Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“ als 108-Gigapixel-Scan

In der Schnittstelle zwischen klassischer Kunst und modernster Digitaltechnologie hat das renommierte Mauritshuis Museum in Den Haag einen bemerkenswerten Schritt gewagt. In Zusammenarbeit mit dem Spezialisten für Hochpräzisionsmikroskopie Hirox wurde Johannes Vermeers Meisterwerk „Mädchen mit dem Perlenohrring“ (1665) mit einer atemberaubenden Auflösung von 108 Gigapixeln digitalisiert. Diese technologische Glanzleistung eröffnet Kunstexperten, Restauratoren und Kunstliebhabern völlig neue Perspektiven für die Analyse, Archivierung und kreative Neuinterpretation eines der bekanntesten Gemälde der Kunstgeschichte.
Das Mauritshuis und sein digitaler Vorstoß
Das Mauritshuis, beheimatet in einem Palast aus dem 17. Jahrhundert, gilt als Schatzkammer der niederländischen Malerei des Goldenen Zeitalters. Mit der höchsten Dichte an Meisterwerken pro Quadratmeter in den Niederlanden bietet das Museum eine beeindruckende Sammlung von insgesamt 854 Kunstobjekten. Der nun durchgeführte Hochpräzisions-Scan des „Mädchens mit dem Perlenohrring“ ist kein isoliertes Experiment, sondern Teil einer umfassenderen Strategie zur Verbindung traditioneller Kunstbewahrung mit den Möglichkeiten der Digitalära.
Das Besondere an dieser Digitalisierung liegt nicht nur in der schieren Datenmenge von 108 Gigapixeln, sondern in der damit verbundenen Möglichkeit, mikroskopisch kleine Details zu erfassen, die dem bloßen Auge verborgen bleiben. Für Kreative eröffnet sich hier eine faszinierende Quelle zur Analyse von Vermeers legendärer Lichttechnik, seiner Pinselführung und Farbkomposition.
Technische Dimensionen
Die technische Leistung hinter diesem Vermeer-Scan verdient besondere Aufmerksamkeit. Hirox, ein Unternehmen mit Expertise in hochauflösender Mikroskopie, musste für dieses Projekt spezielle Verfahren entwickeln. Die enorme Auflösung von 108 Gigapixeln bedeutet, dass jeder Quadratmillimeter des Gemäldes mit Hunderten individueller Pixel repräsentiert wird. Zum Vergleich: Eine moderne professionelle Digitalkamera produziert Bilder mit etwa 45-60 Megapixeln – der Vermeer-Scan bietet somit etwa das 2000-fache dieser Auflösung.
Die Herausforderungen bei solchen Extremauflösungen liegen nicht nur in der Bildaufnahme selbst, sondern auch in der anschließenden Datenverwaltung und -präsentation. Das Team musste innovative Algorithmen für die Bildverarbeitung anwenden, um die zahllosen Einzelaufnahmen präzise zusammenzufügen und gleichzeitig absolute Farbtreue zu gewährleisten.
Konsequenzen für Kunstanalyse
Für Kunstliebhaber eröffnet dieser Scan völlig neue Referenzmöglichkeiten. Vermeers Technik des subtilen Lichteinsatzes, seine meisterhafte Balance von weichen Übergängen und scharfen Details sowie die faszinierende Tiefenwirkung können nun auf einer bisher unerreichbaren Detailebene studiert werden. Der Scan erlaubt beispielsweise die genaue Analyse des berühmten „Vermeer-Blaus“ oder die mikroskopische Untersuchung der Pinselstriche, mit denen der Künstler das Licht auf der titelgebenden Perle einfing.
Restauratoren können anhand dieser Daten zudem den Zustand des Gemäldes exakt dokumentieren, frühere Restaurierungsarbeiten bewerten und zukünftige Eingriffe präziser planen. Für die digitale Kunstarchivierung setzt dieser Scan neue Maßstäbe und zeigt das Potenzial hochauflösender Digitalisierung für die langfristige Bewahrung kulturellen Erbes.
Zwischen Tradition und digitaler Zukunft
Die so hochauflösende Digitalisierung solcher Meisterwerke wirft auch grundsätzliche Fragen zum Verhältnis zwischen Original und digitalem Abbild auf. Trotz der beeindruckenden technischen Daten kann kein noch so hochauflösender Scan die physische Präsenz des Originals vollständig ersetzen. Die dreidimensionale Struktur der Farbschichten, die genaue Wirkung des natürlichen Lichts auf der Leinwand und die atmosphärische Einbettung im Museumskontext bleiben exklusive Eigenschaften des physischen Kunstwerks.
Dennoch repräsentiert dieser 108-Gigapixel-Scan des Vermeer Motivs einen wichtigen Schritt in der Evolution der Kunstdokumentation. Für Bildbearbeiter, die sich mit den Techniken der alten Meister auseinandersetzen möchten, bietet er ein unschätzbares Studienwerkzeug. Die Möglichkeit, bis auf die Ebene einzelner Pigmentkörner zu zoomen, erlaubt möglicherweise neue Einsichten in die Arbeitsweise eines der größten Künstler der westlichen Kunstgeschichte.
