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Was sind unmögliche Farben?

Eine „unmögliche“ Farbe namens Olo, die nur fünf Menschen je gesehen haben? Es klingt seltsam, was ein Team an der University of California, Berkeley und der University of Washington jüngst veröffentlicht hat. Nur wenige Tage später kam dann ein Farbpigment (Yolo) auf den Markt, das Olo für alle zugänglich machen soll – aber ist Yolo wirklich Olo? Und was soll man sich überhaupt unter einer unmöglichen Farbe vorstellen?

Die Titelseite von „The Colour Out of Space“
in Amazing Stories, September 1927.

Liebhaber der klassischen Horrorliteratur werden sich vielleicht an H. P. Lovecrafts The Colour Out of Space (1927) erinnert fühlen. Die darin beschriebene, von einem Meteoriten auf die Erde gebrachte Farbe „was almost impossible to describe; and it was only by analogy that they called it colour at all“ , was man auch über Olo sagen könnte. Aber unheimlich ist daran gar nichts, und anders als Lovecrafts Farbe aus dem All hat Olo bislang noch jeder überlebt, der es gesehen hat.

Die merkwürdigen Eigenschaften mancher Farben beruhen darauf, dass „Farbe“ keine physikalische Größe ist und keine objektive Realität unabhängig von unserer Wahrnehmung hat. Was für Farben es gibt, kann nicht die Physik, sondern nur die Sinnesphysiologie erklären. Die meisten Farbtöne kann man zwar mit einer Wellenlänge des Lichts identifizieren, denn Licht dieser Wellenlänge scheint für uns diesen Farbton zu haben. Die Kombination von zwei Wellenlängen sehen wir aber als einen Farbton, der einer dritten Wellenlänge entspricht, und es gibt unendlich viele Kombinationen von Wellenlängen, die für uns als gleicher Farbton erscheinen. Mit einer Mischung roten und blauen Lichts lässt sich sogar ein Farbeindruck erzeugen, dem überhaupt keine Wellenlänge entspricht: Purpur.

Dieses Metamerie genannte Phänomen erklärt sich daraus, dass unsere Augen keine Wellenlängen unterscheiden. Mit drei Arten farbempfindlicher Sinneszellen, den Zapfen, registrieren sie lediglich den Anteil des Lichts in drei sich gegenseitig überlappenden Wellenlängenbereichen. Man unterscheidet S-, M- und L-Zapfen, die für kurzwelliges (S), langwelliges (L) Licht beziehungsweise solches aus einem mittleren Wellenlängenbereich (M) empfindlich sind. Für unsere visuelle Wahrnehmung liegen alle Farbtöne zwischen jeweils zwei der drei Grundfarben – grob vereinfacht sind es Rot, Grün und Blau –, und so sehen wir kein lineares Spektrum des sichtbaren Lichts, das am kurzwelligen Ende in Ultraviolett und am langwelligen Ende in Infrarot übergeht; vielmehr scheint sich über das Verbindungsglied Purpur zwischen den Extremen Violett und Rot ein Farbkreis zu schließen, obwohl die Wellenlängen von Violett und Rot weit voneinander entfernt sind.

Die Empfindlichkeitsbereiche der S-, M- und L-Zapfen des menschlichen Auges überlappen sich, so dass ein großer Teil der Wellenlängen des sichtbaren Spektrums zwei oder drei Typen von Zapfen reizt. (Illustration: Wikimedia)

Die Idee hinter dem Oz-Projekt des Teams um Professor Ren Ng besteht nun darin, Farbwahrnehmungen zu erzeugen, indem sie die Zapfen in der Netzhaut ihrer Versuchspersonen mit einem präzise gesteuerten Laser direkt reizen. Das klingt gefährlich – vor vier Jahren hatte ich mir die Netzhaut beider Augen an problematischen Stellen mit einem Laser festtackern lassen, aber das betraf Bereiche, die nicht besonders lichtempfindlich sind. Bei Laserstrahlen, die auf die Zone scharfen Sehens gerichtet sind, wäre mir schon etwas mulmig, obwohl die verwendeten mikrodosierten Laserpulse viel leistungsschwächer als Laser für medizinische Anwendungen sind. Immerhin hat sich Ren Ng selbst diesem Experiment unterzogen, ist also einer der Fünf, die Olo mit eigenen Augen gesehen haben.

