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Rico Puhlmann in Berlin: Eine Wiederentdeckung

Rico Puhlmann? Wer ist Rico Puhlmann? Selbst vielen fotografieaffinen Lesern dürfte dieser Name kaum etwas sagen. Einige der Älteren erinnern sich vielleicht noch an jenen unterhaltsamen deutschen Fotografen, der im Fernsehen der 70er und 80er Jahre regelmäßig aus Amerika über die neuesten Modetrends berichtete. Für die SFB-Sendung „Modejournal“ brachte er den West-Berlinern Namen wie Calvin Klein und Ralph Lauren näher.

Hier kann man Rico Puhlmann ab Minute 27:20 noch einmal erleben.

Doch dieser Mann war weit mehr als nur ein charmanter Mode-Korrespondent. Er war einer der prägendsten deutschen Modefotografen der Nachkriegszeit, dessen Werk nun in einer umfassenden Retrospektive im Berliner Museum für Fotografie wiederzuentdecken ist. Die Ausstellung ist weit mehr als eine Parade schöner Kleider. Sie ist ein visuelles Geschichtsbuch, das den Wandel von Konsum, Rollenbildern und gesellschaftlichen Werten nachzeichnet. Puhlmanns Fotografien sind Momentaufnahmen einer Epoche, in der Mode noch als Versprechen auf ein besseres Leben galt – und in der jedes Bild ein kleines Stück Hoffnung transportierte.

Vom Zeichner zum Bildkomponisten

Die Ausstellung, die noch bis zum 15. Februar 2026 läuft, macht von Beginn an klar: Puhlmanns Weg zur Fotografie war kein direkter. Geboren 1934 in Berlin, begann er seine Karriere als gefragter Modezeichner. Seine Illustrationen für Blätter wie Constanze und Burda zeigen bereits eine Eleganz und ein Gespür für Linienführung und Komposition, die später seine Fotografien auszeichnen sollten. Dieser Hintergrund als Zeichner ist der Schlüssel zum Verständnis seines fotografischen Schaffens. Puhlmann überließ nichts dem Zufall. Jede Pose, jeder Lichteinfall, jedes Accessoire war Teil einer sorgfältig durchdachten Inszenierung.

Ende der 1950er Jahre vollzog er den Wechsel hinter die Kamera und wurde schnell zu einem der stilprägenden Bildgestalter der noch jungen Bundesrepublik. Als West-Berlin noch als Modemetropole galt, formte er für Magazine wie Brigitte und Stern eine moderne, weltläufige Ästhetik. Seine frühen Arbeiten sind Dokumente des Aufbruchs, die das Lebensgefühl des Wirtschaftswunders in Bilder fassten, lange bevor der Begriff zum Klischee wurde.

Chronist des bundesdeutschen Chic

Der eigentliche Kern der Schau und ihr interessantester Teil ist eine Reise in die goldenen Zeiten der deutschen Werbefotografie. Damals, als gedruckte Modemagazine noch unangefochtene Leitmedien (und Geldruckmaschinen) waren, lieferte Puhlmann die visuellen Vorlagen für die Sehnsüchte einer ganzen Generation. Die Ausstellung entfaltet ein Panorama der bundesdeutschen Konsumkultur, von der adretten Eleganz der Sechziger bis zur selbstbewussteren Mode der Siebziger. Man sieht nicht nur Kleider, man sieht die Entwicklung von Frauenbildern, gesellschaftlichen Konventionen und dem, was als erstrebenswert galt.

In diesem Kontext wirkt eine historische Randnotiz, die man am Rande der Ausstellung erfährt, fast schon bizarr: Bis in die 1970er Jahre hinein wurden Models in Deutschland nur über persönliche Kontakte oder über die Künstlerdienste der Arbeitsämter vermittelt, da private Modelagenturen nicht zugelassen waren. Diese bürokratische Besonderheit unterstreicht die Professionalisierung, die die Branche durchlief und an der Fotografen wie Puhlmann maßgeblichen Anteil hatten. Er prägte nicht nur das Bild von Stars wie Hildegard Knef auf Plattencovern und Buchtiteln sondern auch das Gesicht der anonymen Mannequins, die den Traum vom besseren Leben verkörperten.

Newtons langer Schatten

In den Siebzigern begann Berlins Stern als Modestadt zu seinen. Puhlmann folge dem Ruf der Branche und zog nach New York. Dort setzte er seine Karriere scheinbar nahtlos fort, arbeitete für die ganz großen Namen wie Harper’s Bazaar, Vogue und GQ und lichtete Supermodels wie Cindy Crawford, Naomi Campbell und Christy Turlington ab, bevor diese zu richten Supermodels wurden. Die Ausstellung dokumentiert diesen Karriereschritt mit einer Fülle von Arbeiten, die den polierten „American Look“ jener Ära perfekt einfangen.

Doch wer Puhlmanns Weg weiterverfolgt, dem drängt sich ein Vergleich unweigerlich auf: Helmut Newton. In Puhlmanns amerikanischen Arbeiten, insbesondere in den erotisch aufgeladenen Inszenierungen, ist der Versuch spürbar, an Newtons provokante Bildsprache anzuknüpfen. Und genau hier wird auch die Grenze von Puhlmanns Können sichtbar. Während seine Fotografien stets technisch brillant, elegant und von makellosem Stilbewusstsein zeugen, fehlt ihnen jene letzte, abgründige Konsequenz, jener Tabubruch, der Newtons Werk so eindrucksvoll macht. Puhlmann bleibt immer auf der sicheren Seite des guten Geschmacks. Ein Handwerker – kein Künstler. Sein tragischer Tod beim Absturz des TWA-Flugs 800 im Jahr 1996 beendete diese bemerkenswerte Karriere abrupt. Die Berliner Retrospektive ist eine lehrreiche Lektion in angewandter Fotografiegeschichte und eine Einladung, das Werk eines zu Unrecht halb vergessenen Meisters der Inszenierung neu zu bewerten. Einen tiefer Einblick in eine Zeit, in der fotografische Vision noch untrennbar mit handwerklichem Können verbunden war.
Am Rande: Arbeiten von Helmut Newton gibt es für die Besucher der Ausstellung eine Etage tiefer ohne zusätzliche Eintrittskosten zu sehen.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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