Polaroids – klein, unscharf, bonbonfarben
Die Polaroid-Fotografie steht wie kaum eine andere Technik für unmittelbare visuelle Gratifikation. Lange bevor Smartphones mit digitalen Kameramodulen den Markt eroberten, boten die kleinen meist quadratischen Sofortbildern die Möglichkeit, Momente direkt nach der Aufnahme zu betrachten – mit allen Unzulänglichkeiten des Verfahrens, die heute nostalgischen Kultstatus genießen. In der aktuellen Ausstellung der Helmut Newton Foundation Berlin (noch bis 27. Juli 2025) werden die Polaroid-Arbeiten des Starfotografen nun den vielfältigen experimentellen Ansätzen der Polaroid-Sammlung von OstLicht gegenübergestellt. Ein faszinierender Dialog, der offenbart, dass manchmal weniger tatsächlich mehr sein kann.
Als man die Chemie noch riechen konnte
Wer jemals eine Polaroid-Kamera in den Händen hielt, wird bestätigen können: Der charakteristische Geruch der Entwicklungsemulsion, das mechanische Geräusch beim Auswurf der Bilder und das gespannte Warten auf das langsame Erscheinen der Fotografie sind sinnliche Erfahrungen, die in der digitalen Fotowelt keine Entsprechung finden. Edwin Land entwickelte bereits 1947 die Sofortbildfotografie für seine in Cambridge (Massachusetts) ansässige Polaroid Corporation – und leitete damit eine visuelle Revolution ein, die ab den 1960er-Jahren die Fotografieszene weltweit prägte.
Die berühmte SX-70-Kamera wurde zum Kultobjekt. Sie konnte nur spezielle Film verarbeiten, bei denen sich die Entwickler- und Fixierchemie bereits am Fotopapier befand. Das Bild schob sich langsam aus einem schmalen Schlitz an der Kamera und entwickelte sich wie durch Magie vor den Augen des Fotografen. Andere Polaroid-Verfahren erforderten zusätzlich das Auftragen einer Fixierflüssigkeit über die Bildoberfläche. Die unmittelbare Verfügbarkeit macht diese Technik zum analogen Vorgänger unserer heutigen digitalen Sofortbildkultur.
Newtons pragmatische Perfektion
Helmut Newton, dessen Polaroids in den vorderen drei Räumen der Ausstellung präsentiert werden, nutzte die Sofortbildtechnik vorwiegend als Werkzeug zur Vorbereitung seiner Modesessions. Für ihn waren die Aufnahmen Ideenskizzen, die der Überprüfung von Lichtsituation und Bildkomposition dienten. Sein „ungeduldiges Verlangen, sofort wissen zu wollen, wie die Situation als Bild wirkt“ trieb ihn an, wie er selbst in einem Interview formulierte.
Bemerkenswert sind die handschriftlichen Notizen an den Bildrändern seiner Polaroids. Diese pragmatischen Kommentare zu Models, Auftraggebern oder Aufnahmeort und -datum offenbaren den Arbeitsprozess. Die Unschärfen und Gebrauchsspuren auf den Polaroids zeugen von einem funktionalen Umgang mit dem Material, das inzwischen selbst einen autonomen künstlerischen Wert besitzt.
1992 veröffentlichte Newton „Pola Woman“ im Verlag Schirmer/Mosel – ein Buch, das ihm „besonders am Herzen“ lag und das ausschließlich seine Polaroid-Fotografien vorstellte. Den Vorwurf mangelnder Perfektion konterte er selbstbewusst: „Doch, das war ja gerade das Spannende – die Spontaneität, das Schnelle.“
Die bunte Vielfalt der Sammlung OstLicht
Im Kontrast zu Newtons fokussierten Arbeiten steht die heterogene Sammlung von OstLicht, die den europäischen Teil der ehemaligen Unternehmenssammlung der amerikanischen Firma Polaroid repräsentiert. Nach deren Insolvenz 2009 sollte die Sammlung ursprünglich auktioniert werden, doch einige tausend Werke konnten als zusammenhängendes Konvolut gerettet und in Wien neu institutionalisiert werden.
Im Hauptraum zeigt die Ausstellung über 50 Polaroids unterschiedlicher Größen und Techniken sowie fotografische Abzüge, die auf Polaroids basieren. Die Bandbreite reicht von experimentellen Bearbeitungen der SX-70-Oberflächen während der kurzen Bildentwicklung bis hin zu großen Tableaus, die erst in der Zusammenstellung ein Gesamtbild ergeben.
Eine Vitrine mit verschiedensten Polaroid-Kameras aus einer Berliner Privatsammlung verdeutlicht zudem die technische Varianz des Mediums und seine anhaltende Popularität über Jahrzehnte hinweg.
Die Kraft der Beschränkung
Beim Vergleich der Arbeiten offenbart sich eine überraschende Erkenntnis: Während die Sammlung OstLicht durch ihre Vielfalt an Techniken, Themen und künstlerischen Ansätzen beeindruckt, sind es gerade Newtons konzentrierte, in ihrem Anwendungsbereich beschränkte Polaroids, die eine besondere visuelle Kraft entfalten. Newton nutzte die technischen Eigenschaften und ästhetischen Besonderheiten des Mediums zielgerichtet, um seine unverwechselbare Bildsprache zu entwickeln und zu überprüfen.
Die Sammlung OstLicht hingegen demonstriert zwar das experimentelle Potenzial der Polaroid-Technik, verliert sich aber mitunter in der Demonstration verschiedenster Möglichkeiten. So wirken manche der künstlerischen Tableaus und abstrakten Experimente wie Versuche, die technischen Grenzen des Mediums zu überwinden, anstatt sie produktiv zu nutzen.
Helmut Newtons Polaroids überzeugen vor allem durch ihre klare Bildsprache, die selbst im Skizzenhaften seine Handschrift unmissverständlich erkennen lässt. Wo andere Fotografen die Unschärfen und Farbverschiebungen der Polaroids als Einschränkung empfanden, machte Newton sie zum Stilmerkmal. Seine Aufnahmen wirken dadurch nicht weniger durchdacht als seine finalen Arbeiten – im Gegenteil: Sie offenbaren die Essenz seines fotografischen Denkens in unretuschierter Form. Hier sieht man gleichsam die Originale seine Arbeiten.