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MCP: Eine universelle Sprache für KI-gestützte Bildbearbeitung?

Der Modal Context Protocol Standard, kurz „MCP“, könnte die Arbeit mit KI-Werkzeugen grundlegend verändern – nicht nur technisch, sondern als potenzieller kultureller Wendepunkt in der Geschichte visueller Werkzeuge.

Es gab eine Zeit, da gehörte das Wissen um die Unterschiede zwischen JPG und PNG, die Tücken von CMYK und RGB und die Bedeutung von IPTC und XMP zum grundlegenden Handwerkszeug aller, die mit digitalen Bildern zu tun hatten. Diese Welt war schon immer ein Sammelsurium aus Abkürzungen, Standards und Protokollen, die für die einen Kopfschmerzen, für die anderen das tägliche Brot bedeuteten. Und nun, während die Branche noch damit beschäftigt ist, die feinen Unterschiede zwischen den verschiedenen KI-Bildgeneratoren zu ergründen, erscheint ein neues Kürzel auf der Bildfläche: MCP.

MCP ist eine Art digitaler Befähigungsnachweis für KI-Systeme. Dieser Standard soll Klarheit darüber schaffen, welche KI was genau kann und wie sie mit anderen Systemen zusammenarbeitet. Das klingt zunächst so aufregend wie die Lektüre einer Betriebsanleitung. Doch für professionelle Bildbearbeiter und Fotografen könnte dieser unscheinbare Standard wichtiger werden als die nächste revolutionäre Vereinfachungsfunktion in Photoshop.

Was genau ist MCP?

Stellen Sie sich KI-Systeme als hochspezialisierte Werkzeugkoffer vor. Bisher mussten Sie jeden Koffer mühsam öffnen, um herauszufinden, ob eine präzise Retusche-Pinzette, ein grober Kompositions-Hammer oder ein feiner Farbkorrektur-Pinsel darin liegt. Mit MCP bekäme jeder dieser Koffer ein standardisiertes Etikett, das exakt auflistet, welche Werkzeuge enthalten sind und wie leistungsfähig diese sind. Es ist der Versuch, einen universellen Anschluss für die KI-Welt zu schaffen – vergleichbar mit der Einführung von USB-C, das ein ganzes Ökosystem an proprietären Kabeln und Anschlüssen formal vereinheitlichte.

Das MCP-Framework definiert einheitlich, welche Fähigkeiten eine KI besitzt: Kann sie Bilder erzeugen? Texte verstehen? Videos bearbeiten? Wie präzise folgt sie Anweisungen? Wie verlässlich geht sie mit problematischen Inhalten um? All diese Aspekte sollen durch den Standard messbar und somit vergleichbar gemacht werden.

Die Relevanz für den professionellen Anwender

Wer heute professionell digitale Bilder bearbeitet, kommt an KI-Werkzeugen kaum noch vorbei. Ob inhaltsbasiertes Füllen, KI-gestützte Skalierung oder die vollständige Generierung von Bildelementen – die Grenze zwischen klassischer Bildbearbeitung und KI-gestützter Kreation verschwimmt zusehends. Hier setzt der Nutzwert von MCP an.

Angenommen, Sie benötigen für ein Projekt eine KI, die exzellent darin ist, komplexe Objekte wie Haare oder feine Stoffe freizustellen. Mit MCP-konformen Werkzeuge könnten Sie auf einen Blick erkennen, welche KI sich für diese spezifische Aufgabe am besten eignet. Ohne dass Sie zuvor Stunden mit dem Testen verschiedener Systeme verbringen.

Noch interessanter wird es bei der Kollaboration verschiedener KI-Systeme. Stellen Sie sich eine Workflow-Kette vor, in der Ihr Bildbearbeitungsprogramm nahtlos mit einer spezialisierten KI für Farbkorrektur kommuniziert, die ihre Ergebnisse wiederum direkt an ein KI-System für das Upscaling weitergibt. MCP könnte der technische Schlüssel zu solchen intelligenten Arbeitsabläufen sein, bei denen jede KI genau das tut, was sie am besten kann, ohne dass der Anwender manuelle Zwischenschritte durchführen muss. Und möglichst auch noch genau dokumentiert, was geschehen ist, um den künftigen Anforderungen des AI-Acts der EU zu genügen.

