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Kreuz ohne Religionsbezug

Kreuz ohne Religionsbezug
Kreuz ohne Religionsbezug, eben bloß bayerisches Brauchtum / Fotos und Montage: Doc Baumann

Es ist ein Kreuz mit dem Kreuz! Man könnte Söders vielzitierten Satz „Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion“ schlicht als Zeichen von Unkenntnis verstehen. Doch da der Mann bis Anfang dieses Jahres Mitglied der bayerischen evangelischen Landessynode war, muss man davon ausgehen, dass er weiß, dass das Kreuz ohne Religionsbezug wenig Sinn ergibt. Was eigentlich nur bedeuten kann, dass er das Kreuz zwar als leeres Symbol (und auf dem Landtagswahl-Stimmzettel) will, es aber keine ethischen Anforderungen nach sich ziehen soll, meint Doc Baumann.

Selbst als Atheist weiß ich, dass das Kreuz das Zeichen einer Religion ist. Behauptet jemand das Gegenteil, weiß er es entweder nicht besser oder er will mit dieser Aussage etwas Bestimmtes erreichen. Ein ehemaliges Mitglied der evangelischen Landessynode wird so schnell nicht vergessen haben, dass das Kreuz ohne Religionsbezug im christlichen Bayern nicht denkbar ist – Unkenntnis scheidet damit als Erklärung aus. Bleibt also Absicht.

Nun steht der Satz ja nicht im luftleeren Raum, sondern im Zusammenhang mit dem Beschluss, künftig im Eingangsbereich aller bayerischen Behörden ein Kreuz aufzuhängen. Man hätte als Symbol bayerischer Identität ja auch ein Biermaß oder eine Lederhose dorthin hängen können – hat aber das Kreuz gewählt.

Derzeit gibt es ja vor allem im politisch rechten Spektrum viele, die vom christlichen Abendland schwadronieren, sich in ihrem Handeln jedoch eher dadurch auszeichnen, weder die Maximen des christlichen Religionsgründers in die Praxis umzusetzen, noch vertieftes Wissen über die Geschichte dieses Abendlandes mitzubringen.

Würde man das Kreuz in bayerischen Behörden mit ausdrücklicher Bezugnahme auf das Christentum aufhängen, zöge das die moralische Verpflichtung nach sich, dass dort nach christlichen Leitlinien gehandelt und entschieden würde. (Na ja, vielleicht doch nicht unbedingt: Es gibt ja in Deutschland zwei Parteien, die das „Christliche“ ausdrücklich im Parteinamen tragen, ohne daraus jemals die erkennbare Verpflichtung abgeleitet zu haben, in diesem Sinne Politik zu machen.) Sagt man dagegen: „Das Kreuz ist nicht das Zeichen einer Religion“, dann wird es zu einem beliebigen Symbol für bayerisches Brauchtum, unterscheidet sich nicht weiter von Bierseidel oder Weißwurst und konfrontiert niemanden mit der lästigen Forderung, im Sinne des Christentums handeln und entscheiden zu müssen.


Reaktionen aufs Kreuz ohne Religionsbezug


Kaum hatte Söder seinen nicht sonderlich intelligenten Spruch abgelassen, schon hagelte es im Web und in den Medien Kritik: Von ernsthaft auf theologischer Seite bis hin zu Spott und Häme im Web. Ernsthaft ging es der Bochumer Dogmatik-Professor Georg Essen an: „Für ihn sei die Begründung, das Kreuz sei ein ‚sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland‘, eine Instrumentalisierung und ‚eine veritable Häresie‘. Später ergänzte er: ‚Ich sage das jetzt mal als gläubiger Katholik und Theologe mit Kreuz im Arbeitszimmer: Für mich ist diese politische Instrumentalisierung durch Söder Blasphemie, theologisch eine Häresie und verfassungsrechtlich nur schwer erträglich‘.“

Dagegen kann offensichtlich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gut mit dem Kreuz ohne Religionsbezug leben, denn sein Präsident Thomas Sternberg erklärte: „Ich halte die Häme und Satire in sozialen Netzwerken, wo es in diesen Zusammenhang zum Beispiel um Thüringer Bratwürste oder Niedersächsischen Grünkohl geht, für völlig niveaulos und unter der Gürtellinie“. Also nicht die Aussage selbst ist niveaulos, sondern die negativen Reaktionen darauf. Danke, sehr aufschlussreich!

