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Lizenz zum Weglassen: Die digitale Scheinheiligkeit und der entkernte James Bond

James Bond betritt den Raum. Sein Anzug: aus klimaneutraler Herstellung. Sein Drink: ein alkoholfreier Smoothie – „geschüttelt, nicht gerührt“. Seine Mission: dem Bösewicht in einem moderierten Gespräch zu erklären, dass Gewalt keine Lösung sei. Die Waffe? Ein Moderationsleitfaden. Willkommen in der schönen neuen Welt der digitalen Realitätskorrektur, in der die größte Gefahr nicht vom Schurken ausgeht, sondern von der Möglichkeit, jemanden zu verstimmen.

Ein Griff ins Leere. Mehr war es nicht, und doch offenbarte er alles. Als Amazon Prime Video kürzlich ein Werbebild für die James-Bond-Klassiker ausspielte, fehlte an der vertrauten Silhouette des Geheimagenten das entscheidende Detail. Seine Hand, die seit Jahrzehnten wie selbstverständlich die Walther PPK umklammert, formte plötzlich eine bedeutungslose Geste im Nichts. Ein Bildbearbeiter hatte den digitalen Radiergummi gezückt und die Pistole kurzerhand entfernt. Bond ohne Waffe – das ist wie ein Fotograf ohne Kamera, ein Chirurg ohne Skalpell. Es ist die Entkernung einer Ikone, bis nur noch eine harmlose Hülle übrig bleibt.

Die prompte Aufregung im Netz zwang Amazon zwar zum Rückzug, doch der Vorfall ist weit mehr als eine digitale Petitesse. Er ist das Symptom einer um sich greifenden Haltung, die Fiktion mit der Realität verwechselt und das Publikum für unmündig erklärt. Er wirft die Frage auf, wie weit diese nachträgliche Säuberung von Kulturgütern wohl noch gehen wird.

Die Ästhetik der Verharmlosung

Stellen wir uns diesen neuen, sensitivitätsgeprüften James Bond einmal vor. Er wacht morgens auf, selbstverständlich allein, in Bettwäsche aus fair gehandelter Biobaumwolle. Frauen begegnet er ausschließlich auf intellektueller Augenhöhe. Bei Auslandseinsätzen respektiert er peinlich genau lokale Gebräuche und kompensiert seinen CO₂-Fußabdruck. Statt Martinis trinkt er Kamillentee, denn Alkohol trübt das Urteilsvermögen. Seine Gadgets von Q? Eine Konfliktlösungs-App und ein CO₂-Rechner. Wenn ein Antagonist die Welt vernichten will, stoppt Bond ihn mit einer Gesprächstherapie und erkundigt sich einfühlsam nach traumatischen Kindheitserlebnissen und unaufgearbeiteten Diskiminierungserfahrungen.

Ein solcher Film wäre natürlich ein grandioser Misserfolg. Niemand will einem britischen Beamten bei der einfühlsamen Verwaltungsarbeit zusehen. Der Reiz der Figur liegt ja gerade in ihrer Ambiguität und der Überschreitung von Grenzen – moralisch wie physisch. Bond ist ein Relikt des Kalten Krieges, ein Mann, der im Angesicht existenzieller Bedrohungen zu drastischen Mitteln greift. Ihn dieser Schärfe zu berauben, bedeutet, ihm seine Daseinsberechtigung zu nehmen.

Dieses Phänomen entlarvt ein tiefgreifendes Paradoxon. Seit wir dank Photoshop, KI-Werkzeugen und digitaler Bildbearbeitung genau wissen, dass Bilder manipulierbar sind, nutzen Konzerne dieselben Technologien, um eine falsche, bereinigte Vergangenheit zu suggerieren.

Wem nützt die digitale Reinigung?

Der Fall Bond steht nicht allein. Er ist Teil eines Trends, der historische Werke an heutige Moralvorstellungen anpasst, wie ein Dompteur, der dem Löwen erst die Zähne zieht, dann die Klauen Schneidet und sich im Anschluss für seinen Mut im Käfig feiern lässt. Die Romane von Ian Fleming wurden 2023 neu aufgelegt, nachdem man sie sorgfältig von rassistischen Passagen befreit hatte. Auch Roald Dahls Kinderbücher erfuhren ein sprachliches Update, um niemanden mehr zu verletzen.

