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Das ewige Archiv: Wie DNA-Speicher die Fotografie unsterblich macht

Die Speicherung digitaler Bild- und Videodaten in synthetischer DNA ist keine ferne Utopie mehr. Mit einer unvorstellbaren Datendichte und einer Haltbarkeit von Jahrtausenden wird diese Technologie nicht nur unser Verständnis von Archivierung revolutionieren. DNA-Speicher könnte auch die Grenzen kreativen Schaffens neu definieren.

Jeder von uns kennt ihn, den stillen Friedhof der Festplatten und DVD-Scheiben im Kellerregal. Ein Mahnmal der digitalen Vergänglichkeit, gefüllt mit den Geistern vergangener Projekte, deren Datenlesbarkeit mit jedem Jahr unwahrscheinlicher wird. Wir haben den Umstieg von Silber auf Silizium gemeistert, doch der Triumph der digitalen Fotografie brachte uns eine neue, unerbittliche Sorge: die Flüchtigkeit unserer eigenen Archive. In einer fast schon poetischen Wendung der Geschichte liefert uns nun ausgerechnet der älteste Speicher der Welt die Lösung: die Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA.

Vom Rechenzentrum zum Reagenzglas

Die Dimensionen dieser Technologie sprengen unsere gewohnten Vorstellungen von Speicherkapazität. Vergessen Sie Terabyte und Petabyte für einen Moment. Ein einziges Gramm synthetischer DNA kann theoretisch 215 Millionen Gigabyte an Daten fassen. Um das zu veranschaulichen: Das gesamte visuelle Lebenswerk eines produktiven Fotografen, Hunderte von Terabyte an RAW-Dateien und bearbeiteten Bildern, würde in einer Menge DNA Platz finden, die leichter ist als ein Sandkorn und mit bloßem Auge nicht zu erkennen wäre. Die gesamten Bestände der größten Bildagenturen der Welt könnten in einem einzigen Reagenzglas archiviert werden.

Diese schwindelerregende Datendichte ist jedoch nur die eine Hälfte der Faszination. Die andere ist die schier unglaubliche Beständigkeit.

Das Ende der digitalen Demenz

Unsere digitalen Speichermedien sind notorisch kurzlebig. Eine Festplatte kann nach fünf Jahren den Dienst quittieren, eine SSD verliert ohne Stromzufuhr langsam ihre Daten, und wer heute noch ein Bandlaufwerk aus den Neunzigern betreiben kann, darf sich glücklich schätzen. Wir sind zu Sklaven eines ständigen Migrationszyklus geworden, der uns zwingt, unsere Archive alle paar Jahre auf neue Hardware zu kopieren – ein teures, fehleranfälliges und möglicherweise hoffnungsloses Unterfangen gegen den Zahn der Zeit.

DNA, trocken und kühl gelagert, spottet dieser Vergänglichkeit. Wissenschaftler extrahieren routinemäßig Erbinformationen aus zehntausende Jahre alten Knochen. Einmal in DNA-Stränge übersetzt, könnten unsere Fotografien und Filme nicht nur die Pyramiden überdauern, sondern potenziell jede menschliche Zivilisation. Das Konzept des „Backups“ würde obsolet; an seine Stelle träte das der permanenten Konservierung. Unser kulturelles Gedächtnis erhielte eine physische Form, die nahezu ewig währt.

Von der Petrischale zum Portfolio

Zugegeben, noch ist die Technologie nicht reif für den Schreibtisch im Fotostudio. Die Kosten für das Schreiben (DNA-Synthese) und Lesen (DNA-Sequenzierung) sind astronomisch. Doch wer die Entwicklung der Digitalfotografie miterlebt hat, weiß, wie schnell sich das ändern kann. Die ersten digitalen Kameras kosteten ein Vermögen und lieferten eine Bildqualität, über die wir heute nur milde lächeln können. Exponentielles Wachstum ist in der Technologie eine Konstante.

Initiativen wie die „JPEG DNA“ arbeiten bereits an internationalen Standards, um Bilddateien direkt und effizient in Basenpaare zu übersetzen. Große Technologiekonzerne investieren massiv in die Forschung, um die Kosten zu senken und die Prozesse zu automatisieren. Was heute noch ein exotisches Laborexperiment ist, könnte in einem Jahrzehnt ein spezialisierter Dienstleister für Langzeitarchivierung sein und in zwei Jahrzehnten vielleicht schon eine erschwingliche Option für jeden ernsthaften Kreativen.

Mehr als nur Archiv: Das molekulare Medium als Leinwand

Die wahre Tragweite dieser Entwicklung erschöpft sich jedoch nicht in der Lösung eines praktischen Archivierungsproblems. Abseits dieser pragmatischen Erwägungen eröffnet die Technologie ein Spielfeld für völlig neue künstlerische Konzepte, bei denen das Medium selbst zur Botschaft wird.

Stellen Sie sich einen Bildhauer vor, der sein gesamtes fotografisches Œuvre in DNA kodiert und diese Moleküle in das Harz einbettet, aus dem er seine Skulpturen gießt. Das physische Kunstwerk wird so zum buchstäblichen Träger des gesamten Lebenswerks, ein sichtbares Objekt und ein unsichtbares, umfassendes Archiv zugleich.

Oder denken Sie an einen Naturfotografen, der eine Serie über eine bedrohte Pflanzenart anfertigt. Er könnte die Bilddaten in die DNA von Samen genau dieser Pflanze integrieren. Die Pflanze selbst würde zum lebendigen Denkmal ihrer eigenen Dokumentation, eine untrennbare Fusion von Abbild und Abgebildetem. Die Grenzen zwischen dem digitalen Artefakt und der physischen Welt lösen sich auf. Ein Bild ist nicht länger nur eine Datei oder ein Druck, sondern kann zu einem integralen Bestandteil jedes denkbaren Materials werden.

