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Schärfentiefe – ein letzter Versuch im Guten

Wir leben, so liest man, im postfaktischen Zeitalter, aber außerhalb der Politik sollte es doch klar sein, wie sich die Dinge verhalten – warum also muss man sich dann immer noch über die Schärfentiefe streiten?

Ich kann es schon nicht mehr zählen, wie oft ich diese und ähnliche Diskussionen geführt habe, aber jüngst ging es im Fuji-Forum wieder einmal darum, was die Schärfentiefe bestimmt. Ein Teilnehmer behauptete hartnäckig, bei Kameras mit größerem Sensor würde sich keine geringere Schärfentiefe einstellen.

Man kann in solchen Fällen auf die bekannten Formeln verweisen, aber die Formeln sind wenig anschaulich und werden Zweifler kaum überzeugen. Gehen wir die Sache also systematisch und ganz ohne höhere Mathematik an. (Nebenbei bemerkt: Obwohl Mathematik damals nicht meine Stärke war und ich über meine Abi-Arbeit in Mathe kein weiteres Wort verlieren möchte, habe ich doch seinerzeit mehr Mathematik gelernt, als ich in meinem ganzen Leben gebraucht habe.)

Das eigentliche Geheimnis der Schärfentiefe ist, dass es sie nicht gibt. Ein Objektiv bildet nur Motive in einer einzigen Entfernung scharf ab, nämlich der Entfernung, auf die es fokussiert ist. Allerdings ist der Übergang zwischen Schärfe und Unschärfe graduell und eine geringe Unschärfe können wir gar nicht erkennen. Wenn wir also die Schärfentiefe bestimmen wollen, müssen wir uns erstens fragen, welches Ausmaß von Unschärfe überhaupt als Unschärfe erkennbar ist, und dann berechnen, in welchen Entfernungen Motive noch so scharf abgebildet werden, dass uns deren Unschärfe unbemerkt bleibt.

Die erste Frage lässt sich nicht absolut beantworten. Aus großer Entfernung erscheint so ziemlich jedes Bild scharf; treten wir dagegen nahe heran und zücken eine Lupe, wird kaum noch ein Detail scharf erscheinen. Üblicherweise setzt man daher voraus, dass man Bilder aus einem typischen Betrachtungsabstand anschaut, in dem man das Bild gerade noch vollständig beurteilen kann. Dieser Abstand hängt von der Bildgröße ab und entspricht annähernd der Bilddiagonalen. Berücksichtigt man nun noch das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges, so muss man die allenfalls noch akzeptable Unschärfe als 1/3000 der Bilddiagonale definieren. Traditionell geht man von 1/1500 der Bilddiagonalen aus, was allerdings aus der Auflösung des damals verfügbaren Filmmaterials geschuldet ist.

Was passiert nun also, wenn wir einen größeren Sensor verwenden? Fangen wir mit einem Objektiv einer bestimmten Brennweite und einer Kamera mit einer bestimmten Sensorgröße an. Nehmen wir an, die Sensorgröße wäre APS-C, die Brennweite 35 mm und die Blende 2,0, und damit stellt sich eine bestimmte Schärfentiefe ein (Sie können meinen Schärfentiefenrechner benutzen, um diese zu berechnen).

schaerfentiefenrechner: Schärfentiefe

Vergrößern wir nun in einem ersten Schritt den Sensor – etwa auf das Kleinbildformat. Das Bild eines größeren Sensors muss weniger stark vergrößert werden, und auch die Unschärfe wird damit geringer vergrößert; das Bild wirkt damit schärfer und die Schärfentiefe steigt. Man kann es sich auch so erklären, dass die maximal akzeptable Unschärfe ein Bruchteil der Sensordiagonale ist (sei es 1/1500 oder 1/3000 der Sensordiagonalen), und ein größerer Sensor lässt mehr Unschärfe zu.

Der größere Sensor erfasst allerdings ein größeres Bildfeld und wenn wir den Bildwinkel gleich bleiben lassen wollen, müssen wir die Brennweite des Objektivs – das wir uns als Zoom vorstellen können – verlängern. Der Übergang von APS-C zu Kleinbild erfordert eine Brennweitenverlängerung um den Faktor 1,5. Die längere Brennweite führt zu einer stärkeren Vergrößerung, die die geringere Vergrößerung des Sensorbildes exakt kompensiert. Betrachten wir den größeren Sensor zusammen mit der verlängerten Brennweite, so ändert sich gar nichts; die Schärfentiefe bleibt gleich.