Gespannt wartete ich auf eine Reaktion des Münchner Kardinals Marx. Schließlich hatte der schon einmal Söder kritisiert, vor zwei Jahren, als der damalige bayerische Finanzminister gesagt hatte: „Der Staat soll sich um seine Angelegenheiten kümmern, die Kirche um ihre.“ (Wobei ich ihm ausnahmsweise mal recht gebe – auch wenn er sich jetzt um die kirchliche Aufgabe kümmert, Kreuze an Wänden zu verteilen.) Damals hatte Marx erklärt, Politik müsse sich an Grundprinzipien messen lassen.

Nun, wenn das Kreuz ohne Religionsbezug in der Behörde herumhängt und nur noch für Brauchtum steht, gibt es dieses Messen an Grundprinzipien natürlich nicht mehr. Marx, aufwachen!

Früher gab es ja wenigstens noch die Inquisition, die solche Ketzereien mit angemessenen Leibesstrafen ahndete. Aber vom Chef der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre, dem spanischen Erzbischof Luis Francisco Ladaria Ferrer, habe ich auch noch nicht gehört, dass er in einem finsteren bayerischen Bierkeller ein Inquisitionsverfahren einleiten will.

Bemerkenswert übrigens auch, wie wie Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Söders Satz kommentierte. Sie hält es „es für wichtig und richtig, die Normen und Werte zu definieren und deren Anerkennung einzufordern, die für das Miteinander in unserem Land indisponibel sind.“ Wenn sie damit also christlich/nicht-christliche Symbole (je nachdem, wie man’s gerade braucht) für identitätstiftend hält – dazu mehr im nächsten Absatz – gibt sie ihre eigene jüdische Identität auf, da sie den christlichen Anspruch anerkennt, Jesus sei der erwartete Messias des Volkes Israel gewesen. Na ja, wenn sie denn meint …


Kreuz ohne Religionsbezug als religiöses Symbol


Nachdem die Provokation erst einmal raus war und bei denen, die zur bayerischen Landtagswahl ihr Kreuz (ach so!) an der rechten Stelle machen sollen, angekommen, konnte der Ministerpräsident wieder zurückrudern: „Natürlich ist das Kreuz in erster Linie ein religiöses Symbol … Aber im Symbol des Kreuzes bündelt sich auch die Grundidee eines säkularen Staates.“ Und später In den ARD-„Tagesthemen“: Das Kreuz habe eine „identitätsstiftende, prägende Wirkung für unsere Gesellschaft“.

Man kennt das gut von der AfD: Erst lautstark auf die Kacke hauen und den radikalen Anhängern zeigen, wo man wirklich steht – dann für die Gemäßigteren augenzwinkernd zurückrudern und klarstellen: War doch alles gar nicht so gemeint.

Also: Erst das Kreuz ohne Religionsbezug – dann mit. Das ist nun keine differenzierende Klarstellung, sondern eine Kehrtwende um 180 Grad. Oder vielleicht doch eine um 360 Grad?

Oder vielleicht doch die anfangs vermutete, schlichte Unkenntnis? „Im Symbol des Kreuzes bündelt sich auch die Grundidee eines säkularen Staates“. Wer’s nicht wissen sollte: Die Bedeutung von „säkular“ ist weltlich, kirchenunabhängig, ohne Religionsbezug. Söders Logik also: Das Kreuz ist in erster Linie ein religiöses Symbol und in zweiter Linie dessen Gegenteil. Dass da etwas nicht stimmen kann, ahnt man auch, ohne die Logik des Aristoteles und seinen Satz vom ausgeschlossenen Dritten gelesen zu haben.


Kreuz ohne Religionsbezug und das Grundgesetz


Letztlich spiegelt Söders Aussage nur das Dilemma des deutschen Staates wider, der sich nicht entscheiden kann, ob er säkular oder religiös geprägt sein will. Das Grundgesetz garantiert zwar die Freiheit von Weltanschauung und Religion gleich anfangs in Artikel 4, schiebt aber noch davor im allerersten Satz der Präambel im Widerspruch dazu ein: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … hat sich das Deutsche Volk … “ Auch ich bin Bestandteil dieses deutschen Volkes,  sehe mich jedoch nicht in der Verantwortung einer Entität gegenüber, deren Existenz ich für höchst unwahrscheinlich halte. Bedeutet das, dass das Grundgesetz für mich nicht gilt, beziehungsweise, dass ich mich nicht daran halten muss, da ich diese Verantwortung nicht anerkenne und niemand mir beweisen kann, dass der göttliche Bezugspunkt existiert?

