News & Szene

Elena Efeoglous Dialog zwischen August Sander und KI

Die Debatten um künstliche Intelligenz in der Bildproduktion erreichen immer neue Höhen, und die Flut an Werkzeugen, Möglichkeiten und Kontroversen scheint unaufhaltsam. In diesem spannungsgeladenen Umfeld kündigt Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln eine Ausstellung an, die das Potenzial besitzt, die Diskussionen um Bildgenerierung, Autorschaft und fotografische Wahrheit mit neuer Dringlichkeit und historischer Tiefe zu versehen. Vom 16. Mai bis zum 13. Juli 2025 wird die griechische Künstlerin Elena Efeoglou ihre KI-gestützten Arbeiten im Rahmen der Internationalen Photoszene Köln in einen Dialog mit August Sanders Jahrhundertwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ treten lassen. Eine Auseinandersetzung, die für ambitionierte Bildgestalter von höchstem Interesse sein dürfte.

Sanders unerschütterlicher Referenzpunkt: Ein soziologischer Blick als Fundament

August Sanders monumentales Porträtwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ bedarf hier vermutlich kaum einer ausführlichen Vorstellung. Sein ambitionierter Versuch, ein umfassendes soziologisches Abbild der Gesellschaft seiner Zeit in klar strukturierten, archetypischen Porträts zu dokumentieren, gilt bis heute als einflussreicher Meilenstein der Fotografiegeschichte. Sanders nüchterner, direkter Blick, seine präzise Komposition und sein Bestreben, den Menschen in seinem sozialen Kontext und seiner beruflichen Rolle zu zeigen, haben Generationen von Fotografen geprägt. Er lieferte nicht nur Abbilder, sondern schuf visuelle Chiffren gesellschaftlicher Strukturen und menschlicher Typen, die bis heute nachwirken und zur Reflexion anregen. Genau hier setzt Elena Efeoglou mit ihrer künstlerischen Forschung an.

Efeoglous KI-Experimente: Algorithmische Antworten auf historische Bildkonzepte

Elena Efeoglou, eine visuelle Künstlerin aus Thessaloniki, Griechenland, die im Sommer 2024 als Gast in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur weilte und dort mit ihrer Arbeit an diesem Projekt begann, nutzt die Möglichkeiten generativer KI-Systeme. Ihr Ziel ist es, Sanders Kategorien und Bildideen in die Gegenwart zu überführen – oder genauer gesagt, zu untersuchen, wie eine künstliche Intelligenz diese historischen Konzepte heute interpretiert. Efeoglou, die einen Doktortitel des Fachs Bildende und Angewandte Kunst besitzt, füttert Algorithmen mit Prompts, die auf Sanders Gruppen basieren, etwa „Der Bauer“, „Der Handwerker“, „Die Frau“ oder „Der Künstler“ . Die Resultate sind dabei keineswegs bloße Imitationen oder digitale Kopien von Sanders Ästhetik. Vielmehr entstehen eigenständige, vielleicht irritierende Bildwelten, die das Spannungsfeld zwischen menschlicher Intention und maschineller Interpretation ausloten.

Die Künstlerin geht dabei über eine reine Anwendung der Technologie hinaus. Sie hinterfragt kritisch, wie die in den Trainingsdaten der KI-Modelle verankerten Vorstellungen und möglicherweise auch Stereotypen die generierten Bilder prägen. Welche visuellen Klischees werden reproduziert, wenn eine KI aufgefordert wird, einen „typischen“ Vertreter einer Berufsgruppe oder eines sozialen Standes zu visualisieren? Wie verändern sich diese Darstellungen im Vergleich zu Sanders historischem Blick, und was sagt das über unsere heutige, medial geprägte Wahrnehmung von Gesellschaft aus? Efeoglou macht in ihren Arbeiten sichtbar, wie Realität und Fiktion in den synthetischen Bildern verschwimmen und fordert den Betrachter heraus, die Mechanismen hinter diesen neuen Bildformen zu dechiffrieren.

Implikationen für Bildschaffende: Mehr als nur neue Werkzeuge

Die Ausstellung „Elena Efeoglou: Realität und Fiktion verschwimmen – August Sander trifft auf KI“ verspricht somit weit mehr als eine Leistungsschau algorithmischer Möglichkeiten. Sie rührt an Grundfesten des fotografischen Diskurses und wirft Fragen auf, die jeden professionellen Bildgestalter heute intensiv beschäftigen (sollten): Was bedeutet Autorschaft im Zeitalter synthetischer Medien? Wie definieren wir Originalität, wenn Bilder aus einem riesigen Datensee neu kombiniert und variiert werden können? Und welche Rolle spielt die Fotografie noch als vermeintlich authentisches Abbild der Wirklichkeit, wenn täuschend echte, aber komplett generierte Bilder unsere visuelle Kultur zunehmend durchdringen?

Für Fotografen und Bildbearbeiter bietet Efeoglous Ansatz wertvolle Denkanstöße. Es geht nicht nur darum, KI als neues Werkzeug zur Optimierung oder zur Effizienzsteigerung zu begreifen. Vielmehr eröffnet sich ein Feld für experimentelle und kritische Auseinandersetzungen mit dem Medium Bild an sich. Die Gegenüberstellung von Sanders Originalabzügen – Ikonen der Fotografiegeschichte – mit den flüchtigen, prozesshaften und oft auch unperfekten Ergebnissen der KI-Generatoren dürfte dabei besonders aufschlussreich sein. Sie visualisiert die Verschiebungen im Verständnis von Bildproduktion und -rezeption und lädt dazu ein, die eigene Position im Kontext dieser rasanten Entwicklungen zu reflektieren.

Es ist eine Einladung, die eigene Wahrnehmung zu schärfen und die Grenzen zwischen dem Gesehenen, dem Imaginierten und dem Generierten neu zu vermessen.

Zeig mehr

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

Schreibe einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"