Technik

Der Traum vom reinen Licht: Wie Perowskit-Sensoren das Erbe des Foveon antreten

Manchmal gleicht der technische Fortschritt einem Dialog über Generationen hinweg. Eine Idee wird geboren, kühn und bestechend, doch ihre Umsetzung erweist sich als widerspenstig, behaftet mit den Geburtswehen ihrer Zeit. Sie bleibt ein Versprechen für wenige Eingeweihte. Jahre später greift eine neue Technologie dieselbe Idee auf und führt sie mit einer Eleganz zur Vollendung, die der ersten verwehrt blieb. Genau dieses Schauspiel beobachten wir gerade im Herzen unserer Kameras, im Wettstreit zweier Sensor-Architekturen, die beide den faulen Kompromiss des Bayer-Musters überwinden wollen: Foveon und Perowskit.

Die tragische Schönheit des Foveon-Sensors

Seit seiner Einführung im Jahr 2002 war der Foveon-Sensor von Sigma eine Art heiliger Gral für eine kleine, aber hingebungsvolle Gemeinde von Fotografen. Sein Prinzip ist genial einfach: Statt Lichtpunkte durch ein Mosaik aus Farbfiltern zu schicken und dabei zwei Drittel der wertvollen Information zu verwerfen, fängt er das Licht in die Tiefe gestapelt auf. Silizium, das Herzstück des Sensors, absorbiert von Natur aus kurzwelliges blaues Licht in der obersten Schicht, grünes in der Mitte und langwelliges rotes in der untersten. Das Ergebnis, wenn die Bedingungen stimmen, ist von einer fast magischen Qualität. Bilder von einer Foveon-Kamera, aufgenommen bei niedrigster Empfindlichkeit und reichlich Licht, besitzen eine Detailfülle und Farbreinheit, die an das analytische Auge eines Andreas Gursky erinnern und die Bilder von Kameras mit weit höherer nomineller Auflösung oft blass aussehen lassen.

Doch diese Brillanz hatte stets ihren Preis. Der Foveon war eine Diva für Sonnentage. Seine Achillesferse war die Physik des Siliziums selbst. Die Farbkanäle überlappten stark, was zu unschönem Farbübersprechen und einem sichtbaren Rauschen führte, sobald das Licht knapp wurde oder man die ISO-Zahl erhöhte. Die dynamische Bandbreite war begrenzt, die Verarbeitung der proprietären Rohdaten eine Geduldsprobe in Sigmas eigener, oft als schwerfällig beschriebener Software. Über zwei Jahrzehnte lang kämpfte Sigma mit diesen Tücken, kündigte einen Vollformat-Sensor an, verschob ihn, fand Fehler in Prototypen und musste die Entwicklung immer wieder neu justieren. Der Foveon blieb, was er immer war: ein singuläres Nischenprodukt für Spezialisten, bewundert für seine Einzigartigkeit, aber ungeeignet für den professionellen Alltag vieler.

Der pragmatische Erbe: Perowskit

Nun betritt ein neuer Akteur die Bühne, der den Traum des Foveon zu Ende träumen könnte. Die an der ETH Zürich und Empa entwickelten Perowskit-Sensoren verfolgen dasselbe Prinzip des vertikalen Stapelns, aber sie tauschen den entscheidenden Baustein aus: Statt des unvollkommenen Siliziums nutzen sie synthetische Perowskit-Kristalle. Der Clou, der alles verändert, liegt in ihrer Abstimmbarkeit. Durch eine leichte Änderung der chemischen Zusammensetzung – mehr Jod für Rot, mehr Brom für Grün, mehr Chlor für Blau – kann jede Schicht exakt auf die Wellenlänge des Lichts geeicht werden, das sie absorbieren soll.

