Altglas

Lichtstärke als Selbstzweck?

Objektive mit riesigen Blendenöffnungen versprechen wundervolles Bokeh, Schärfefreisteller auch bei großen Motiven und die Möglichkeit, selbst bei Kerzenschein noch zu fotografieren. Eine hohe Lichtstärke wird mehrfach erkauft, einerseits über den Preis, andererseits über optische Fehler. Oft, wenn auch nicht immer, sind lichtschwächere Versionen eines ansonsten identischen Objektivs optisch besser, weil weniger Abbildungsfehler korrigiert werden mussten.

Lichtstärke als Selbstzweck
„Wer in seiner Fototasche nicht mindestens ein 1,4er hat, dem ist nicht zu helfen“, schrieb Winfried Warnke in seiner Kolume im FotoMagazin (11/2017) und dachte dabei nicht unbedingt an Altglas.

Lichtstärke als Notwendigkeit

Im Gegensatz zu früher, bei Filmempfindlichkeiten von ISO 400 oder 800, wird Warnkes Provokation heute zur philosophischen Frage. Objektive mit Lichtstärke f/1.2 waren damals kein schicker Luxus für Bokeh-Fetischisten, sondern in erste Linie die Eintrittskarte für Berufsfotografen zu schlecht beleuchteten Aufnahmesituationen. Dennoch wird die Lichtstärken-Diskussion in Altglasforen genauso ernsthaft geführt wie die immer währende Frage nach dem Besten 1.4er. Da sollte man vielleicht gleich zur alten 1.2er Luxus-Linse greifen? Um der Diskussion aus dem Weg zu gehen und stattdessen lieber zu fotografieren. Gibt es da nicht auch was von Canon? Diese legendären Gläser mit asphärischen Linsen und kryptischem S.S.C Kürzel, die ihrer Zeit weit voraus waren? Oh, die sind heute noch teurer als damals? Aber ihre maschinell gefertigten Nachfolger von 1975 sollen schon ab 500 Euro zu haben sein. Sind bestimmt auch gut. Was ist eigentlich mit Leica, gab es kein 1.2er zur Leica-R? Gab es nicht? Seltsam, die hätten das doch bestimmt auch gekonnt.

Lichtstärke als Selbstzweck
Lichtstärke hatte immer schon ihren Preis, wie ein Blick ins „Kursblatt“ von 1979 zeigt.

Moderner Vergleich

Wer ein 50er Autofokusobjektiv mit Lichtstärke f/1.4 besitzt oder sich eines ausleihen kann, ist gut beraten, sein Umfeld damit fotografisch zu erforschen. Wohlgemerkt bei Offenblende und Motiven im Nahbereich. „Geh näher ran“ ist mit einer Normalbrennweite fast immer der erste Schritt in die richtige Richtung. Am Vollformatsensor dürfen die Schritte gerne größer ausfallen. In der Praxis gewöhnt man sich auch schnell an eine komfortable Naheinstellgrenze von 45 Zentimeter, doch nicht alle alten Normalbrennweiten bieten diesen Komfort. Mit Altglas und manuellem Fokus wird diese Übung garantiert schwieriger und die erreichbare Abbildungsleistung in herausfordernden Lichtverhältnissen – nun ja, man muss sie mögen. Was für 50 Euro möglicherweise leichter fällt als für 500 Euro.

Hand aufs Herz

Muss der Hintergrund wirklich so unscharf sein, dass man nichts mehr erkennen kann? Was mit Lichtstärke f/1.2 kompositorisch gelingt, sollte auch mit f/1.4 möglich sein. Vielleicht ist die Begeisterung für lichtstarke Objektive und Bokeh-Fetischismus nur ein Hype, der seinen Zenit bald überschreitet. Michael J. Hußmann weiß mehr dazu.

Lichtstärke als Selbstzweck
Fokussiert wurde bei Offenblende auf die schwarze Kugel (Zeiss Loxia 2.4/85 an Sony A7II).

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Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

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Kommentar

  1. Ich halte die Idee, immer lichtstärkere Objektive für viel Geld zu kaufen, schon seit langem für wenig sinnvoll.
    Zur Ektachrome-Zeit war es noch sinnvoll in Konzertsälen, als Karajan höchstens die leisen Leicas zuliess und mich Bernard Haitink wegen meiner Bronica EC-TL rügte. Messungen zeigen, dass die meisten lichtstarken Objektive ihre Qualität erst bei rund 2 Blenden Abblendung zeigen. Weniger Lichtstarke muss man gar nicht oder nur wenig abblenden für hohe Auflösung.
    Portraits oder sogar Close-Ups mit Blenden unter 2 zeigen meist nicht mal beide Augen scharf, geschweige denn den Raum von Nase bis zum Ohr-Ansatz. Wenn sich Modell und Fotograf nur im Millimeter-Bereich bewegen, sitzt die Schärfe dann am falschen Ort.
    Dies mag bei Fotos, die man nur am Kamera-Display oder auf dem Handy betrachtet, nicht auffallen, aber wozu werden dann Kameras von 20-60 Megapixel eingesetzt?
    Das Beispiel hier in dem Artikel zeigt auf einem iPad einen recht grossen Schärfebereich, auf einem 27-Zöller wirken noch Kugel und senkrechtes Seil scharf, aber als Bild einer Ausstellung ist nicht mal mehr die ganze Kugel scharf.
    In der Praxis ist es besser, etwas mehr als das Hauptmotiv scharf zu haben, als wenn dieses unscharf erscheint.
    Wer jedoch eine geringe Schärfentiefe haben will, sollte Mittelformat oder mindestens KB nutzen. Mit kleineren Bildwandlern wird das nichts.

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