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Mondlandung 1969 – warum hat das so lange gedauert?

Vor 50 Jahren landeten Neil Armstrong und „Buzz“ Aldrin auf dem Mond – die Mondlandung 1969 gelang! Aber warum hatte das so lange gedauert? Wäre man im 19. Jahrhundert nicht auch schon in der Lage gewesen, zum Mond zu fliegen, hätte man sich nur wirklich bemüht? Als Steampunk-Fan käme es mir gelegen, aber als Fanatiker technischer Plausibilität habe ich Zweifel.

Der Astronom Florian Freistetter hat eine ähnliche Frage kürzlich in seinem Blog gestellt. Als ich vor zweieinhalb Wochen für ein paar Tage Urlaub im Allgäu machte und die Wirkungsstätten von König Ludwig II. besuchte, stellte sich mir diese Frage erneut. Ludwig II. war ein echter Nerd; er schwärmte zwar vom Mittelalter – nicht dem wirklichen Mittelalter, sondern der Fantasywelt, die Richard Wagner in seinen Opern schilderte –, aber er war auch höchst interessiert am technischen Fortschritt seiner Zeit. Neuschwanstein sah aus wie eine ideale Ritterburg, hatte aber Telefon, eine Zentralheizung und Toiletten mit Wasserspülung. Zu Schloss Linderhof gehörte das erste Elektrizitätswerk Bayerns. Wäre es nach Ludwig II. gegangen, wäre Schloss Hohenschwangau mit einem „fliegenden Pfauenwagen“, aufgehängt an einem mit Wasserstoff gefüllten Ballon, als dampfgetriebener Seilbahn erreichbar gewesen – wir hatten ein Taxi und für den Rest der Strecke ein Pferdefuhrwerk nehmen müssen. Ludwig unterstützte auch den Ingenieur Gustav Koch, der Jahre vor Graf Zeppelin an einem Luftschiff arbeitete.

Mondlandung 1969
Mondlandung 1969: So oder ähnlich hätte das Luftschiff von Gustav Koch ausgesehen.

Was wäre gewesen, wenn Ludwig nicht für verrückt erklärt und, wie manche bis heute meinen, umgebracht worden wäre, sondern seine Pläne als Patron der Künste wie der Wissenschaft hätte umsetzen können? Nicht nur Dichter und Komponisten, sondern auch Wissenschaftler, Erfinder und Ingenieure wären nach Bayern gezogen, um dort ihre Ideen zu realisieren, und das Allgäu wäre vielleicht zu einem Silicon Valley des 19. Jahrhunderts geworden. Bis zum Ende des Jahrhunderts wäre möglicherweise auch eine Reise zum Mond möglich gewesen? Das ist doch ein Thema für einen Roman (oder eine Graphic Novel), der nur darauf wartet, geschrieben zu werden.

Das Erstaunliche an der tatsächlichen Entwicklung der Weltraumfahrt ist ja, wie schnell sie sich vollzog, und mit welch simplen Mitteln – unterstützt allerdings durch eine äußerst großzügige Finanzierung – die Mondlandung 1969 möglich wurde. Aber eben erst, nachdem sich die Regierungen von Sowjetunion und USA entschlossen hatten, dieses Projekt voranzutreiben. Raketen gab es schon seit Jahrhunderten, aber erst 1903 stellte Konstantin Ziolkowski deren Funktionsprinzip auf eine präzise physikalische Grundlage, wobei er auch das Prinzip der Mehrstufenrakete begründete. Im Zweiten Weltkrieg entwickelten SS-Sturmbannführer Wernher von Braun und seine Mitarbeiter innerhalb weniger Jahre das mit Flüssigtreibstoff angetriebene „Aggregat 4“, das auf seiner Parabelbahn erstmals den Weltraum erreichte – um sich dann allerdings als „Vergeltungswaffe 2“ mit seiner Sprengstoffnutzlast auf zivile Ziele zu stürzen. Die Weiterentwicklung der V2 in der Sowjetunion und den USA führte zu Raketen, die zunächst Satelliten und schließlich auch bemannte Raumschiffe in eine Erdumlaufbahn brachten, und 1969 erstmals Menschen auf den Mond.

Dabei konnten die Jahre zwischen 1945 und 1957 als vertane Zeit gelten – man hatte sich in Ost und West auf die Entwicklung von mit Atombomben bestückten Interkontinentalraketen konzentriert, anstatt sich mit der Erforschung des Weltraums zu beschäftigen. Nachdem die Sowjetunion 1957 mit Sputnik 1 den ersten künstlichen Erdsatelliten gestartet hatte – offenbar mit dem Hintergedanken, so die Fähigkeiten ihrer Raketen zu demonstrieren –, war dann aber der Wettstreit der Atommächte im Weltraum eröffnet, und die Wissenschaft profitierte davon. Wie eng die Raumfahrt mit einem militärischen Kalkül verbunden war, zeigen die Projekte A119 der USA beziehungsweise E-4 der Sowjetunion, die jeweils darauf abzielten, als Machtdemonstration eine Atombombe auf dem Mond zur Explosion zu bringen. Glücklicherweise wurde keines der beiden Projekte verwirklicht.