Während wir nun aber die Brennweite verlängert haben, blieb die Blendenöffnung dieselbe. Die Blendenzahl ist die Brennweite, geteilt durch die Eintrittspupille, also die effektive Öffnung, und wenn man die Brennweite verlängert, muss man auch die Eintrittspupille und damit die Blendenöffnung vergrößern, damit die Blendenzahl dieselbe bleibt.

Es ist daher die größere Blende, die im Endeffekt zu einer geringeren Schärfentiefe von Kameras mit größerem Sensor führt. Hält man dagegen statt der Blendenzahl die Eintrittspupille konstant, gibt es tatsächlich keinen Unterschied zwischen Kameras mit unterschiedlich großem Sensor. Wer auf APS-C statt Kleinbild setzt, muss lediglich eine um den Faktor 1,5 kleinere Blende wählen, um dieselbe Schärfentiefe zu erzielen.

Das Aufblenden hat eine natürliche Grenze; eine größere Blende als 0,5 ist physikalisch unmöglich und schon 1,0 so anspruchsvoll, dass solche Objektive recht kostspielig sind. Wenn man nach der geringstmöglichen Schärfentiefe strebt, ist ein APS-C-System daher schneller aus dem Rennen als ein Kleinbildsystem. Die Praxis sieht jedoch ein bisschen anders aus. Für Sensoren mit den Formaten FourThirds, APS-C und Kleinbild gibt es Objektive ähnlicher Lichtstärken, und die Kameras mit größerem Sensor können insofern Vorteile geltend machen, wenn es um die geringste Schärfentiefe geht. Schon im Kleinbildbereich erzielt man aber so geringe Schärfentiefen, dass es sich kaum lohnt, diese noch weiter zu verringern; APS-C reicht bereits für die meisten praktischen Belange aus. Im Mittelformat findet man daher kaum Objektive mit extrem großen Lichtstärken.

Generell gilt, dass sich die Abbildungsqualität eines Objektivs um so leichter optimieren lässt, je größer dessen Öffnungsverhältnis ist. Wenn man zum Ausgleich eines größeren Sensors zwar die Brennweite verlängert, die Eintrittspupille aber unverändert lässt, erreicht gleich viel Licht den Sensor, aber die Abbildungsleistung des Objektivs wird verbessert. Das ist die Strategie der Mittelformathersteller, die weniger extrem lichtstarke Objektive als solche mit einer hohen Korrektur produzieren.

Michael J. Hußmann
Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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9 Kommentare

  1. ein letzter Versuch im Guten

    Lieber Herr Hußmann, ob das eine lustige Drohung oder schlicht Resignation sein soll – Unsinn ist beides allemal. Und nach Ihrem selbst formulierten Widerspruch (»… gibt es tatsächlich keinen Unterschied zwischen Kameras mit unterschiedlich großem Sensor …«) wird fraglich, inwieweit hier Logik mitspielt. Ihr Erklärungsversuch erinnert mich eher an die Fabel vom Fuchs und den Trauben, in der ebenso offensichtliche Tatsachen nicht wahrgenommen werden wollen.

    Der Sensor ist nicht Schuld an der Schärfentiefe. Er bildet lediglich ab, was das Objektiv vor ihm erzeugt. Da er keinen Einfluss darauf hat, welches Objektiv ihm vorgesetzt wird, kann er folglich nicht haftbar gemacht werden, wie es dennoch nicht nur von Ihnen gebetsmühlenartig seit Jahren versucht wird. Es ist das Objektiv, das für die virtuelle Schärfentiefe verantwortlich zeichnet, nicht der Sensor. Eine anspruchsvollere größere Blende sowie die damit verbundenen höheren Kosten sind kein Grund, einen anderen Schuldigen benennen zu wollen

    Auch das Argument, man könne es doch mit dem Schärfentiefenrechner beweisen, greift nicht. Das belegt vielmehr, wie mit jeder (falsch-)definierten Formel alles berechnet/bewiesen werden kann, was gerade für richtig erachtet wird. Sogar das, was nach Ihren eigenen Ausführungen gar nicht existiert. Dagegen zeigt ein einfaches praktisches Experiment, dass das Aufnahmeformat keinen Einfluss auf die Schärfentiefe hat:
    eine Kamera mit unterschiedlichen Aufnahmeformaten (zum Beispiel Hasselblad xPan)
    ein und das selbe Objektiv bei gleichen Einstellungen von Brennweite, Entfernung und Blende für den gesamten Versuch
    Stativ mit darauf montierter Kamera.
    Mit nur einem Handgriff kann das Aufnahmeformat fast verdoppeln werden. Die virtuelle Schärfentiefe hingegen nicht, wenn, wie vorausgesetzt, alle anderen Aufnahmeparameter unverändert bleiben. Auch wird die unterschiedliche Nachvergrößerung, mit der so gern versucht wird, vermeintliche Unterschiede nachzuweisen, hier obsolet (und hoffentlich klar, weshalb diese exotische Kamera benannt wurde).

