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Rückblick 2025: Zwischen Sehnsucht, Sensoren und synthetischen Bildern

Wer heute mit offenen Augen durch die Welt der belichteten, bearbeiteten und generierten Bilder zieht, erlebt keine abgeschlossene Revolution, sondern einen andauernden, tiefgreifenden Umbruch. 2025 war ein Jahr, in dem die alten Gewissheiten bröckelten. Zwischen der Sehnsucht nach dem Haptischen, dem Greifbaren einer Kamera, und der flüchtigen Magie synthetischer Bilder, die aus reiner Sprache geboren werden, formiert sich unsere visuelle Kultur weiter neu. Wir sind Zeugen und Akteure in einem Prozess, dessen Ausgang noch völlig offen ist.

Die Kamera als Anker in der Bilderflut

Im Fotomarkt tobt ein Kampf, der weniger mit Megapixeln als mit Weltanschauungen zu tun hat. Die Hersteller – Sony, Canon, Nikon, Fujifilm, Panasonic und Leica – liefern sich ein erbittertes Rennen um die Gunst einer anspruchsvollen und vor allem einer zahlungswilligen Klientel. Mittelklasse-Modelle wie die Canon EOS R6 Mark III, Sonys A7 V oder Nikons Z9 II sind weit mehr als nur technische Werkzeuge; sie sind teuer erkaufte Statussymbole und Ankerpunkte in einer zunehmend digitalisierten und abstrakten Welt. Ihr Versprechen: Kontrolle, Handwerk und eine direkte Verbindung zur Realität, während um sie herum die Bilderflut der KI anschwillt. Auch die Faszination der Edelkompakten wie die für eine Fujifilm GFX100RF oder eine Leica Q zeigt, dass die Sehnsucht nach dem entschleunigten, bewussten Akt des Fotografierens stärker ist denn je. Es scheint eine Gegenbewegung zur sofortigen Verfügbarkeit von allem zu sein.

Gleichzeitig stellt sich die alte Frage nach der Notwendigkeit von Technik mit neuer Dringlichkeit: Die Intelligenz der Algorithmen, die Motive erkennt, Bewegungen vorhersagt und Belichtungen optimiert und Smartphone-Fotos aussehen lässt, als kämen sie aus richtigen Kameras, ist längst zum entscheidenden Verkaufsargument geworden. Adapter, die altem, manuellem Glas zu neuem Autofokus-Leben verhelfen, symbolisieren den Wunsch, das Beste aus beiden Welten zu vereinen: den Charakter alter Objektive mit der Effizienz moderner Systeme. Die Fotografie wirkt 2025 im Rückblick wie ein permanenter Balanceakt zwischen der Nostalgie für das Analoge und der Faszination für das digital Mögliche.

Kreativ-KI: Der Dialog mit der Maschine

Gleichzeitig befindet sich die Entwicklung der Kreativ- und Bild-KI in einer Phase der Professionalisierung. Die anfängliche Euphorie weicht einem pragmatischen und zugleich kritischen Umgang. In der KI-Rubrik auf docma.info wird dieser Prozess nicht nur dokumentiert, sondern aktiv mitgestaltet.

Midjourney V7 und Co verschieben die Grenzen des Möglichen nicht mehr im Wochentakt, sondern in gezielten Schritten. Die Qualität der generierten Bilder erreicht in Teilbereichen ein Niveau, das sie von klassischen Fotografien kaum noch unterscheidbar macht.

Doch die eigentliche Entwicklung findet im Kopf der Anwender statt. Die Rolle des Kreativen wandelt sich spürbar vom Handwerker zum Kurator, zum Regisseur, zum Dialogpartner der KI. Prompt Engineering ist keine esoterische Geheimwissenschaft mehr, sondern wird zu einer zentralen Kulturtechnik. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, die Intention präzise zu formulieren und die Ergebnisse der Maschine kritisch zu bewerten und zu verfeinern. Die Fähigkeit zur Kommunikation mit einem nicht-menschlichen System wird zur Schlüsselkompetenz.

Ethische Fragen

Gleichzeitig intensiviert sich die Debatte um die ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Forderungen nach einer klaren Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte werden ebenso lauter, wie die nach einer gerechten Entlohnung der Kreativen, mit deren Daten die KIs trainiert wurden und werden. Die ungelösten Probleme – die Darstellung von Händen, die subtile Mimik von Gesichtern, die Konsistenz komplexer Szenen – sind keine technischen Mängel mehr, sondern werden bestenfalls zu interessanten Forschungsfeldern, die die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Kreativität ausloten.

Ausblick: Die offenen Fragen des Jahres 2025

Im Rückblick ist 2025 das Jahr, in dem wir lernten, mit Widersprüchen zu leben: Wir halten eine schwere Kamera in der Hand, um die Flüchtigkeit eines Moments einzufangen, befehlen gleichzeitig einer KI, Bilder zu optimieren oder gar aus reiner Vorstellungskraft zu materialisieren, während wir das Making of unserer Aktionen mit dem Smartphone dokumentieren. Wir schätzen das Speil mit der Technik, die Perfektion eines Sensors und lieben doch den unperfekten Charakter eines alten Objektivs oder den Charme von Polaroids.

Die spannendsten Entwicklungen finden vielleicht genau in diesem Zwischenraum statt: an der Schnittstelle von Technik und Kultur, von Handwerk und Automation, von Kontrolle und Kontrollverlust. Die Fotografie ist nicht tot, sie ist lebendiger denn je. Aber sie ist anders lebendig. Sie stellt uns andere, vielleicht wichtigere Fragen. Die Suche nach Antworten hat gerade erst begonnen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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