Das ist ähnlich verworren wie die Eidesformel vor Gericht: „So wahr mir Gott helfe!“ Was bedeutet es denn, wenn ich die als Atheist ausspreche? Kann ich munter drauflos lügen, weil Gott mir dann eben mangels Existenz nicht geholfen haben wird, wenn’s rauskommt?


Kreuz ohne Religionsbezug für wen?


Nun stehe ich mit meiner religionsfernen Einstellung ja nicht allein da. Je nachdem, wie man die Statistiken interpretiert, macht die Gruppe derjenigen in Deutschland, die nicht an einen Gott glaubt, inzwischen den größten Bevölkerungsanteil aus, vor Katholiken und Protestanten (einzeln gerechnet). Das habt ihr nun von eurem Anschluss der Ex-DDR! Zugegeben, in Bayern sieht das noch anders aus, aber überall im Lande sprechen die Zahlen der Kirchenaustritte für sich. Da kaum jemand freiwillig eintritt, sondern in der Regel ungefragt per Taufe Zwangsmitglied wird, wird der Mitgliederbestand sich zwar noch eine Weile halten, aber alle Zeichen deuten – hierzulande – auf lange Sicht auf eine Nischenexistenz hin.

In knappen Zahlen von 2015: 36% Konfessionslose, 29% Katholiken, 27% Protestanten. Es gibt nach Umfragen viele gläubige, aber nicht kirchengebundene Konfessionslose – aber ebenso viele Namenschristen, die längst nicht mehr an Gott, Jesus etc. glauben.

Egal also, ob wir den Anteil der Ungläubigen nun bei 35, 30 oder 25 Prozent festmachen: Es ist nicht zu leugnen, dass ein erheblicher Teil der deutschen Bevölkerung sich eben nicht „in Verantwortung vor Gott“ sieht und das an einer Behördenwand hängende Kreuz nicht als „identitätsstiftend“ wahrnimmt, und es ist zumindest ein Anzeichen mangelnden Respekts diesem Viertel bis Drittel der Bevölkerung gegenüber, so zu tun, als würde denen beim Anblick dieses antiken Hinrichtungsinstruments das Herz aufgehen.


Die im Grundgesetz verankerte Religions- und Weltanschauungsfreiheit fordert, dass ich als Atheist Christen nicht an ihrer Religionsausübung behindere – das ist richtig und gut so. Aber umgekehrt darf ich als Nichtgläubiger ebenso erwarten, außerhalb religiöser Orte und insbesondere in staatlichen Gebäuden nicht mit Symbolen konfrontiert zu werden, die signalisieren, dass Glaubenslosigkeit in dieser Behörde, Schule oder Gerichtsstätte als abweichendes Verhalten behandelt wird.

Aber da hat Söder ja nun dankenswerterweise klargestellt, dass das alles gar nicht so ernst gemeint ist und dieses bezuglos da herumhängende Zeichen niemanden verpflichtet, sich christlich zu verhalten. Gott sei Dank!

Kreuz ohne Religionsbezug
Von einem Kreuz ohne Religionsbezug kann man im vatikanischen Andenkenladen neben dem Petersdom zwar nicht direkt sprechen, aber auch unter Papst Franziskus wird dort weiterhin viel Geld mit dem Verkauf von Glaubenskitsch verdient / Foto: Doc Baumann

 

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

11 Kommentare

  1. Lieber Doc Baumann,
    danke für den tollen Kommentar zu dem Thema. Dazu mein kurzer Beitrag und ein etwas älteres Fotos aus der damals noch „kreuzlosen Zeit“ der bayerischen Staatskanzlei.
    http://www.derbecke.de/neues-blog.html#!/all
    Aber keine Angst, bis nach Kassel werden die bayrischen Kreuzritter bestimmt nicht kommen. 🙂
    herzliche Grüße aus dem noch kreuzlosen Münchner Norden.
    Herbert Becke

