Blog

Fotos … Immer nur dasselbe?

Ich bin gerade über den Blogeintrag „Lässt sich der Fotograf  Tyler Shields von anderen Künstlern nur inspirieren oder kopiert er sie dreist?“gestolpert. Die Ähnlichkeiten der dort gegenübergestellten Bilder sind teilweise frappierend. 

Rasulov – Fotolia
Bad copy cat. Foto: Rasulov – Fotolia

Ich find das prinzipiell nicht gut – aber lassen wir mal außen vor, dass manche der gezeigten Gegenüberstellungen etwas an den Haaren herbeigezogen sind (allein weil jemand auch eine Zigarette im Mund hat, ist es noch keine Kopie), und lassen wir auch mal die rechtliche (in Deutschland wäre das die urheberrechtliche) dieses Copy-Cat-Fotografen außen vor. Wenn wir uns also nicht fragen, ob man das denn überhaupt darf oder ob dieses plumpe Kopieren moralisch verwerflich ist und ob jemand damit vielleicht auch noch viel Geld verdient – was bleibt denn dann noch für eine Frage übrig? Für mich gibt es da ja noch viele offene Fragen, aber die wichtigste ist wohl:

Kann man heute fotografisch überhaupt noch etwas Neues erschaffen?

Dass ich hier das Wort „erschaffen“ nutze, impliziert schon, dass ich keine dokumentierenden Reportagefotos, sondern inszenierte Bilder meine. Im verlinkten Beitrag erkennen Sie zum Beispiel auch die zarte Trennlinie zwischen diesen beiden Arten der Fotografie, indem Sie dort über die Entstehung des Ballett-Sujets (die Ballerina-Füße mit Pflastern und Blessuren) lesen: Das Original war Teil einer Reportage (vielleicht eine Teilinszenierung?!), die Kopie aber eine reine Inszenierung.
(Übrigens, manch ein ikonisches Bild für ein bestimmtes Ereignis dokumentierte nicht die wahren Ereignisse, sondern war inszeniert – wie etwa das Schwenken der Roten Flagge auf dem Reichstag (inklusive der vielen wegretuschierten Beute-Armbanduhren) oder das Aufstellen der US-Flagge nach dem Sieg auf Iwo Jima).

rote-fahne-auf-dem-reichstag-9024064
Ein ikonisches Foto. Aber inszeniert und kräftig retuschiert.

Davon abgesehen, dass für mich bei den gezeigten Tyler-Shields-Beispielen fast immer das Original gewinnt: Ich habe nun wahrlich nichts gegen inszenierte Fotografie – im Gegenteil: Ich selbst bastle mir gern die Bilderwelt, wie sie mir gefällt und dabei bearbeite ich auch gern, dass sich die Balken biegen! 😉 Aber meine Wertschätzung für ein Foto (= hat für mich persönlich weniger künstlerischen Wert als Zeichnung und Malerei) ist – wie im Ballerina-Beispiel – definitiv höher, wenn dieses im „echten Leben“ (TM) tatsächlich spontan eingefangen wurden (neue Tiefsee-Lebewesen, extreme Landschaften, Fotos von (der Oberfläche anderer) Planeten beeindrucken mich noch am meisten, aber das lässt sich kaum inszenieren).

Mein Bild "Der Augenblick". Ich hatte tatsächlich erst später erfahren, dass eine ähnliche Szene zuvor in einem Star-Trek-Film visualisiert worden war. Den Film hatte ich mit Sicherheit gesehen … mein Bild wurde also höchstwahrscheinlich durch diesen – unbewusst – inspiriert.
Mein Bild „Der Augenblick“. Natürlich kein reines Foto. Aber ich wurde später darauf aufmerksam gemacht, dass es eine ähnliche Szene zuvor in einem Star-Trek-Film gab. Den Film hatte ich mit Sicherheit gesehen … mein Bild wurde also höchstwahrscheinlich durch diesen – unbewusst – inspiriert.

Immer das Gleiche … Na und?

Hand aufs Herz: Nach mittlerweile über hundert Jahren inszenierter Fotografie gibt es doch bereits alles schon zu sehen. In irgendeiner Form. Irgendwie. Nehmen wir dazu noch die Jahrhunderte der Malerei davor hinzu, bietet die Fotografie noch viel weniger Neues … Man müsste sich eigentlich gelangweilt abwenden, denn es ändern sich Details, es sind andere Personen zu sehen, andere Farben, andere Landschaften … aber grundsätzlich?

