Menschen fotografieren

Von Sachbüchern erhofft sich der Leser Antworten auf konkrete Fragen, und in dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher dazu, welche Antworten sie geben können. „Menschen fotografieren“ gibt neue Anregungen zu Bildern im vermutlich beliebtesten fotografischen Genre überhaupt. Menschen fotografieren? Was denn sonst, wird mancher sagen. Natürlich gibt es viele weitere Genres wie die Landschafts-, Architektur-, Wildlife- oder Astrofotografie, aber gerade Bilder, die uns besonders berühren, sind oft Fotos von Menschen. Dabei geht das Thema des Buches über das klassische Porträt hinaus, und so werden darin auch Randbereiche wie die Mode- und die Hochzeitsfotografie berücksichtigt. Die sieben Autoren decken in ihren unterschiedlichen Vorlieben und Arbeitsweisen ein breites Spektrum ab. In den acht Kapiteln liegt der Schwerpunkt auf konkreten Beispielen für verschiedene Aufgabenstellungen, Aufnahmesituationen und Stile. Exkurse über die theoretischen Grundlagen sind dazwischen eingestreut, bilden aber nur den Hintergrund der praxisnahen Tutorials. Wir befragen das Buch zu diesen Themen, und es antwortet mit der Stimme seiner Verfasser. Was bedeutet das Wort „Porträt“? Im klassischen Sinne wird darunter die bildliche Darstellung einer Person verstanden. Man könnte also meinen, dass es „Gesicht“ oder „Abbild“ bedeuten könnte. Es kommt jedoch von dem lateinischen Wort „protrahere“ und bedeutet „hervorziehen; ans Licht bringen“. Wie hängt das aber mit dem Porträt eines Menschen zusammen? Ein Porträt ist nicht einfach ein Bild einer Person, sondern soll die Wesenszüge des Porträtierten ans Licht bringen. Ihre Interpretation kann Charakterzüge hervorziehen und diese andeuten, karikieren oder übersteigern. Auf diese Weise erzählen Porträtfotos Geschichten. Der besondere Bildlook entstand hier mit der Freelensing-Technik. Was ist „Freelensing“? Mit der Freelensing-Technik können Sie Fotos aufnehmen, die aussehen wie gemalt, mit viel Unschärfe und einem einzigartigen Look [1]. Das erfordert jedoch viel Geduld und ein ruhiges Händchen. Wählen Sie den manuellen Belichtungsmodus der Kamera, eine offene Blende und die dazu passende Verschlusszeit. Nehmen Sie Ihr Objektiv nun von der Kamera und halten Sie es dicht davor. Der schwierigste Teil ist, Ihr Model nun manuell scharf zu stellen. Währenddessen verändern Sie minimal den Winkel des Objektivs, indem Sie es kippen. Es wird eine ganze Weile dauern, bis Sie den Dreh heraushaben, aber die gelungenen Fotos werden einmalig und etwas ganz Besonderes sein. Das grüne Kleid harmoniert perfekt mit dem grünen Feld, in dem das Model liegt. Eignen sich Drohnen dafür, Menschen zu fotografieren? Für ein Shooting in der Nähe einer Baumschule setzte Jonas Hafner eine Dohne ein, die er bis dahin nur für Landschaftsaufnahmen verwendet hatte [2]. Da das Model das zentrale, gut erkennbare Motiv bleiben sollte, war die Flughöhe, auch bedingt durch das Weitwinkelobjektiv der Drohne, auf wenige Meter beschränkt. So nah am Boden machte das Geräusch der Rotorblätter eine Kommunikation fast unmöglich. Wenn man das Fluggerät nicht zwischendurch so hoch steigen lassen will, dass sich Fotograf und Model wieder verständigen können, schaffen In-Ear-Kopfhörer Abhilfe, die das Model unter den Haaren verbirgt. Die abweisende Pose vermittelt hier den gewünschten Eindruck. Wohin mit den Armen? Diese Frage kennen sicher alle, die fotografieren. Das Verschränken der Arme kann auf Fotos ganz unterschiedlich wirken. In manchen Aufnahmen wirkt es kühl, abweisend und unfreundlich. Es hängt jedoch stark von der Mimik, der Körperhaltung und natürlich davon ab, was man damit erreichen will. Beim Porträt des Musikkünstlers Jesús ist sein Kopf leicht geneigt und nach hinten gelehnt, wodurch er selbstbewusst und sogar leicht arrogant und überheblich wirkt [3]. Das passt hier, denn es unterstreicht seinen Musikstil. Dennoch sollten Sie sich genau überlegen, wo und wann Sie eine solche Pose einsetzen. Der Blick startet links oben, wird vom Gesicht angezogen, folgt der Schattenlinie zum unteren rechten Bildrand. Über das Geländer wird der Blick zu den Händen gelenkt und schließlich zurück zum Gesicht. Wie kann man den Blick des Betrachters lenken? In unserem Kulturkreis schreiben und lesen wir von links nach rechts und von oben nach unten. Genauso nehmen wir auch Bildinhalte wahr: Wir beginnen oben links und enden unten rechts. Diese Leserichtung können Sie nutzen, indem Sie Hilfsmittel zur Interpretation des Bildes in diesen Ecken platzieren. Beginnen Sie zum Beispiel mit der Komposition der Blickführung oben links, um zum Motiv hinzuleiten. Holen Sie den Blick wiederum unten rechts ab, um ihn zurückzulenken [4]. Auch die Blickrichtung des Models spielt dabei eine entscheidende Rolle. Schaut es in die Kamera, „spricht“ es direkt zu Ihnen. Schaut es hingegen weg, folgt man automatisch dem Blick und möchte herausfinden, wohin es schaut.

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