Ren Ng? Falls Ihnen der Name bekannt vorkommt: Er hatte 2006 seine Dissertation Digital Light Field Photography veröffentlicht und später das Start-up Lytro gegründet, um das Konzept der Lichtfeldfotografie marktfähig zu machen. Nachdem jedoch verschiedene Projekte seines Unternehmens gescheitert waren, gab Lytro 2018 auf. Ren Ng ist aber auch schon seit 2015 Professor an der University of California, Berkeley, wo er sich zuletzt mit der Erzeugung von Farbempfindungen durch die gezielte Stimulation von Sinneszellen durch Laserstrahlen beschäftigt hat. Auf diese Weise sollen sich die Wahrnehmung „unmöglicher“ Farbtöne provozieren lassen, die auf normalem Wege nie entstehen würden.

Die Grundfarben Grün und Blau von ProPhoto RGB liegen außerhalb des für uns sichtbaren Gamuts, aber dafür enthält dieser Farbraum einen großen Teil aller sichtbaren Farben. (Illustration: Fred the Oyster)

Der Gamut für uns sichtbarer Farben ist beschränkt. In einem Farbraum mit den Grundfarben Rot, Grün und Blau gibt es nur Farbtöne, die in einem Dreieck zwischen diesen liegen; die Primärfarben setzen also eine Grenze. Für einen Farbraum mit einem besonders großen Gamut wie ProPhoto RGB hat man deshalb ein Grün und ein Blau als Grundfarben gewählt, die außerhalb des für uns überhaupt sichtbaren Farbbereichs liegen, zusammen mit Rot aber ein so großes Farbdreieck aufspannen, dass fast alle sichtbaren Farben darin Platz finden. Um den Preis, dass das grünste Grün und das blaueste Blau in ProPhoto RGB „unmögliche“ Farben sind, die wir gar nicht sehen könnten.

Grenzen unseres Farbempfindens werden immer dort erreicht, wo es um stark gesättigte Farben geht, und die gesättigste Version einer Grundfarbe ist die, bei der es keine Anteile der anderen beiden Grundfarben gibt. Das Problem ist: Um feine Abstufungen von Farbtönen zwischen den Grundfarben unterschieden zu können, müssen sich die Empfindlichkeitsbereiche der drei Klassen von Zapfen stark überlappen. Diese notwendige Überlappung führt jedoch dazu, dass das Licht einer Wellenlänge meist nicht nur von einer Klasse registriert wird, sondern von mindestens zweien, und das bedeutet, dass die Farbe nicht als maximal gesättigt wahrgenommen wird. Den Eindruck eines sehr reinen Rots kann man mit Licht erzeugen, dessen Wellenlänge zwischen Rot und Infrarot liegt und allein die L-Zapfen reizt, aber mit einem reinen Grün gelingt das nicht: Solche Wellenlängen werden auch von den L- und teilweise auch den S-Zapfen registriert.

Das im Oz-Projekt entwickelte System arbeitet mit fein dosierten Laserpulsen, die gezielt S-, M- oder L-Zapfen reizen, wobei der Laser Augenbewegungen nachgeführt wird. (Illustration: Oz-Projekt)

Diese Begrenzung lässt sich umgehen, wenn man die Lage der S-, M- und L-Zapfen in der Netzhaut präzise bestimmt und dann ausschließlich Zapfen einer dieser Klassen gezielt mit einem Laserstrahl stimuliert. Die anderen Zapfen in der Nachbarschaft registrieren nichts, weil gar kein Licht auf sie fällt. Im Oz-Projekt hat man nach diesem Konzept allein M-Zapfen mit dem Laser gereizt, und das Ergebnis war die Wahrnehmung eines extrem gesättigtes Cyan, wie es die Versuchspersonen noch nie zuvor gesehen hatten – Olo. Selbst sehr reines Laserlicht alleine kann diese Farbe nicht erzeugen, so lange es auf die ganze Netzhaut fällt und neben den M- auch die S- und L-Zapfen darauf ansprechen. Olo musste dagegen erst ein größerer Anteil weißen Lichts hinzugefügt und die Farbe damit in ihrer Sättigung reduziert werden, bevor sie die Versuchspersonen als vergleichbar empfanden.