Die Argumentation scheint auf den ersten Blick nobel: Man will schädliche Stereotype entfernen. Doch die Methode ist eher fragwürdig. Statt den historischen Kontext zu erklären und dem Leser die Fähigkeit zur Einordnung zuzutrauen, wird das Werk selbst verändert. Es ist ein Akt der Bevormundung, der die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit scheut und stattdessen eine glattgebügelte Version präsentiert.

Diese digitale Säuberungswelle ist dabei erschreckend inkonsequent. Während Bonds fiktive Pistole verschwindet, fluten Bilder realer Gewalt den aktuellen Kriegen unsere Nachrichtenkanäle und sozialen Netzwerke. Während Romane sprachlich geglättet werden, explodiert die Vulgarität in unzähligen Online-Formaten. Es geht also nicht um eine kohärente moralische Haltung, sondern eher um etwas anderes: die Minimierung von Geschäftsrisiken. Die Kunst wird zum Kollateralschaden eines unternehmerischen Risikomanagements, das vor allem den gefürchteten „Shitstorm“ besonders social-media-aktiver Ideologen vermeiden will.

Hollywood hat diese Form der Selbstzensur längst perfektioniert. Filme werden vorauseilend so konzipiert, dass sie zum Beispiel den chinesischen Markt nicht verprellen – einso verbreitetes Phänomen, dass der US-Kongress bereits gesetzgeberisch dagegen vorgehen wollte. Die britische Filmzensurbehörde BBFC kämpfte in den 1960er Jahren noch aus einer (wenn auch damals rigiden) moralischen Überzeugung heraus mit den Bond-Filmen. Heute kämpfen Algorithmen und Marketingabteilungen gegen potenzielle Umsatzeinbußen. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

Wo liegt eigentlich das Problem?

Die Gefahr dieser Entwicklung liegt in der schleichenden Erosion unserer Fähigkeit, mit Ambiguität umzugehen. Wenn wir Fiktion nur noch als pädagogisches Werkzeug betrachten, das uns zu besseren Menschen formen soll, verkennen wir ihre eigentliche Funktion. Kunst, auch die triviale, darf und muss ein Spiegel sein – auch von den hässlichen und unbequemen Seiten der menschlichen Natur und Geschichte. Sie muss der Raum bleiben, in dem wir uns mit Gewalt, Sex, Moral und deren Gegenteil auseinandersetzen können, ohne dass die Realität zu Schaden kommt.

Die Pistole ist mittlerweile zurück in Bonds Hand. Ein kleiner Sieg für den gesunden Menschenverstand. Doch der digitale Radiergummi liegt schon bereit. Die Frage ist nicht, ob er wieder zum Einsatz kommt, sondern nur, was als Nächstes unter ihm verschwindet. Und wer darüber entscheidet.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. Ian Fleming hat seinen James Bond nach dem Doppelspion, dem Kroaten Dusan Popof, geschffen. Dieser hatte in Freiburg Jura studiert und Feste mit schönen Leuten gefeiert. Er sprach gut Deutsch. Die Exilregierung von Kroatien war in London, wo er auch hinflüchtete. Man überredete ihn, sich den Nazis als deutscher Spion anzudienen. Seinen Aktionen fanden also während des 2. Weltkrieges statt. Fleming arbeitete da in der britischen Botschaft in Bonn und baute Popofs Abenteuer nach dem Krieg in exotische Länder um. Seine Bücher waren meist realistisch. Die Filme danach entfernten sich immer mehr von der Realität. Zu meiner Zeit lebte Popov im früheren Haus eines bekannten französischen Fotografen in Opio, dessen Buch „das schöne Leben“ schon lange vergriffen ist. Der echte Bond machte sich dort über die Filmfigur lustig.
    Ueber die bereinigte Sprache im Buch, hätte er den Kopf geschüttelt, aber Ihr Text, Herr Künne, hätte ihn sicher amüsiert. Der frühere Sekretär des Präsidenten des Attachée-Clubs hat eben den Kopf geschüttelt, aber den Text als brillant bezeichnet.
    P.S.: Bonds 007 ist die Vorwahl von Moskau

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