Das Ende der Wahrheit? Journalismus am Rande des Zusammenbruchs

Was kommt auf uns zu, wenn die Wahrheit zur Ware wird und niemand mehr für sie bezahlt? Neulich traf ich einen alten Bekannten, der bei einer renommierten Tageszeitung arbeitet. „Ich bin jetzt Prompt-Engineer“, sagte er mit einem Lächeln, das nicht zu seinen Augen vordrang. „Ich formuliere Anweisungen für KI-Systeme, die dann den Artikel schreiben. Es geht schneller, ist billiger und die meisten bemerken den Unterschied nicht.“ Diese Anekdote ist keine ferne Zukunftsvision. Sie ist die logische Konsequenz eines perfekt ausgeführten Zangenangriffs auf den unabhängigen Journalismus.
Der doppelte Todesstoß für die freie Presse
Von einer Seite nagt die Erosion des Urheberrechts. Politische Weichenstellungen, wie sie Donald Trump mit seiner Aussage, Urheber könnten keine Entschädigung von KI-Konzernen erwarten, vorwegnimmt, legen die Axt an die Wurzel des publizistischen Geschäftsmodells. Wenn journalistische Arbeit – Texte, Bilder, Analysen – zur kostenlosen Trainingsmasse für Algorithmen verkommt, entfällt eine zentrale Einnahmequelle.
Von der anderen Seite greifen die Tech-Giganten nach dem Lebenssaft der Verlage: dem Webtraffic. Aktuelle Analysen zeigen, dass bereits heute fast zwei Drittel aller Google-Suchen ohne einen einzigen Klick auf eine externe Webseite enden. Die Nutzer erhalten ihre Antwort direkt von der KI-Übersicht und verlassen das Google-Universum nicht mehr. Für die Medien ist das katastrophal. Jeder nicht getätigte Klick ist eine verlorene Werbeeinnahme, ein potenzieller Abonnent weniger. Die Folge ist, wie es eine Studie des Pew Research Centers beschreibt: Der Einsatz von KI-Zusammenfassungen kann die Klicks auf die ursprünglichen Quellen nahezu halbieren.
Die Paywall-Falle: Wer sich die Wahrheit noch leisten kann
Die Verlage reagieren auf den Einbruch des Werbegeschäfts mit dem, was ihnen bleibt: Bezahlschranken. Doch dies ist eine Lösung, die ein weitaus größeres gesellschaftliches Problem schafft. Sie führt geradewegs in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Information. Auf der einen Seite steht eine schrumpfende Elite, die es sich leisten kann und will, für aufwendig recherchierte, von Menschen geprüfte Inhalte zu bezahlen. Auf der anderen Seite steht die breite Masse der Bevölkerung.
Diese Mehrheit ist ohnehin seit zwei Jahrzehnten daran gewöhnt, für Informationen im Netz nicht zu bezahlen. Sie wird wohlmöglich gänzlich von den qualitativ hochwertigen Quellen (jenseits der öffentlich-rechtlichen Medien) ausgeschlossen und ist auf das angewiesen, was aus den frei zugänglichen Quellen verfügbar bleibt: die algorithmisch aufbereiteten, oft interessengeleiteten Informationshäppchen der Tech-Konzerne und die unüberschaubare Flut an Meinungsblogs, Social-Media-Posts und Desinformationskampagnen.
Hier schließt sich ein Teufelskreis: Menschen ohne Zugang zu verlässlichen Informationen und ohne geschulte Medienkompetenz können die Qualität von Quellen kaum bewerten. Sie werden zur leichten Beute für Propaganda und Manipulation, die von KI-Systemen effizient und personalisiert ausgespielt wird. Fraglich ist nur, wie weit das überhaupt ein Zukunftsszenario ist oder für die meisten nicht längst schon gelebte Wirklichkeit.
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Die lautlosen Redaktionen der Zukunft
Aber zurück zur wirtschaftliche Seite: Was passiert, wenn Berichterstattung nicht mehr monetarisierbar ist? Niemand wird wieder anfangen, gedruckte Zeitungen zu kaufen, nur um Verlage zu unterstützen. Die Konsequenz ist die vollautomatisierte Medienproduktion. Die Redaktionen dieser Zukunft sind vermutlich keine Orte des Diskurses und der Recherche mehr, sondern Serverfarmen, in denen journalistisch arbeitende Prompt-Engineers nicht nach der Wahrheit suchen, sondern die KI so instruieren, dass das Ergebnis der Ideologie oder zumindest den wie auch immer gearteten wirtschaftlichen Wünschen der Eigentümer entspricht.
Wie schnell eine KI auf Linie gebracht werden kann, demonstrierte Elon Musk mit seinem Chatbot Grok, der nach anfänglicher Kritik am Chef plötzlich dessen kontroverse Standpunkte übernahm. Auch der politische Druck wächst. Wenn Generalstaatsanwälte Drohbriefe an KI-Firmen schicken, weil deren Dienste eine Regierungsbilanz nicht positiv genug bewerten, ist der Weg zur Zensur durch den Algorithmus nicht mehr weit.
Die Faktenbasis der öffentlichen Debatte wird so systematisch entzogen. An ihre Stelle tritt eine synthetische Wahrheit, die sich aus den KI-Modellen speist und im Sinne ihrer Besitzer die Wirklichkeit deutet. Aus der vierten Gewalt im Staate wird der verlängerte digitale Arm der Mächtigen.