Die Last der Unendlichkeit: Wenn nichts mehr verloren geht

Jede technologische Befreiung bringt neue Fesseln mit sich. Die Möglichkeit, alles für immer zu bewahren, konfrontiert uns mit einer paradoxen Last: dem Verlust durch Vergessen. Bisher zwang uns die Begrenztheit von Speicher und Haltbarkeit zu einer bewussten Auswahl. Wir mussten entscheiden, was es wert war, für die Nachwelt erhalten zu werden. Dieser Selektionsdruck war ein wesentlicher Teil des kreativen und editorischen Prozesses.

Wenn nun potenziell alles gesichert werden kann, droht unser visuelles Erbe in einer unendlichen Datenflut zu ertrinken, in der das Meisterwerk neben dem trivialen Schnappschuss für die Ewigkeit konserviert wird. Die Fähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, wird zu einer noch entscheidenderen kulturellen Kompetenz.

Gleichzeitig wächst die Verantwortung. Wenn wir wissen, dass ein Bild oder ein Filmclip potenziell in 10.000 Jahren noch von jemandem – oder etwas – betrachtet werden kann, verändert das vielleicht unseren Blick auf das, was wir überhaupt in die Welt setzen. Die Flüchtigkeit des Moments weicht der Permanenz der Aufzeichnung. Dies könnte im günstigsten Fall zu einer neuen Ernsthaftigkeit im Umgang mit unseren eigenen Werken führen, einer bewussteren Auseinandersetzung mit der langfristigen Wirkung unserer visuellen Botschaften.

Der molekulare Workflow: Vom Binärcode zur Basensequenz

In der Praxis würde der kreative Prozess zunächst vertraut bleiben. Die Aufnahme und Bearbeitung erfolgen weiterhin mit digitalen Werkzeugen. Der entscheidende neue Schritt wäre der Export zur Archivierung. Statt die finalen Daten auf eine Festplatte zu schreiben, würde eine Software sie in eine Abfolge der vier DNA-Basen (A, T, C, G) übersetzen. Ein spezialisierter Dienstleister würde diese Sequenz dann chemisch synthetisieren und in einer stabilen, trockenen Form ausliefern – vielleicht in einer kleinen Kapsel.

Für den Lesezugriff würde diese Kapsel zurück an ein Labor geschickt, wo die DNA sequenziert und die Basenabfolge wieder in den ursprünglichen Binärcode zurückübersetzt wird. Für den schnellen Zugriff im Arbeitsalltag bleibt die Festplatte unersetzlich, doch für das unveränderliche Master-Archiv gäbe es eine endgültige, sichere Heimat.

Wir stehen an der Schwelle zu einer Ära, in der die Codes des Lebens und die Codes der Maschine verschmelzen. Für uns als Bildschaffende ist dies mehr als nur ein neues Speichermedium. Es ist die Verheißung eines ewigen Gedächtnisses für unsere Arbeit und zugleich die Herausforderung, mit der damit verbundenen Verantwortung und den neuen kreativen Freiheiten umzugehen. Die Fotografie, einst an die Chemie des Silbers und dann an die Physik des Siliziums gebunden, findet ihre vielleicht endgültige Erhaltungsform in der Biologie des Lebens selbst.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

4 Kommentare

  1. Wieso kennt eigentlich keiner mehr das Akronym DNS, wenn er von der Erbsubstanz schreibt? Muss im Deutschen immer das ach so cool und international klingende DNA verwendet werden? Weiss überhaupt irgendjemand, der das Akronym für die Erbsubstanz tippt, was DNS bzw. DNA ausgeschrieben bedeutet (ja, wenn ihrs jetzt googlet, gilt meine Frage nicht)?!

    1. In der Schule hatte ich in den 1970er Jahren noch gelernt, dass es Desoxyribonukleinsäure, abgekürzt DNS heißt, aber in diesem Jahrhundert hat sich die englische Abkürzung DNA durchgesetzt – aus „Säure“ wurde „Acid“. Vermutlich liegt es daran, dass vornehmlich in wissenschaftlichen Zusammenhängen von diesem Begriff die Rede ist, und die internationale Wissenschaftssprache ist nun mal Englisch.

      Dafür reden die Engländer und US-Amerikaner bis heute von „LSD“, verwenden also die deutsche Abkürzung. Im Volksmund heißt die Droge zwar „Acid“, aber im LSD verbirgt sich weiterhin die deutsche „Säure“ (LSD wurde in Basel, also im deutschsprachigen Teil der Schweiz entdeckt).

  2. „Vergessen Sie Terabyte und Petabyte für einen Moment. Ein einziges Gramm synthetischer DNA kann theoretisch 215 Millionen Gigabyte an Daten fassen.“ Na ja, 215 Millionen Gigabyte SIND 215 Petabyte. So ganz vergessen tu‘ ich diese Einheiten also nicht …

  3. Das Problem mit der Speicherung von Daten in DNS ist, dass bei jedem Auslesen ein Teil des Trägermaterials aufgebraucht (vernichtet) wird. Anders, als beim Lesen eines elektronischen Speichermediums, wo theoretisch fast unendlich viele Lesevorgänge non-invasiv und non-destruktiv erfolgen können. Dennoch stellt die Ewigkeitarchivierung mittels DNS eine überzeugende Methode dar, Information, welche nicht regelmässig ausgelesen werden soll, für sehr, sehr lange Zeiträume stabil zu bewahren!

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