Dieser Unterschied ist fundamental. Wo der Foveon-Sensor die Farben aus dem breiten Absorptionsspektrum des Siliziums mühsam herausfiltern muss, agiert der Perowskit-Sensor wie ein perfekt gestimmtes Ensemble. Er eliminiert nicht nur das Interpolations-Raten des Bayer-Musters, sondern zugleich die systembedingte Ungenauigkeit des Foveon. Die Laborwerte sprechen eine deutliche Sprache: Die externe Quanteneffizienz, ein Maß für die Lichtausbeute, liegt bei den Prototypen zwischen 47 und 53 Prozent – fast doppelt so hoch wie bei Bayer-Sensoren und spürbar über den Werten des Foveon. Noch beeindruckender ist die Farbgenauigkeit: Mit einem Wert von 3,8 % ΔELab übertrifft die neue Technologie nicht nur herkömmliche Sensoren, sondern auch den Foveon, dessen Achillesferse immer das Farb-Übersprechen war.

Was das für die fotografische Praxis bedeutet

Für uns Bildgestalter reift hier eine Technologie heran, die das Beste aus beiden Welten vereinen könnte: die Detailtreue und Artefaktfreiheit eines Schichtensensors ohne dessen notorische Schwächen. Es ist, als hätte jemand die brillante, aber unvollendete Partitur des Foveon genommen und sie für ein fähigeres Orchester neu arrangiert.

Die praktischen Auswirkungen sind tiefgreifend. Low-Light-Fotografie wird neu definiert, wenn Sensoren dreimal mehr Licht sammeln können. Portraitfotografen dürfen sich über eine präzisere, reinere Farbwiedergabe freuen. Landschaftsfotografen profitieren von einer enormen Auflösung ohne Demosaicing-Artefakte. Besonders interessant wird die Technologie für die Architekturfotografie: Moiré-Effekte bei feinen Strukturen gehören der Vergangenheit an, da keine Farbinterpolation mehr notwendig ist. Jeder Pixel erfasst tatsächlich alle drei Grundfarben, anstatt sie zu erraten.

Der Weg zur Marktreife

Natürlich ist der Weg aus dem Labor in unsere Kameras noch mit Herausforderungen gepflastert. Die größte Hürde bleibt die Umweltstabilität. Perowskit-Materialien reagieren empfindlicher auf Feuchtigkeit, Temperatur und Lichteinwirkung als das bewährte Silizium. Während Silizium-Sensoren jahrzehntelang funktionieren, müssen Perowskit-Sensoren noch beweisen, dass sie den Anforderungen professioneller Anwendungen gewachsen sind. Zudem müssen die aktuellen Pixelgrößen von Millimetern auf die für Kamerasensoren übliche Mikrometer-Skala schrumpfen.

Doch die Forscher sind optimistisch. Das Projekt läuft bis Ende 2025, dann soll die Technologie für die industrielle Verwertung bereit sein. Erste Partnerschaften mit Elektronik-Unternehmen existieren bereits. Angesichts eines globalen Sensormarktes von über 20 Milliarden Dollar, der von Sony dominiert wird, ist das Interesse an einer potenziell disruptiven Technologie immens.

Der Foveon hat uns gelehrt, was ohne Farbfilter möglich ist. Der Perowskit-Sensor scheint nun die Mittel zu liefern, dieses Versprechen endlich alltagstauglich zu machen. Ende 2025 werden wir wissen, ob eine neue Sensor-Generation das Licht der Welt erblickt – im wahrsten Sinne des Wortes.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Kommentar

  1. Danke für diesen Artikel, der mich wirklich neugierig macht!
    Damals, lange her, erwarb ich eine Sigma SD14, als die Preise der Kamera bereits auf Wühltischniveau gesunken waren.
    Die fotografischen Ergebnisse waren zwiespältig: Die JPEG-Bilder der Kamera nah an völlig unbrauchbar, die RAW-Bilder bedingten den im Artikel beschriebenen langwierigen Tüftelprozess.
    So landete das gute Stück nach weniger als einem Jahr im Schrank.
    Nun bin ich mal gespannt, ob der zweite Anlauf mit den Perowskit-Kristallen erfolgreich veräuft. Das wäre echt der Hammer!
    Viele Grüße von Hubert Schmitz

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