Der Scan stellt zudem einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Kunstzugangs dar. Was früher nur einem kleinen Kreis von Experten unter speziellen Bedingungen möglich war – die mikroskopische Analyse eines Meisterwerks – wird nun potenziell für jeden Interessierten über digitale Plattformen zugänglich.
Interessant wären hier ein paar weitere Daten und Fakten, welchen uns „Normalos“ in der Digitalfotografie ein wenig helfen würden, solch einen Scan einzuordnen:
Z. B.:
Wieviele × wieviele Pixel umfasst der Scan?
Wie gross wäre ein Ausdruck mit drucktypischen 300dpi in Zentimeter × Zentimeter (und wie gross ist das Originalbild?)?
Wie wurde dieser Scan angefertigt? Unter einem scannenden Mikroskop (oder auf einen Rutsch?), und wie gross (wie viele Pixel, Breite × Höhe) hat jeder Teilscan umfasst?
Wie sieht die ominöse Perle in hoher Auflösung aus, da ja davon so explizit im Beitrag geschrieben wird?
Usw.
Auf https://www.hirox-europe.com/gigapixel/girl-with-a-pearl-earring/ kann man sich den 108-Gigapixel-Scan mit einem HRX-01 3D-Mikroskop von Hirox in allen Details anschauen. Beim Scan wurden 41.106 3D-Multi-Focus-Dateien erzeugt, die mehr als 2 Millionen Bildern entsprechen; aus diesen wurde das 108-Gigapixel-Bild gestitched.
Vermeers Ölgemälde misst 39 Zentimeter in der Breite und 44,5 Zentimeter in der Höhe; so steht es auf der Website des Museums. Auf der Hirox-Website habe ich auf die Schnelle keine präzisen Angaben zu den Pixeln des Scans gefunden, aber man kann es ja überschlägig nachrechnen: Bei 108 Gigapixel insgesamt entfallen 622.300 Pixel auf jeden Quadratmillimeter, so dass jeder Quadratmillimeter eine Kantenlänge von 789 Pixeln hat. Auf einen Zoll gerechnet entspricht dem eine Auflösung von 20.041 ppi und das Digitalbild misst 307.710 mal 351.105 Pixel. Würde man es mit 300 ppi drucken, wäre der Print 26,1 Meter mal 29,7 Meter groß.
Ursprünglich hiess Vermeers Portrait lediglich „das Mädchen mit dem Ohrring“. Die Perle wurde später dazugedichtet. Allerdings ist diese ja grösser als der Augapfel und wäre sehr teuer gewesen. Auch glänzt sie metallisch und nicht wie eine Perle.
Zum Beginn des jetzigen Ukraine-Krieges fiel dem Schweizer Fotografen auf dem Markt zu Basel eine junge Ukrainerin mit einem Madonnengesicht aus dem Mittelalter auf. Er kleidete sie , wie bei Vermeer, in die ukrainischen Farben Blau und gelb. Auch hier glänzt der Ohrring silbern, aber ist nicht rund, sondern ist ein Gewehrgeschoss. Dieses Bild ist spiegelbildlich zum Original und die Lippen sind geschlossen.
Unter dem Titel „Girl with Bullet Earring“ wurde das Foto auf der letzten Documenta als Statement diskutiert.
Diese Anmerkung zur Gigapixel-Version des Originals besteht aus lediglich 50 Megapixel.
Dies zum
Bei Kunstwerken aus dieser Zeit ist es wohl eher die Regel als die Ausnahme, dass sie ihre Titel nicht vom Künstler, sondern von irgendwelchen Dritten bekommen haben, nicht selten lange nach der Entstehungszeit des Bildes. Wenn man sich also fragt, was ein Bild darstellt, ist der Titel kein verlässliches Indiz. Er sagt einem nur, was irgendjemand in dem Bild gesehen zu haben meint. Aus dem 17. Jahrhundert gibt es zwei Erwähnungen, die sich auf dieses Gemälde beziehen könnten, „Twee tronijnen geschildert op sijn Turx“ und „Een Tronie in Antique Klederen, ongemeen konstig“, die auf die türkische beziehungsweise antike/altertümliche Mode (den Turban) verweisen. Keine von beiden spricht von einem Ohrring, ob mit oder ohne Perle; zudem sind die Formulierungen rein deskriptiv und enthalten keinen Titel. Dennoch hat sich „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, „… mit der Perle“ oder die Äquivalente in verschiedenen Sprachen eingebürgert, auch wenn regelmäßig hinzugefügt wird, dass dieser Titel in die Irre führt. So ist es auch im Mauritshuis in Den Haag, wo das Gemälde als „Meisje met de parel“ ausgestellt ist.
Hier gibts die Informationen, wie das berühmte Bild gescannt wurde:
https://www.dpreview.com/news/9402970746/girl-with-a-pearl-earring-portrait-transformed-into-massive-10-billion-pixel-panorama
Jein … das war vor vier Jahren, als das Gemälde schon einmal digitalisiert worden war, allerdings mit einer geringeren Auflösung – 10 statt 108 Gigapixel.