    1. Lieber epemsi – wo tauchen denn in meinem Text Grüne oder SPD auf, und wie kommen Sie auf die Idee, ich würde deren Politik verteidigen? Vielleicht ist das ja so wie in meinem Blog-Beitrag neulich mit dem Beifall der AfD für meine Kritik am Kasseler Obelisken. Den nicht gut zu finden, bedeutet logisch nicht, mit allen in allem gleicher Meinung zu sein, die ihn ebenfalls nicht mögen.
      Allerdings weiß ich leider nicht, wer oder was AM ist. „Vormittags“? Auch im Web konnte ich dazu nichts Passendes finden.
      Interessanter wäre, wenn Sie mir an konkreten Stellen nachweisen würden, wo ich daneben liege. Faktenaussagen kann man korrigieren – Meinungen höchstens durch Überzeugungsarbeit verändern. Ich fürchte, Meinungen, die erheblich von der eigenen abweichen, wird man immer unbegreiflich finden. In diesem Sinne, Doc Baumann

  2. Auch ich bin schon vor vielen Jahren aus dem Verein ausgetreten aber ich meine mich noch an etwas aus dem Religionsunterricht zu erinnern: In irgend eine dieser 10 Gebote ist die Rede das man kein Abbild von Gott erstellen soll/darf. Das gibt dem Kreuz ohne Religionsbezug doch eine passende Bedeutung…

  3. Eine neue Interpretation bekam ich auf meinen blog-Beitrag
    http://www.derbecke.de/neues-blog.html#!/all
    zur „Kreuzigung“ Söders:
    Das Aufhängen des Kreuzes hat nichts mit dem Christentum und unserer „abendländischen Kultur“ zu tun. Söder hat nur Angst vor „außerbayerischen Vampiren“. Das ist Alles 🙂
    mit besten Grüßen aus dem noch kreuzlosen Münchne Norden
    Herbert Becke

  4. Marx hatte sich doch bereits vor acht Tagen geäußert:

    Durch den Beschluss sei „Spaltung, Unruhe, Gegeneinander“ entstanden.
    „Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden. Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet.“ Dem Staat stehe es nicht zu, zu erklären, was das Kreuz bedeute.

  5. Lieber Doc Baumann,
    ich danke Ihnen sehr für Ihren hervorragenden Artikel mit dem präzisen Auseinandernehmen dieser Söderschen Marotte. Bayerischer Wahlkampf bringt so viele faule Früchte daher …

  6. Hmm, das mit dem anti-säkulärem Grundgesetz war mir noch gar nicht so bewusst. Das wäre doch mal eine sinnvolle Aufgabe für die AFD da eine Änderung zu beantragen… die nörgeln doch sonst ständig an Regeln herum und beantragen deren Änderung. Da hätten wir mal eine sinnvolle Übung. Wär zumindest mal interessant ob die Abgeordneten im Bundestag sich alle gleichermaßen ihrer grundgesetzkonformen „Verantwortung vor Gott“ bewußt sind. Ich für meinen Teil hätte dann sogar die leichte Befürchtung dass der andere Teil der Verantwortung (also der vor den Menschen) zu kurz kommen könnte. Aber vielleicht sollte man diese Passage im Grundgesetz auch einfach mittels Deklarierung als Tradition ohne Religionsbezug verdrängen.

    1. Liebe/r (?) inot,
      nein, ist es nicht. Denn das ist keine „Widerlegung“, die für die Welt der Größenordnungen gilt, in welcher wir leben. Sie gilt nur unter Bedingungen der Quantenwelt. Unsere empirischen Sätze gründen aber auf Naturgesetzen und Wechselwirkungen, bei denen Quanten-Unbestimmtheiten keine messbare Rolle spielen. Es gibt zwar auch Versuche einer nicht-aristotelischen Logik ohne den Satz vom ausgeschlossenen Dritten (etwa bei Gotthard Günther) – aber im Alltagsleben kommen wir eigentlich mit der aristotelischen Logik noch immer ziemlich weit.
      Außerdem gilt der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nur für strenge logische Ableitungen. Wenn ich auf die Frage „Hast Du Liust auf einen Spaziergang ja oder nein?“ mit Blick auf den stark bewölkten Himmel antworte: „Ich weiß nicht so recht“, ist das kein Verstoß gegen die Logik. Das Kreuz kann aber nicht gleichzeitig religiöses und nichtregigiöses Symbol sein, jedenfall nicht in Söders „Argumentation“ – was nicht ausschließt, dass es als reine Form in Kirchen religiös interpretiert wird und auf Wahlzetteln politisch. In diesem Sinne, DocB

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