Die dreistufige Saturn V, mit der Apollo 11 zum Mond flog, kann man als direkte Weiterentwicklung der „Vergeltungswaffe 2“ ansehen. Schon in Nazideutschland hatte Wernher von Braun an einer mehrstufigen Rakete gearbeitet, mit der er New York bombardieren wollte. Die grundlegende Technologie der Mondrakete war gar nicht so verschieden von der der 40er Jahre; beispielsweise wurden erst im Laufe des US-Raumfahrtprogramms manuelle Berechnungen, wie sie noch die Grundlage des Manhattan-Projekts zur Entwicklung der Atombombe gebildet hatten, langsam durch die Computertechnik ersetzt. Apollo 11 verfügte nur über die Rechenleistung eines besseren Taschenrechners und die Astronauten nutzten noch einen Sextanten, um auf Basis der Messung des Winkels zwischen Himmelskörpern zu navigieren. Ohne dieses Hilfsmittel, mit dem schon die Erforscher der Weltmeere ihren Kurs berechneten, wäre die Besatzung der havarierten Apollo-13-Mission niemals zurückgekehrt.

Was hätte also einem Raumfahrtprogramm im 19. Jahrhundert entgegen gestanden? Jules Vernes Idee, ein Raumschiff mit einer Kanone zum Mond zu schießen, hätte nicht funktioniert, denn die nötige Beschleunigung hätte die Besatzung umgebracht. Die Raketentechnik war aber bereits verfügbar, wenngleich die heute verwendeten Treibstoffe damals noch nicht industriell herstellbar waren. Problematischer wäre die Lagesteuerung gewesen – ein stets kritisches Thema, denn viele Startversuche im frühen 20. Jahrhundert endeten damit, dass die Raketen kurz nach dem Start zu taumeln begannen und schließlich abstürzten. Wernher von Brauns Aggregat 4 wurde von einem mit Elektronenröhren bestückten Analogrechner stabilisiert, der die Daten von Gyroskopen auswertete, und diese Technologie stand erst im 20. Jahrhundert zur Verfügung.

Mondlandung 1969
Mondlandung 1969: Das Steuergerät SG-66 des Aggregat 4/V2. Quelle: Tpeterek

Prinzipiell gäbe es Alternativen zur Elektronik. Mit Flüssigkeiten ließen sich beispielsweise ähnliche Funktionen wie mit dem elektrischen Strom realisieren. Diese als Fluidik bekannte Technologie ist allerdings langsamer als die Elektronik, und ihr Einsatz zur Raketensteuerung dürfte daran scheitern, dass Flüssigkeiten sehr empfindlich auf Beschleunigungskräfte reagieren. Die Schwerelosigkeit wäre ein geringeres Problem als die Kräfte, die während des Starts wirken, also eben dann, wenn die Lagesteuerung am nötigsten gebraucht würde.

Ein weiteres Probleme wäre gewesen, mit einem Raumschiff zu kommunizieren. Eine Funkübertragung über weite Strecken gelang erst im 20. Jahrhundert, wenngleich Guglielmo Marconi schon Ende des 19. Jahrhunderts mit ersten Experimenten begonnen hatte. Zwar hätte man statt auf Funkwellen auf Licht setzen können, aber auch die Lasertechnologie existierte noch nicht. Und wie hätte auch eine Raumsonde auf Lichtsignale reagieren sollen, wenn es keine Elektronik gab, um diese zu verarbeiten? Man hätte unbemannte Raumschiffe weder von der Erde aus steuern, noch hätten Raumsonden Informationen zur Erde übertragen können. Steampunk-Raumfahrt wäre zwangsläufig bemannte Raumfahrt gewesen, und man hätte auf die Rückkehr der Raumfahrer warten müssen, um von ihren Erlebnissen zu erfahren.

Insgesamt fürchte ich, dass die Raumfahrt doch selbst bei günstigsten Randbedingungen für eine alternative Geschichte erst im 20. Jahrhundert gelingen konnte. Oder hat jemand eine Idee, die mich widerlegen könnte?

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. König Ludwig auf dem Mond? Wenigstens muss die Graphic Novel nicht mehr geschrieben werden, die gibt es schon:
    Alex Alice
    Le Château des Étoiles
    1869 : La Conquête de l’Espace (zwei Bände)
    Editeur : RUE DE SÈVRES
    Lesenswert!
    Keine Ahnung, ob es da eine deutsche Übersetzung gibt.

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