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Adobe kauft Semrush: Das Ende der Kunstfreiheit oder nur ein neues Werkzeug?

Es sind die trockenen Zahlen, die oft die größten Geschichten erzählen. Adobe, der noch unangefochtene Platzhirsch für Kreativ-Software, steht kurz davor, für rund 1,9 Milliarden US-Dollar den SEO-Dienstleister Semrush zu übernehmen. So berichten es zumindest gut unterrichtete Kreise. Der Preis entspräche einem Aufschlag von fast 80 Prozent auf den aktuellen Börsenwert – eine Summe, die man nicht für ein bisschen Suchmaschinen-Kosmetik auf den Tisch legt. Hier geht es also vermutlich nicht um ein weiteres Plug-in. Hier wird die Architektur der digitalen Kreativwirtschaft neu gezeichnet.

Was auf den ersten Blick wie eine rein betriebswirtschaftliche Entscheidung zur Portfolio-Erweiterung aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein strategischer Schachzug von enormer Tragweite. Adobe, der Meister der Werkstatt, holt sich den Meister des Marktplatzes ins Haus. Die Fusion von Photoshop und Semrush ist die logische Konsequenz einer Entwicklung, in der der Wert eines Bildes nicht mehr allein durch seine ästhetische Qualität, sondern maßgeblich durch seine digitale Sichtbarkeit bestimmt wird. Die Frage ist nicht mehr nur „Wie gut ist das Bild?“, sondern „Wird es überhaupt gesehen?“.

Der geschlossene Kreislauf der Kreativität

Die eigentliche Sprengkraft des Deals liegt in der Schaffung eines Ökosystems, das den gesamten kreativen Prozess von der Idee bis zur Auswertung unter einem Konzerndach vereint. Man muss sich diesen neuen Arbeitsablauf nur einmal vor Augen führen: Zuerst analysiert der Kreative mit Semrush-Werkzeugen, welche Themen, Bildsprachen und Schlüsselbegriffe gerade eine hohe Nachfrage bei Suchmaschinen und in sozialen Netzken haben. Auf Basis dieser Daten wird dann in der Adobe Creative Cloud – von Photoshop über Illustrator bis Premiere – der passende Inhalt gefertigt. Anschließend wird das fertige Werk erneut durch die Semrush-Analyse geschickt, um es für maximale Reichweite zu optimieren – nicht nur für Google (SEO), sondern auch für die neuen generativen KI-Systeme (GEO, Generative Engine Optimization). Am Ende liefert das System die Auswertung, wie erfolgreich die Arbeit war, und der Kreislauf beginnt von vorn.

Diese Integration von Inhaltsproduktion und Datenanalyse ist die Perfektionierung eines Modells, das Kreativität als berechenbare Variable in einer Gleichung zur Aufmerksamkeitsmaximierung begreift. Die Verlockung für Agenturen, Marketingabteilungen und auch für freischaffende Künstler ist immens: ein nahtloser Prozess, der den Erfolg quasi planbar macht. Doch der Preis für diese Effizienz ist eine potenziell schleichende Entmündigung. Die datengestützte Empfehlung, welche Farbpalette gerade „trendet“ oder welcher Bildausschnitt die höchste Klickrate verspricht, ist nur einen Mausklick von der algorithmischen Vorgabe entfernt.

Auftragsarbeit für den Algorithmus

Für den einzelnen Bildschaffenden, der sein Handwerk über Jahre verfeinert hat und auf seine visuelle Intuition vertraut, bedeutet dies eine Zerreißprobe. Das Ideal des unabhängigen Autors, der mit seiner Kamera oder seinem Stift eine eigene Sicht auf die Welt formuliert, gerät unter Druck. An seine Stelle tritt das Anforderungsprofil des Content-Lieferanten, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die von den Daten vorgegebenen Lücken mit ästhetisch ansprechendem Material zu füllen. Die künstlerische Vision wird zur Manövriermasse im Kampf um die vorderen Plätze im Aufmerksamkeits-Ranking.

Natürlich wird niemand gezwungen, diese Werkzeuge zu nutzen. Doch der Marktdruck wird unweigerlich steigen. Wer sich dem datenoptimierten Workflow verweigert, riskiert, im digitalen Rauschen unterzugehen – unsichtbar für Kunden, unsichtbar für die Algorithmen, die heute als die neuen Kuratoren fungieren. Die Ironie dabei ist, dass gerade die Werkzeuge, die einst zur Befreiung der Kreativität angetreten sind, nun den Rahmen für ihre Verwertung immer enger ziehen könnten. Die Unterscheidung zwischen einem eigenständigen Werk und einer Auftragsarbeit für den Algorithmus wird zunehmend verschwimmen.

Souveränität im Datenstrom: Eine Frage der Haltung

Ist dies also das düstere Ende der Kunst, wie wir sie kannten? Nicht zwangsläufig. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten, aber unser Umgang damit ist eine bewusste Entscheidung. Es geht nicht darum, sich der Technologie zu verweigern, sondern darum, eine Haltung zu ihr zu entwickeln. Die neuen, integrierten Werkzeuge von Adobe und Semrush können durchaus mächtige Hilfsmittel sein, um die eigene Arbeit einem größeren Publikum zugänglich zu machen und die Mechanismen der digitalen Welt besser zu verstehen. Die Gefahr beginnt dort, wo die Datenanalyse vom Diener zum Herrn wird, wo die Statistik die Intuition ersetzt und die Kennzahl die Komposition diktiert.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

2 Kommentare

  1. Man muss sich davon frei machen, das die Werke, die wir in der Agentur produzieren, „Kunst“ oder auch nur „schön“ sind. Mit etwas Glück entspricht es so leidlich dem eigene Geschmack. Am Ende geht es um eines: Verkaufen. Von uns an unsere Kunden, der an seinen Kunden und so weiter und so fort. Schon jetzt wird die Qualität der Texte, der Programmierung und des Designs an der Performance, der Klicks, der Response gemessen. Das schönste im Pitch bejubelte Design wird umgeworfen, wenn die Klickzahlen nicht stimmen. Das schon bei der Bilderstellung zu Berücksichtigen erspart mir nur die Unsicherheit, des „persönlichen“ Auswahlverfahrens und minimiert den Rechercheaufwand. Am Schluss stimme ich Ihnen zu. Im Bezug auf mein kreatives Schaffen muss ich Haltung zeigen. Seit Jahren schon. Erschaffe ich etwas für mich, als Werk mit eigener Aussage – oder für Likes?

  2. Eines ist ja wohl klar und wird nicht besser mit der Zeit, Geld und Gier frisst den Menschen auf und das in immer schnelleren Schritten. Wann wird oder kann es der Mensch der Neuzeit endlich begreifen? Es ist absehbar das wir zu einer verlorenen Spezies zählen und nicht überleben werden. Ich hätte es gern ausgelassen und hoffe das ich dann schon weg bin von hier. Die Welt war nie besser und kann es auch mit den Geldgeilen Monster nie werden.

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