Von Rosetta-Steinen und der Ordnung im Chaos

Auch wenn „Standardisierung“ in vielen Ohren nicht positiv klingt: Die Geschichte des technischen Fortschritts ist auch eine Geschichte der Standards. Vom Metermaß über den ASCII-Code bis hin zu Farbräumen wie sRGB – immer wieder haben wir gemeinsame Sprachen entwickelt, um effizienter zusammenarbeiten zu können. Man könnte MCP als einen modernen Rosetta-Stein betrachten, der es den verschiedenen KI-„Dialekten“ ermöglicht, miteinander zu kommunizieren und ihre Fähigkeiten verständlich zu machen.

Die Parallelen zu früheren Umbrüchen sind unübersehbar. Man denke an die Normierung von Filmempfindlichkeiten und Farbtemperaturen, die erst eine globale Filmindustrie ermöglichte, oder an die Etablierung von HTML als gemeinsame Sprache, die aus isolierten Netzwerken das World Wide Web formte.

Natürlich birgt jede Standardisierung auch Risiken. Standards können Innovationen bremsen, wenn sie zu starr sind. Sie können von dominanten Marktakteuren instrumentalisiert werden, um deren Position zu festigen. Und manchmal führt der Versuch, einen einheitlichen Standard zu schaffen, paradoxerweise zu noch mehr konkurrierenden Standards. Die älteren erinnern sich sicher an Betamax, Video2000 und VHS als konkurrierende und dabei vor allem inkompatible Video-Standards der 70er und 80er Jahre.

Die Kehrseite der Standardisierung

Es wäre naiv anzunehmen, dass MCP ausschließlich Vorteile mit sich bringt. Wie jede Technologie hat auch dieser Standard potenzielle Schattenseiten, die es kritisch zu beobachten gilt.

Da wäre zunächst die Frage der Kontrolle: Wer definiert und überwacht die Standards? Wenn große Technologiekonzerne den Ton angeben, könnte MCP zu einem Instrument werden, um kleinere, innovative Wettbewerber auszubremsen.

Hinzu kommt die Gefahr der kreativen Uniformität. Standards neigen dazu, einen Einheitsbrei zu fördern. Wenn alle KI-Systeme nach denselben Kriterien optimiert werden, könnten unkonventionelle Ansätze, die „anders denken“, ins Hintertreffen geraten. Gerade in der Fotografie und Bildkunst ist es oft das Unerwartete, das bahnbrechende Ergebnisse liefert.

Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass MCP zu einem reinen Marketing-Instrument wird – einem Anschein von Transparenz und Vergleichbarkeit, hinter dem sich die alten Intransparenzen verbergen. Wir kennen dies von Nährwertangaben oder Energieeffizienzklassen: Manchmal dient die Standardisierung mehr der Verkaufsförderung als der tatsächlichen Aufklärung des Nutzers.

Fazit: Ein Standard für die kreative Zukunft?

MCP mag auf den ersten Blick wie ein weiterer trockener, technischer Standard wirken. Für Bildbearbeiter und Fotografen könnte er jedoch eine neue Ära der kreativen Möglichkeiten einläuten. Nicht, weil der Standard selbst spektakulär ist, sondern weil er möglicherweise die Grundlage für ein Ökosystem schafft, in dem hochspezialisierte KI-Werkzeuge intelligent und nahtlos zusammenarbeiten.

Ob sich MCP durchsetzen wird, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt davon, ob die entscheidenden Akteure der Branche mitziehen und ob der Standard flexibel genug bleibt, um mit der rasanten Entwicklung der KI Schritt zu halten. Für Kreativprofis gilt jedoch wie immer: Es ist ratsam, informiert zu bleiben, kritisch zu hinterfragen und bereit zu sein, mit den Werkzeugen zu experimentieren, die sich als nützlich erweisen. Unabhängig davon, welche Buchstaben auf der Verpackung stehen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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