Die Alchemie des Überlebens
Gibt es einen Ausweg? Der Journalismus wird sicher überleben, aber in mutierter Form. Sein Wert wird sich verschieben. Wenn KI Fakten und Standardmeldungen in Sekundenbruchteilen generiert, werden andere Qualitäten entscheidend: die tiefe Analyse, die überraschende Perspektive, die persönliche Einordnung und die Kunst, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen.
Doch die ökonomische Basis für diese Art von Arbeit schwindet rapide. Das fundamentale Paradox unserer Zeit lautet: Je mehr KI-generierte Inhalte die Welt fluten, desto wertvoller wird eine echte unabhängige Perspektive – und desto schwieriger wird es, von ihr zu leben. Die Entscheidung, ob wir in einer dystopischen Informationswüste oder in einer Gesellschaft mit Zugang zu unabhängigem Journalismus leben wollen, wird nicht in den Chefetagen der Tech-Konzerne gefällt. Sie wird von jedem Einzelnen von uns getroffen, jeden Tag, mit jedem Klick. Leider vergessen wir das immer wieder und helfen so den Zuckerbergs und den Musks dieser Welt, ihre Macht über uns zu vergrößern.
Munter bleiben!






Ein schonungsloser Blick, wahr und beängstigend weil es viele nicht mal mitbekommen. 🤔
Sehr guter Artikel
Ich frage mich warum so viele es nicht mitbekommen. Ligt es an der Bequemlichkeit oder Vieleicht an der Komplexität der Materie? Andererseits muss man sagen ist die Propaganda mit den Aktuellen Mitteln auch viel effektiver?
Der Artikel wirkt wie ein Abgesang auf den Journalismus – ähnlich wie manche Fotografen einst den Untergang ihrer Kunst im Zeitalter der Digitalfotografie beschworen. Heute wissen wir: Technik verändert, aber sie zerstört nicht zwangsläufig. KI übernimmt die reine Faktenberichterstattung schneller und präziser – und das ist keine Katastrophe, sondern eine Chance. Journalismus kann sich auf das konzentrieren, was Maschinen (noch) nicht können: Hintergründe beleuchten, komplexe Zusammenhänge verständlich machen, Perspektiven einordnen und auch gegen den Mainstream denken. So wie ein guter Fotograf nicht nur den Auslöser drückt, sondern eine Geschichte erzählt, muss moderner Journalismus mehr liefern als Daten – nämlich Bedeutung. KI ist dabei kein Feind, sondern ein Werkzeug, das kreative Köpfe nutzen sollten. Das gilt für Bilder wie für Worte.
„Hintergründe beleuchten, komplexe Zusammenhänge verständlich machen, Perspektiven einordnen und auch gegen den Mainstream denken. So wie ein guter Fotograf nicht nur den Auslöser drückt, sondern eine Geschichte erzählt, muss moderner Journalismus mehr liefern als Daten – nämlich Bedeutung“
Leider ist niemand mehr bereit, ein angemessenes Honorar für dieses zusätzliche Leistung zu bezahlen.
Wer gegen den Mainstream denkt, wird nicht veröffentlicht, weil es zu wenig Klicks bringt. So einfach ist das.
Katastrophe!
Zwei Dinge dazu:
1.: Ich bin online-Abonnent einer Tageszeitung und fleißiger Forumsteilnehmer.
Ab und zu werden meine geistigen Ergüsse auch gelöscht von der „Moderation“. Nun gut.
Was mir aber auffiel:
Beiträge von anderen Foristen, selbst wenn sie einander anpöbelten, blieben online.
Wenn ich mich aber erdreistete, nicht die Aussagen eines Mitforisten zu kritisieren, sondern den Zeitungsartikel oder den Autoren desselben, dann wurde ich des Öfteren gelöscht.
Zufall oder moderiert eine KI das Forum, auf Unfehlbarkeit der Zeitungsschreiber programmiert?
2.: Neulich habe ich ein Interview mit einem Matheprofessor gehört, der im ersten Leben als Schlosser gearbeitet hat.
Er verbreitete die pessimistische Ansicht, das ALLE Jobs, wo die Leute letztlich „Worte“ erzeugen, auch wenn diese von Powerpoint-Künstlern grafisch aufbereitet werden, in naher Zukunft entbehrlich, weil zu teuer sind und durch KI ersetzt werden.
Goldgräberstimmung hingegen beim Handwerk: Eine KI wird nie eine Heizung reparieren können…
Nur die jungen Leute haben das noch nicht verstanden, das Handwerk sucht dringend Nachwuchs.
Zudem gibt es Auswüchse:
Versucht man in der Großstadt einen Klempner zu bekommen (Stundensatz um die 75,- EURO), dann erhält man am Telefon die Auskunft: In 3 bis 4 Monaten.
Bietet man dann 250,- pro Stunde, ist der Meister in einer halben Stunde da.
Kenne ich doch schon ähnlich: Beim Versuch, einen Facharzttermin zu erhalten öffnet die Aussage „Selbstzahler“ ungeahnte Möglichkeiten.
Schöne neue Welt!