Fotos von hübschen Mädels vor einem Fenster, am Strand, in einer Ruine, in … … … (wo auch immer) … mal nackig, mal in interessanten, faltenwerfender, exotischer Bekleidung … mal Porträt, mal Ganzkörper … Von oben/unten/links/recht/schräg fotografiert … Charakter-Porträts (dann aber gern bei Männern), die auch mal mit hartem Licht Falten und Strukturen im Gesicht zeigen …  mal flau, mal kontrastreich, mal bunt, mal schwarzweiß, mal mehr oder weniger exotisch … Alles schon mal gesehen. Mal schöner, mal nicht so schön … *gähn*

Foto: Oleg_Doroshenko (Fotolia). Bearbeitung: Olaf Giermann
Foto: Oleg_Doroshenko (Fotolia). Bearbeitung: Olaf Giermann

Natürlich – vor der Erfindung des (zum Beispiel) Skateboards gab es noch keine Skateboard-Fotos. Aber kurz danach schon tausende. Fangen wir von Sehenswürdigkeiten gar nicht erst an … Die wurden schon von Millionen Menschen vor Ihnen fotografiert! Von allen Seiten. Egal wie gut Sie sind, es gibt mit hoher Wahrscheinlichkeit aktuell, früher oder später immer jemanden, der das irgendwie besser oder irgendwie anders kann.

Warum sollten Sie also überhaupt noch fotografieren? Es gibt doch schon tausende Fotos davon!

Wenn Sie so denken, sind Sie in die größte Stolperfalle der Fotografie und des Bild-Erschaffens gelaufen: Sie denken über den Sinn des Ganzen nach!

Wenn Ihre Fotografie keinen rein kommerziellen Hintergrund hat – Sie also keinen monetären Zwängen unterliegen und sich nicht dem Geschmack des Großteils Ihrer Konsumenten beugen müssen –, sollten Sie sich um all diese Überlegungen überhaupt nicht scheren. Halten Sie sich also nie davon ab, etwas zu fotografieren, was bereits jeder vor Ihnen fotografiert hat. Denn SIE SELBST haben es noch nicht fotografiert und SIE SELBST haben das allseits bekannte Motiv noch nicht nach Ihren eigenen Vorstellungen bearbeitet!

Bearbeiten Sie Ihre Fotos so, wie SIE es mögen! – Bild: Olaf Giermann
Bearbeiten Sie Ihre Fotos so, wie SIE es mögen! – Bild: Olaf Giermann

Letztlich geht es für Sie selbst nur um den Spaß an der Sache an sich. Und natürlich um Ihre persönlichen Erinnerungen. Wenn das, was dabei herauskommt, nicht nur Ihnen sondern auch noch vielen anderen Leuten gefällt – umso besser!

Falls Sie aber doch Geld mit der Fotografie verdienen, dann spielen die anfangs von mir ausgeblendeten Fragen rund um „Copycats“ doch irgendwie eine Rolle. Aber das ist ein anderes Thema.

Also – wie mein Kollege Christoph Künne in jedem Heft seinen Tech-Talk abschließt – munter bleiben! 😉

Liebe Grüße,

Olaf

Olaf Giermann
Olaf Giermann
Zeig mehr

Olaf Giermann

Olaf Giermann gilt heute mit 20 Jahren Photoshop-Erfahrung sprichwörtlich als das »Photoshop-Lexikon« im deutschsprachigen Raum und teilt sein Wissen in DOCMA, in Video­kursen und in Seminaren.

Ähnliche Artikel

4 Kommentare

  1. Kleine Link-Ergänzung zum Thema Copycats: Lesen Sie mal den Artikel von Joel Robison: http://joelrobison.com/when-imitation-stops-being-flattering/
    Was er und seine Follower (in den Kommentaren) beschreiben, ist haarsträubend: Copycats, die teilweise sogar so weit gehen, ihn aus den Bildern herauszuretuschieren und sich selbst hineinzusetzen. Deren Bilder in Galerien hängen, als Bücher erhältlich sind und von Zeitschriften als „visionär“ bezeichnet werden.

  2. Ihr Satz
    „Wenn Sie so denken, sind Sie in die größte Stolperfalle der Fotografie und des Bild-Erschaffens gelaufen: Sie denken über den Sinn des Ganzen nach!“
    ist für mich persönlich der Schlüsselsatz dieses Artikels. Seit Monaten befinde ich mich nämlich in einem aus meiner Sicht „kreativen“ Loch, weil ich genau über solche Dinge nach denke. Nicht nur global (ist doch alles schon fotografiert worden) sondern auch in meiner eigennen kleinen Foto-Welt (das habe ich doch schon irgendwann mal fotografiert).

    Mit Ihrer o.a. Aussage hat es ein wenig Klick gemacht und ich hoffe demnächst wieder mehr Motivation zum fotografieren zu bekommen. Gerade auch, weil ich dem nächst mit einem Freund für ein paar Tage nach Venedig zu einer Fototour reise. Venedig ist so ein Ort, wo schon alles tausendfach mit unterschiedlichen Lichtstimmungen beeindruckend und hervorragend fotografiert wurde. Aber eben noch nicht mit meinen Augen. Ich bin mal gespannt …

    Gruß
    Uwe

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button