer und Attentäter wie Guy Fawkes zur Symbolfigur einer kapitalismuskritischen Bewegung werden konnte. / Foto und Montage: Doc Baumann

Alle Politiker machen sich Sorgen wegen der hohen Wählerzahlen der AfD (natürlich mit Ausnahme der AfD-Politiker). Und alle geben vor, sie wüssten gern mehr über die Ursachen dieser Entwicklung. Dabei arbeiten viele Verantwortliche in unserem Staat intensiv daran, das ohnehin geringe Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zielstrebig zu untergraben.

Zunächst meine obligatorische Warnung: Nein, dieser Artikel hat nichts mit Bildbearbeitung und Photoshop zu tun. Kommentare, die das feststellen, sind zwar inhaltlich richtig, fügen dem vorhandenen Wissensbestand aber nichts Neues hinzu. Wenn Politik Sie also nicht interessiert: Wegklicken!

So, nun sind wir hoffentlich unter uns. Früher ging es mir – politisch gesehen – immer nur montags und dienstags richtig schlecht, nachdem ich den Spiegel gelesen hatte und über schlimme Entwicklungen in aller Welt unterrichtet war. Vor einiger Zeit hat der Verlag das Erscheinungsdatum nun auf den Samstag gelegt, damit mir das Wochenende vermiest wird. Aber inzwischen reicht schon die tägliche Zeitungslektüre, um nach dem Frühstück am liebsten wieder ins Bett zurückzukriechen und die Decke über den Kopf zu ziehen. In meiner Jugend gab ich mich der Illusion hin, die Welt würde in kleinen Schritten besser. Inzwischen denke ich, sie wird von Tag zu Tag schlimmer.


Bitte keine Verschwörungstheorien: Armutszeugnis Armutsbericht


Eigentlich beschäftige ich mich ja lieber mit Fehlern und Fälschungen bei digitaler Bildbearbeitung. Aber als Bürger betreffen mich die Fehler und Fälschungen von staatlicher Seite wesentlich stärker. Und so lese ich – wieder einmal – mit Schrecken, dass von interessierten Kreisen aus unserer Regierung der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht auch diesmal verfälscht werden soll. Vor ein paar Jahren hatte sich die heutige Sozialministerin über diese Vertuschungen von oben noch lautstark empört – heute hält sie das für einen normalen Vorgang mit der Bezeichnung „Resortabstimmung“.

Kritische Sätze stehen in einem solchen Bericht ja nicht drin, weil einem der beteiligten Wissenschaftler das Mittagessen nicht bekommen ist, sondern weil sie das Ergebnis vom Forschungen und Beobachtungen sind. Wenn dort also ursprünglich zu lesen war, dass Politikveränderungen wahrscheinlicher sind, wenn sich Reiche (sicherlich in wohlverstandenem Eigeninteresse) dafür einsetzen, dann ist das zum einen wohlbegründet, zum anderen kein Geheimnis. Man muss sich also fragen, warum ein solcher Satz dennoch gestrichen werden soll, nachdem der Entwurf im Kanzleramt und in anderen Ministerien „bearbeitet“ worden ist.

Oder dieser: „Personen mit geringem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik mit ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert.“

Nun, vielleicht war das ja noch so, als dieser Bericht in Arbeit war. Inzwischen verzichten sie eben nicht mehr und wählen stattdessen AfD, um es „denen da oben“ mal richtig zu zeigen. Denn statistisch, wenn auch nicht für jeden Einzelfall, zeigt eine Wähleranalyse dieser Partei: Eher alt, männlich, niedriger Bildungsstand und geringes Einkommen.

Wenn Politiker sich also einerseits angeblich wegen der zunehmenden Wählerstimmen für die AfD sorgen und andererseits durch solche Streichungen (=Verfälschungen) aktiv verhindern wollen, das die Ursachen für diese Entwicklung erkannt werden, dann sind sie nicht vertrauenswürdig: Entweder unfähig, Zusammenhänge zu erkennen, oder mit der Absicht, erkannte Zusammenhänge nicht öffentlich werden zu lassen.