    So wie der selten dämliche Begriff »Brennweitenverlängerung« nicht nur von Amateuren in Negierung des eigentlich gemeinten nutzbaren Bildwinkels verwendet wird, so erscheint auch der Streit über die angeblichen Unterschiede der Schärfentiefe bei unterschiedlich großen Sensoren nicht ausmerzbar zu sein. Das dieser Nonsens immer wieder mit nicht zutreffenden Erklärungen befeuert wird, ist an sich schon traurig, das es auch ein Fachjournalist tut, vollkommen unverständlich.

    http://www.heinrich-zille.info

  2. Ich kann da Herrn Zille nur beipflichten.

    Sie begehen einen für den Anwender verwirrenden Fehler. Der Versuch, mit ein und derselben Optik aber unterschiedlichem Sensor das Gleiche flächenmäßig abzubilden setzt zwangsläufig die Veränderung der Brennweite des Objektivs oder die Veränderung des Standortes voraus. In beiden Fällen hat das eine Veränderung der Tiefenschärfe zur Folge.

    Dabei ist es so einfach: Testaufnahmen mit einer Festbrennweite bei gleicher Blende an unterschiedlichen Bodys (Sensor). Da gibt es bezüglich der Tiefenschärfe keinen Unterschied. Je größer der Sensor, desto größer die abgebildete Fläche (oder auch Bildwinkel). In diesem Zusammenhang könnte man auch den Begriff der Brennweitenverlängerung endlich mal begraben.

    Allerdings sehe ich da bei solch verwirrenden Berechnungen vollkommen schwarz. Für den Laien wirkt das hochwissenschaftlich und kompliziert und muss folglich richtig sein.

    Wie man sieht muss man sich immer noch streiten, wie sich die Dinge verhalten…

    Jens Rohland

  3. „Der Übergang von APS-C zu Kleinbild erfordert eine Brennweitenverlängerung um den Faktor 1,5.“
    Mein Gott, jetzt fangen Sie, der sich sonst eher bemüht, fundiertes Wissen zu vermitteln, mit der Brennweitenverlängerung an! Wie schafft es denn ein kleiner Sensor, die Brennweite eines Objektivs zu verlängern? Sollen Sie nicht das weit verbreitete, von Marketing und Journalisten erfundene Unwort versuchen abzuschaffen? Es gibt so viele Leute, die das für bare Münze nehmen. Beglücken Sie diese mit Wissen.
    Man muss sehr genau lesen um zu erkennen, dass Sie von der tatsächlichen Veränderung der Brennweite reden und nicht von der angeblich fiktiven durch die Sensorgröße.
    Und zur Schärfentiefe: Theoretisch gibt es keine, denn theoretisch kann nur jeweils eine Entfernung auf einen Punkt des Films oder Sensors scharfgestellt werden. Bei Sensoren ist es so, dass zwischen zwei Sensorpixeln ein Abstand besteht, unterschiedlich je nach Sensor und dessen Auflösung. Unschärfe gilt dann, wenn so ein (theoretischer) Punkt auf zwei oder mehr Sensorpunkte trifft. Nun haben Objektive auch nur begrenzte Möglichkeiten die Lichtstrahlen so zu bündeln, dass sie tatsächlich scharf abgebildet werden, ebenso bilden sie (theoretisch) in der Bildmitte schärfer ab als am Rand, doch da sie auch Massenprodukte sind, gibt es innerhalb eines Modells deutliche Unterschiede.
    Durch Abblenden kann also die Bündelung solange verbessert werden, bis die Beugung so stark wird, dass die sogenannten Unschärfekreise erkennbar werden. Dies ist bei hochauflösenden Sensoren ohne Tiefpassfilter ein wichtiger Faktor.
    Nur, da niemand weiß, was die Firmware mit den tatsächlich vorhandenen Sensordaten macht, ist da ohnehin viel Spekulation.

