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Ferngesehen, in Bonn und zu Hause

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Retro-TV with wooden case: tomispin – Fotolia; übrige Fotos und Montage: Doc Baumann

Vor ein paar Wochen hatte ich an dieser Stelle darüber geschrieben, wie das Medium Fernsehen die Wahrnehmung der Flüchtlingsschicksale beeinflusst. Grund genug, an den Rhein zu fahren und sich die aktuelle Ausstellung „TeleGen“ im Kunst-Museum Bonn anzuschauen, die sich mit dem Thema „Kunst und Fernsehen“ beschäftigt. Doch zuvor ein paar Anmerkungen zum realen TV.

 

Am Sonntag berichtete die Tagesschau von den Opfern der Attentate auf regierungskritische Demonstrationen in Istanbul. Wahrscheinlich seien das Selbstmordattentäter des IS gewesen, verkündete die türkische Regierung. Und ließ folgerichtig anschließend weitere Flugangriffe gegen Stellungen der verbotenen Arbeiterpartei PKK führen.

Es geht hier ums Fernsehen als Medium, daher will ich zu dem ganzen entsetzlichen politischen Inhalt des Gesendeten nichts sagen. Sondern nur etwas zur rituellen Form der Berichterstattung. Ein Ritus vermittelt kaum Wissen über Fakten, eher hilft er, die Position der Riten-Ausübenden einzuschätzen. Wird ein Name in jedem Fall seiner Nennung mit einem und demselben Attribut ausgestattet, hilft das nicht, das Benannte besser zu verstehen. Es ist  eine Form der Selbstvergewisserung, das zeremoniell Richtige zu tun. Ob nun nordkoreanische Medien penetrant vom „lieben Führer“ sprechen oder deutsche Medien von der „verbotenen Arbeiterpartei PKK“ – es sind dieselben Kommunikations-Mechanismen.

Würden alle Organisationen, die von den (meist autoritären) Regierungen ihrer Länder verboten wurden, in der Berichterstattung mit diesem Attribut ausgestattet, wäre das ja verständlich. (Wobei immer zu fragen bliebe, warum sie verboten wurden .) Für unsere Medien gilt das in manchen Fällen – oft zu Recht – sogar als  unfreiwillige Adelung. Aber haben Sie in derselben Verwendungsweise schon mal in der Tagesschau gehört, dass die eine oder andere, etwa von der russischen Regierung aufgelöste Organisation eine „verbotene“ sei?

Unsere deutschen Medien empören sich – wiederum weitgehend zu Recht – darüber, dass sie von rechten und populistischen Verbänden als gleichgeschaltet beschimpft werden. Das verbreitete, aussagelose, immer wieder brav heruntergebetete Mantra von der verbotenen PKK wäre immerhin ein überprüfbares Indiz dieser Unterstellung.

Was bedeutet es für eine Berichterstattung mit dem Anspruch neutraler Faktenvermittlung und Hintergrunderklärung, wenn das Kurzzeitgedächtnis der Mediennutzer für so fragil gehalten wird, dass ihnen das Attribut „verboten“ bei jeder Nennung erneut eingebläut werden muss – so wie in anderen Fällen das „radikalislamisch“ bei der Hamas? Ich hege wenig Sympathie für diese Gruppe – aber warum fehlen analoge Attribute bei Organisationen, die sich in anderer Ausrichtung nicht weniger extrem oder radikal verhalten?

Aber eigentlich wollte ich ja über die Ausstellung „Kunst und Fernsehen“ schreiben, derentwegen ich am Sonntag nach Bonn gefahren bin. Ich hätte es wissen müssen – meine ganz persönliche Vorstellung von Kunst habe ich in dieser Ausstellung nicht angetroffen. Ich hatte das auch nicht wirklich erwartet. Nur, weil auf einem Bild ein TV-Monitor zu sehen ist oder es sich aus erkennbaren Zeilen zusammensetzt, ist das Medium Fernsehen kaum hinreichend thematisiert. Mit Installationen oder bemüht intellektuellen Konstruktionen (auf die der Betrachter allein aufgrund der Anschauung des visuell Dargebotenen, ohne Zurkenntnisnahme der Begleittexte, nie gekommen wäre), kann ich ohnehin wenig anfangen.

