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Anne Zahalka: Die Dekonstruktion des fotografischen Blicks

Wer sich in diesen Wochen auf den Weg nach Baden bei Wien macht, erlebt mehr als nur ein Fotofestival. Er wird Zeuge, wie ein ganzer Kontinent seine visuellen Mythen hinterfragt. Im Zentrum des diesjährigen La Gacilly-Baden Photo Festivals, das unter dem Motto „Australien & die Neue Welt“ noch bis zum 12. Oktober 2025 die Gärten und Gassen der Stadt in Europas größte Open-Air-Galerie verwandelt, steht das Werk von Anne Zahalka. Die australische Fotokünstlerin ist keine stille Beobachterin, sondern eine Meisterin der kalkulierten Inszenierung, eine visuelle Provokateurin, deren Arbeiten seit vier Jahrzehnten die Gewissheiten der Fotografie und die kulturellen Narrative ihrer Heimat herausfordern. Für Bildgestalter und Fotografen, die sich intensiv mit der Macht und Manipulierbarkeit des fotografischen Bildes auseinandersetzen, ist ihre Ausstellung in Baden ein Pflichttermin.

Das Festival, das auf einem sieben Kilometer langen Parcours rund 1.500 großformatige Fotografien präsentiert, bietet den idealen Rahmen für Zahalkas vielschichtige Arbeiten. Es ist eine Veranstaltung, die sich im achten Jahr der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt verschrieben hat und dabei bewusst auf fotografische Erzählungen setzt, die zwischen Schönheit, humanistischer Reflexion und kritischer Auseinandersetzung oszillieren. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich Anne Zahalka. Ihre Werke sind keine Abbilder der Wirklichkeit, sondern sorgfältig komponierte Tableaus, die den Betrachter zwingen, über die Mechanismen der Repräsentation nachzudenken.

Die Inszenierung als Methode

Für den professionellen Betrachter liegt der besondere Nutzwert von Zahalkas Werk in ihrer Methodik. Sie bedient sich der Appropriation und der Dekonstruktion, um tief verwurzelte Bildikonen neu zu verhandeln.

Dieser Ansatz, der an die konzeptuellen Strategien der Düsseldorfer Fotoschule erinnert, zieht sich durch ihr gesamtes Schaffen. Zahalka zitiert die europäische Malereigeschichte ebenso wie die Ikonen der Fotografie, um sie in einen zeitgenössischen, oft kritischen Kontext zu überführen. Ihre Bilder entstehen nicht im Bruchteil einer Sekunde, sondern sind das Ergebnis akribischer Planung, aufwendiger Sets und einer präzisen Lichtführung. Sie sind (oft in Photoshop) gebaute Wirklichkeiten, die mehr über unsere Sehgewohnheiten und kulturellen Vorurteile verraten als über das, was sie vordergründig zeigen. In Baden wird diese intellektuelle Schärfe im Dialog mit den Arbeiten anderer australischer Fotografen wie Trent Parke oder Narelle Autio besonders deutlich, die ihr Land ebenfalls mit einer sehr persönlichen und kreativen visuellen Handschrift erforschen.

Anne Zahalka bei den Medientagen in Baden in Juni 2025

Ein Festival als Resonanzraum

Das Festival La Gacilly-Baden Photo, eine Kooperation mit dem französischen Ursprungsfestival in der Bretagne, erweist sich als perfekter Resonanzraum für diese Themen. Neben dem Australien-Schwerpunkt wirft der Programmteil „Die Neue Welt“ Blicke auf die USA mit Arbeiten von Joel Meyerowitz oder auf die Folgen des Bergbaus in den Anden von Alessandro Cinque. Es geht um die Frage der Welternährung bei George Steinmetz, um Lebensmittelverschwendung bei Dieter und Isolde Bornemann oder um das fast unsichtbare Leiden von ME/CFS-Kranken, dokumentiert von Brent Stirton.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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