Bitte keine Verschwörungstheorien: Wer wacht über die Wächter?


Diese Frage hat man sich schon im alten Rom gestellt. Heute ist sie mal wieder hoch aktuell. Die Institution mit dem lustigen Namen „Verfassungsschutz“ erinnert inzwischen nur noch an Orwellsche Sprachexperimente: Eigentlich versteht man darunter ja naiv eine Behörde, die die Verfassung schützt – nicht eine, die von einem politischen Skandal in den nächsten schliddert, weil sie alles andere tut als das.

Seit langer Zeit tagt der Untersuchungsausschuss, der das angebliche „Versagen“ des Verfassungsschutzes bei der Aufdeckung der NSU-Mordserie klären soll. Die Annahme des Versagens erscheint aber inzwischen als unangemessen optimistisch. Listet man auf, was der Ausschuss trotz des Mauerns, Verschleierns und Zurückhaltens der Behörden inzwischen aufgedeckt hat, wäre bloße Unfähigkeit eine erfreulich menschliche Erklärung.

Allein bei der letzten Sitzung, bei der es um den Kasseler Mord an Halit Yozgat ging, kamen wieder Tatsachen ans Licht, die es schwer machen, sich in Sachen Verschwörungstheorie zurückzuhalten.

Nur ein Punkt, der in jedem anderen Fall bei allen Kriminalbeamten die Alarmglocken schrillen lassen würde: In Hessen gab es bis März 2006 keinen Fall aus dieser „Ceska“-Mordserie; der letzte war neun Monate zuvor in München verübt worden. Warum also wendete sich in jenem März – als der rechtsradikale Hintergrund der Morde angeblich noch gar nicht bekannt war und diese als rein kriminelle Taten galten – das Bundeskriminalamt in dieser Angelegenheit ausgerechnet an die hessischen Verfassungsschützer?

Und warum – noch bedenklicher – geschah dann nur einen Monat später dieser Mord im hessischen Kassel? Nach wie vor wollen uns die Behörden weismachen, der auch als „kleiner Adolf“ bekannte Verfassungsschützer T. sei rein zufällig während des Mordes im selben kleinen Internet-Café gewesen, hätte weder einen Schuss gehört noch beim Rausgehen beim Bezahlen die Leiche hinter dem Tresen liegen sehen, hätte sich aus rein privaten Gründen auch nach Bekanntwerden des Mordes nicht als Zeuge gemeldet, usw., usw. Und obwohl nachweislich eine Mail einer Abteilungsleiterin der Behörde auch an ihn ging, will er von der Mordserie gar nichts gewusst haben.

Zufall reiht sich hier an Zufall. Aber das wird irgendwie schon alles mit rechten Dingen zugehen – also bitte bloß keine Verschwörungstheorien zusammenbasteln!

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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4 Kommentare

  1. Sie schreiben: „Denn statistisch, wenn auch nicht für jeden Einzelfall, zeigt eine Wähleranalyse dieser Partei: Denn statistisch, wenn auch nicht für jeden Einzelfall, zeigt eine Wähleranalyse dieser Partei: Eher alt, männlich, niedriger Bildungsstand und geringes Einkommen.“!
    Bitte belegen.

    1. rollpu schrieb »Bitte belegen.«
      Nüscht einfacher als das: Augen aufmachen, bei AFD-Parteitagen den besorgten Bürgern ins Gesicht schauen. Ebenso kann man die Pegida-Spaziergängern beobachten. Rechts, links, vorn und hinten – nur olle Knusperköppe, die dummes Zeug schwätzen. Und geringes Einkommen haben wir ja wohl alle. Das ist das einzige, in dem ich mich nicht von dieser Partei unterscheide.

      1. In einen Artikel, dabei ist es egal welches Thema dieser hat, sollten Aussagen entweder belegt werden oder als eigene Meinung kenntlich gemacht werden. Das gehört zum seriösen Journalismus.
        In diesem Falle wird zwar Bezug auf Wahlanalysen genommen ohne Quellenangabe.
        In Zukunft also bitte nicht mehr interpretieren, als da steht.
        Denn bezweifelt habe ich diese aussage ja nicht.

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