Der (grüne) Laserstrahl erzeugt nicht direkt unterschiedliche Farben, sondern projiziert farbige Bilder auf die Netzhaut, indem sein Licht jeweils auf die für die gewünschte Farbe empfindlichen Zapfen gerichtet wird. (Illustration: Oz-Projekt)

Olo ist übrigens kein frei gewählter Fantasiename, sondern aus den Koordinaten der Farbe im Farbraum der S-, M- und L-Zapfen abgeleitet: Keine Helligkeit im S- und L-Bereich (0) und die maximale Helligkeit im mittleren Bereich der M-Zapfen ergeben die Koordinaten [0, 1, 0], und wenn man etwas blinzelt und die Ziffern als Buchstaben interpretiert, kann man das als OLO lesen.

In einem CIEXYZ-Diagramm, wie man es üblicherweise zur Visualisierung des Gamuts verschiedener Farbräume verwendet (siehe das ProPhoto-RGB-Diagramm oben), ließe sich Olo nicht korrekt darstellen. Das liegt daran, dass solche Diagramme nur eine Ebene im dreidimensionalen CIEXYZ-Modell zeigen, und ein Vektor, der ausgehend vom Schwarzpunkt auf Olo zeigte, würde diese Ebene gar nicht schneiden.

Yolo ist nicht Olo (Quelle: culturehustle.com)

Die Veröffentlichung des Oz-Projekts und der sofort einsetzende Medienrummel ließen den britischen Künstler Stuart Semple nicht ruhen. Gleich über Nacht entwickelte er eine Acrylfarbe namens Yolo, die Olo so gut wie möglich wiedergeben soll. 150 Milliliter davon kosten knapp 12.000 britische Pfund, aber wer laut Selbstauskunft Künstler ist, kann das Fläschchen schon für 30 Pfund bekommen. Natürlich gibt es kein Farbpigment, das tatsächlich den Eindruck von Olo erzeugen würde, aber auch wenn Yolo kein Olo für die Massen ist, ist es doch ein eigentümlich leuchtendes Türkis, das tatsächlich besonders gesättigt erscheint.

Dafür hat Semple auf einen Trick zurückgegriffen, den Waschmittelhersteller schon lange nutzen, und dem eigentlichen Pigment fluoreszierende Zusätze beigemischt. Fluoreszenz ist die Eigenschaft mancher Materialien, die Wellenlänge auftreffenden Lichts zu wandeln – Ultraviolett wird absorbiert und dafür langwelligeres sichtbares Licht emittiert. Da dieses Licht vermeintlich aus dem Nichts kommt – das dafür verantwortliche ultraviolette Licht können wir ja nicht sehen –, scheinen fluoreszierende Farben aus sich selbst zu leuchten. Dieser Effekt stellt sich aber nur ein, wenn das Umgebungslicht einen Anteil von Ultraviolett enthält, was insbesondere für das Sonnenlicht gilt. In vielen Waschmittel dienen fluoreszierende Beimischungen als optische Aufheller, um Weiß noch weißer erscheinen zu lassen, und Semple verwendet bläulich leuchtende Aufheller, um die scheinbare Sättigung seiner Acrylfarbe zu erhöhen. Auf dem Bildschirm lässt sich der Effekt naturgemäß nicht wiedergeben, ebenso wenig wie die Farbe Olo selbst.

Wer Yolo zum vergünstigten Künstlerpreis kaufen will – die Auslieferung der Vorbestellungen kann aufgrund der offenbar großen Nachfrage etwas länger dauern –, muss sich verpflichten, die Farbe ausschließlich zu künstlerischen Zwecken zu verwenden und sie nicht in die Hände von Nicht-Künstlern fallen zu lassen. Austin Roorda von der University of California, Berkeley, selbst Mitglied des Oz-Teams, hat noch eine weitere Alternative für eine erschwingliche Olo-Experience ohne großen technischen Aufwand parat, wie der Guardian meldete: Er hat sich einen Olo-Cocktail aus Midori und Blue Curaçao gemixt, der zwar nicht besonders gut schmecke – aber je mehr er davon trinke, desto ähnlicher sehe die Mischung Olo.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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