  4. Jetzt fehlt nur noch der vergleichende Unterschied zwischen Schärfentiefe und Tiefenschärfe, vielleicht ein Thema für den 01.04.2017 🙂 Keine Kritik, aber Blende und Schärfentiefenschärfe korrelieren hinsichtlich der Freistellung, und Sensorgröße mit Brennweite hinsichtlich Bildwinkel. Und wer das nicht kapiert, schaut mal bei Tamron, da gibt es ein tolles Tool für beide Veränderungsmöglichkeiten. Aber der Deutsche fragt ja nie nach der Zeit, sondern wie spät es ist, und wenn er wo was gegessen hat, war es nicht schlecht. Das Problem sitzt wie gewohnt zwischen den Ohren. Eine schöne Adventszeit noch…
    Peter Paul ZEHNER slowfoto.wordpress.com

  5. Guter Artikel, Herr Hußmann. Vielleicht mag man ihm nachsagen, nicht simpel genug formuliert zu sein, da die Verhältnisse anscheinend ja so simpel sind, aber die Nachredner drücken sich in gleichem Maße.

  6. Unsauber formuliert:
    „Wer auf APS-C statt Kleinbild setzt, muss lediglich eine um den Faktor 1,5 kleinere Blende wählen, um dieselbe Schärfentiefe zu erzielen.“

    Entweder: „um den Faktor 1,5 kleinere Blendenzahl wählen“ oder „um den Faktor 1,5 größere Blendenöffnung wählen“

  7. Um Abhängigkeiten zu verdeutlichen, muß man zunächst entscheiden welche Faktoren man dabei konstant halten möchte… möglichst alle anderen… und wenn das nicht möglich ist ohne den Vergleich praktisch unbrauchbar zu machen, dann kann man doch mit Hilfe der virtuellen Brennweitenverlängerung diese Vergleichbarkeit wieder herstellen.
    Ich finde dass sich Herr Hußmann da allgemein verständlich ausgedrückt hat. Stillschweigend wird vorausgesetzt, so habe ich es verstanden, dass man aus gleicher Entfernung, selbem Bildwinkel, und selber Lichtmenge pro Sensorfläche ein Motiv aufnimmt welches dann unter vergleichbaren Bedingungen unbeschnitten und aus gleicher Entfernung betrachtet werden soll. Wenn ihr Herrn Hußmann kritisiert würde ich gerne verstehen ob sich die Kritik auf die Prämissen der Vergleichbarkeit bezieht (die ihr womöglich für nicht praxisrelevant erachtet…habe ich nicht ganz verstanden), oder ob ihr sein Ergebnis selbst bei den vorgeschlagenen Voraussetzungen für falsch haltet. Mir erscheint der dargelegte Sachverhalt jedenfalls nachvollziehbar…

  8. Es geht also darum: „Ein Teilnehmer (des Fuji-Forums) behauptete hartnäckig, bei Kameras mit größerem Sensor würde sich keine geringere Schärfentiefe einstellen.“ Ich benutze drei Kameras mit unterschiedlichen Sensorgrößen: 1 Zoll, APS/C und 35mm Vollformat. Wenn ich mit den Kameras je ein Foto mit dem selben Bildausschnitt machen möchte, und an der Kleinbildkamera ein 50 mm Objektiv angesetzt habe, dann benötige ich an der APS/C-Kamera ein Objektiv mit etwa 35 mm Brennweite und an der mit dem 1 Zoll Sensor eine Brennweite von etwa 18 mm. Die jeweils kürzeren Brennweiten erzeugen bei gleichen Blendeneinstellungen eine jeweils größere Schärfentiefe. Das Foto, das mit der 1-Zoll-Sensor-Kamera aufgenommen wurde, weist schließlich die größte Schärfentiefe auf. Dass die geringere Schärfentiefe des Fotos aus der 35-mm-Kamera dem Sensor geschuldet ist, könnte man meinen, aber das kann wohl niemand ernsthaft begründen und Herr Zille hat sehr gut erklärt, was „Fakt“ ist.

    Die meisten Fotografierenden werden erfahren haben, dass es mitunter schwierig ist, mit den kurzen Brennweiten der „Kleinsensorkameras“ eine geringe Schärfentiefe zu erhalten. Die ist doch aber auch allein abhängig von der Brennweite des Objektivs und der Blendeneinstellung. Hier sind die Möglichkeiten aufgrund der geringen Größe der Kameras und der Objektive eingeschränkt.

    (Lieber Herr Hußmann, ich finde es seltsam zu lesen, dass ausgiebig erklären, dass es Schärfentiefe nicht gibt und dass Sie dann den Begriff doch ständig ihrem Text verwenden.)

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