Aber bitte – das ist meine ganz persönliche Meinung, und anders als viele Kunstkritiker mit dem Habitus von Priesterkönigen sage ich das sehr deutlich und fordere Sie auf, sich bei Interesse an der Sache Ihr eigenes Bild von der Ausstellung zu machen.

Versöhnt hat mich dann weitestgehend der Katalog, zumindest dessen theoretischer Teil. Das, was direkt zu den Exponaten geschrieben wird, ist oft so interessant und originell wie – natürlich im Fernsehen – die Interview-Aussagen von Sportlern nach Sieg oder Niederlage, und auch bei den Theorie-Texten liest sich manches wie in die eigene Formulierungsbrillanz verliebtes Wortgeklingele.

Doch dann stößt man, mittendrin, unversehens auf Umberto Ecos erstmals komplett ins Deutsche übersetzten Essay „Fernsehen: Die verlorene Transparenz“, und verschlingt ihn – trotz des Brutalo-Layouts des Begleitbandes – begeistert und am Stück. Obwohl bereits 1983 verfasst, ist das eine hervorragende Analyse und eine leider wahr gewordene Prophetie, fundierte und dennoch lesbare Theorie … und alles, was an Ausstellung und Katalog nicht gefallen hat, ist mit einem Schlage vergeben und vergessen. Die Entwicklung des Fernsehens vom Transportmittel für Tatsachen zu einem Apparat zur Erzeugung von Tatsachen geht längst über das von Eco vor 30 Jahren Prognostizierte hinaus: Die Attentate von Istanbul, das Köpfen der IS-Gefangenen, die Zerstörung der antiken Bauwerke durch die Milizen – aber auch die Zielerfassung und Explosionsdokumentation der Bombenflugzeuge – sind ohne das Fernsehen als einkalkuliertes Medium der Verbreitung und Einschüchterung kaum denkbar.

Lesen! Und vielleicht auch nach Bonn fahren und nachschauen, was sich davon in den Werken der Ausstellung realisiert findet.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

4 Kommentare

  1. In Vorwegnahme meines Blog-Beitrags vom 26.10.: Mitunter missverstehen manche Leser den Ansatz der Bildkritik aber auch. Nicht alles, was von einer naturalistischen Abbildung der Wirklichkeit abweicht, ist schlecht – die Frage ist immer, ob diese Abweichung ungewollt und unkontrolliert „reingerutscht“ ist oder eine Funktion für die Bildaussage hat. So wurde etwa meine Illustration zu meinem Blog-Beitrag vor zwei Wochen zur Bonner TeleGen-Ausstellung auf der DOCMA-Seite von den Lesern Ralf und Frank mit den Worten kritisiert: „Das Bild zum Artikel hätte einen Platz in der kommenden DOCMA verdient, Abteilung ,Bildkritik‘.“
    Und in der Tat, wenn man es kritisch betrachtet, gibt es eine Menge „Fehler“ darin: Staffelei und Fernseher sind viel zu groß, das TV-Gerät hat keine Tiefe, sondern ist flach wie eine Platte, die Schatten der Staffelei stimmen nicht … Aber mal im Ernst: Glaubt Ihr wirklich, dass solche Abweichungen von der Realität jemandem, der seit Jahren seine Bildkritiken verfasst, einfach so unterlaufen? Die Illustration ist ein Zitat von Bildern des Surrealisten René Magritte, in denen Gemälde das auf ihnen Dargestellte (mutmaßlich) verdecken, die Größenverhältnisse nicht stimmen und so weiter. Klar, ich hätte auch plakativ drunterschreiben können: Hommage á Magritte – aber das wäre mir dann doch etwas plump erschienen.

  2. „Klar, ich hätte auch plakativ drunterschreiben können: Hommage á Magritte – aber das wäre mir dann doch etwas plump erschienen.“

    Also mir nicht, Herr Baumann.
    Ich lerne gern immer etwas dazu – da bin ich mir nie zu fein, auch mal als Rezipient plump zu sein.
    Magritte war nie sonderlich mein Thema. Nicht, dass mir der Name kein Begriff wäre…

    MfG – Frank

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