Altglas

Standardobjektive: The Nifty Fifty – Langweilige 50-Millimeter-Objektive?

Wie viele Normalbrennweiten oder Standardobjektive braucht man überhaupt? Sind 50-Millimeter-Objektive nicht einfach eine langweilige Brennweite? Im anglo-amerikanischen Sprachraum scheint das anders zu sein, dort werden sie gern als „Nifty Fifty“ tituliert – Langeweile versus Raffinesse. Was trifft denn nun zu? Es kommt auf die Auswahl an.

Standardobjektive

Ein paar Überlegungen können bei der gezielten Auswahl aus dem überbordenden Angebot der Standardobjektive helfen. Für den Fall, dass einem dieses oder jenes alte Objektiv über den Weg laufen sollte und eine Entscheidung getroffen werden will: Altglas-Container oder ab in die Kameratasche. Dabei spielt auch das Handling eine Rolle und Orsolya Brandt, bekannt als Murok Marci, formuliert es im Vintage-Objektivbuch so: „Man muss mehrere in die Hand nehmen und probieren, welche Linse einem liegt und Spaß macht.“ Spaß mit Altglas an der Digitalkamera bedeutet auch Freude an Abbildungsfehlern bei Offenblende. Fehler, die mit früher vorhandenen Glassorten und Berechnungsmethoden nicht besser korrigierbar waren und heute zum Reiz dieser Objektive beitragen. Die typischen Trioplan-Kringel treiben die vielleicht markantesten Bokeh-Blüten, was wiederum kontrovers diskutiert wird und nicht jedem gefällt.

Historische Auswahl

Standardobjektive
Standardobjektive: Domiplan, Tessar, Auto Revuenon, Takumar und Helios 44: Die abgebildeten Modelle dürften mehrheitlich aus den siebziger Jahren stammen. Sie wurden im Laufe der Jahrzehnte mit unterschiedlichen Gehäuseformen produziert.

Von den Standardobjektiven der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bieten sich Domiplan 50/2.8, Tessar 50/2.8, Helios-44 58/2, Takumar 55/2 und Auto Revuenon 55/1.4 an. Ihre optischen Konstruktionen spiegeln die technischen Möglichkeiten der Vergangenheit wie auf einem Zeitstrahl. Als typischer Triplet-Vertreter und Trioplan-Nachfolger hat das Domiplan drei Linsen in drei Gruppen, in Kurzform 3/3, und repräsentiert eine der ältesten klassischen Objektiv-Konstruktionen. Das Tessar bietet bereits ein 4/3-Design – zu seiner Zeit eine technische Revolution. Helios-44 und Takumar machten das 6/4- beziehungsweise 6/5-Design populär. Zum Innenleben des Auto Revuenon gibt es keine verlässlichen Informationen, doch die einstige Marktmarkt von Foto Quelle dürfte dieses lichtstarke Objektiv (f/1.4) für viele Fotoamateure erschwinglich gemacht haben. Alle Objektive kosten zusammen mit etwas Glück und Geduld circa 200 Euro und benötigen nur einen einzigen M42-Adapter.

Adlerauge

Standardobjektive
Das Tessar war in doppelter Hinsicht der schärfste Trioplan-Konkurrent. Polierte Aluminium-Gehäuse waren in den fünfziger Jahren populär.

Die Triplets (Trioplan, Meritar, Domiplan) und das Tessar dominierten das Segment der Normalbrennweiten über mehrere Jahrzehnte. Wer es sich leisten konnte, wählte zum Aufpreis von 50 bis 100 D-Mark eine Kamera mit Tessar. Es galt als Schärfewunder, auch „Adlerauge“ genannt. Das Helios-44, eine UdSSR-Kopie des exklusiven Zeiss-Biotar, machte das 6/4 Design in großen Stückzahlen zu moderaten Preisen verfügbar. Vergleichbares gilt für das Takumar aus Japan. Der Bildlook dieser Objektive unterscheidet sich bei Offenblende noch sichtbar voneinander, während er bei neueren 6/5-Konstruktionen zunehmend uniform wirkt.

Deutsche Wertarbeit

Mancher Altglasfan hat nur ein müdes „ibäh“ für „Massenprodukte“ übrig und widmet sich den Highlights westdeutscher Ingenieur-Kunst von Leitz. Für 200 Euro bekommt man ein älteres, bisweilen arg abgerocktes Leica R 50/2. Für die jüngere Version mit Standardfiltergewinde statt proprietärem Spezialanschluss sind knapp 300 Euro fällig. Und selbstverständlich gibt es diese Brennweite auch mit standesgemäßer Lichtstärke f/1.4 – ab 500 Euro, wenn man Glück hat. Ohne Zweifel baute Leitz schon damals sehr gute Objektive. Doch die DDR-Edelmarke Zeiss konnte sich technologisch neben anderen Produkten aus sozialistischer Produktion ebenfalls gut behaupten, eines der Glanzlichter dürfte das Ultron 50/1.8 gewesen sein.

Altglas
Leica Objektive mit Originalverpackung und Garantieunterlagen sind keineswegs unüblich. Mitunter findet sich bei den Unterlagen auch der originale Kassenzettel.

Standardobjektive: Persönliche Vorlieben und Entscheidungen

Letztlich geht es bei Altglas um Spaß am Spiel mit Unterschieden, Abbildungsfehlern und die Haptik alter Feinmechanik. Oder um bezahlbar gewordene, alte deutsche Ingenieur-Kunst. Ein Zeiss Ultron ist keineswegs zu verachten und mit M42-Anschluß heiß begehrt. Mein 50er Leica Summicron hatte bei Offenblende unbestreitbare Vorzüge. Dennoch habe ich es nach zwei Jahren leichten Herzens wieder verkauft und vom Erlös andere alte Linsen erworben.

The Nifty Fifty Standardobjektive
Leica R Summicron 50/2 und Auto Revuenon 55/1.4 im Vergleich.
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Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

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4 Kommentare

  1. Hallo Bernd,
    veranlasst durch Deinen Beitrag habe ich mal meine 50-ziger (Altglas+Neuglas) gezählt, es sind deren 74 Stück! Wobei ich aus Kostengründen mich eher im Low-Cost Bereich tummle. Der 50-ziger Bereich scheint wirklich eine magische Anziehungskraft zu haben.

    P.S.: Übrigens freut es mich, dass das Vinate Objektiv Buch wieder verfügbar ist, ich habe gleich zugeschlagen.
    Bleib gesund in diesen Zeiten.

    Liebe Grüße
    Bernd mit hard = Bernhard 🙂
    https://deramateurphotograph.de

      1. Hallo Bernd,

        heute kam das Buch an. Das Anschmökern macht Lust auf mehr. Bist Du auch im DCC unterwegs, weil Du einen User von dort erwähnt hast?

        Ich bin dort auch unterwegs, seit ich meinen Blog habe, sind meine Beiträge weniger geworden.

        Liebe Grüße zum Frühlingsanfang und bleib gesund in diesen Zeiten

        LG Bernhard

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