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Gebrauchsanweisungen

Gebrauchsanweisungen
Gebrauchsanweisungen. Grafik: Doc Baumann

Gebrauchsanweisungen sind Anleitungen, die man versteht, nachdem man die in ihnen beschriebenen Arbeitsschritte durch Versuch und Irrtum selbst herausgefunden hat, ohne die Anweisungen zu benutzen. Doc Baumann fragt sich, warum ausgerechnet diese wichtigen Texte ihre Leser fast immer zur Verzweiflung treiben.

Als DOCMA-Macher können wir bei diesem Thema ja mitreden. Der größte Teil unseres Heftes besteht aus Gebrauchsanweisungen – nur dass sie bei uns nicht so genannt werden, sondern „Tutorials“ heißen oder „Workshops“. Und wir beschreiben nicht, wie man ein Haushaltsgerät verwendet oder einen Schrank aufbaut, sondern wie man gute Bildergebnisse erzielt.

Kürzlich wollte ich zum Beispiel einen Hochdruckreiniger in Betrieb nehmen, den ich preisgünstig bei einem Discounter erworben hatte. Über den Umfang der Gebrauchsanweisung kann ich nicht klagen. Der größte Teil davon befasste sich allerdings nicht mit dem Zusammenbau und der Inbetriebnahme des Gerätes, sondern seitenlang mit überraschenden Sicherheitshinweisen der Art, dass man damit weder den Gehörgang reinigen noch den Schlauch verschlucken und für eine Magenspülung verwenden sollte. Nicht genau so, aber so ähnlich.

Dem Zusammenbau der diversen Teile wurde dagegen weniger Beachtung geschenkt. Nachdem ich alles so eingerichtet hatte, wie ich es aufgrund der knappen Erwähnungen und unverständlichen Illustrationen für korrekt hielt, Strom- und Wasserversorgung gewährleistet hatte und das Ding einschaltete, machte es zwar eindrucksvoll Krach – aber aus der Sprühlanze plätscherte nur ein wenig überzeugendes Rinnsal.

Bei der Kontrolle der zum Lieferumfang gehörenden Teile entdeckte ich schließlich ein Ding, das zwar in der Beschreibung nicht vorkam, aber möglicherweise noch auf die Sprühlanze gesteckt werden musste. Irgendwie passte es auch. Ich schaltete das Gerät erneut ein. Wunderbar – jetzt spritze das Wasser mit hohem Druck aus der Düse. Ungefähr eine halbe Sekunde lang. Dann flog das Teil, angetrieben von 150 bar, quer durch den Garten in irgendein Gebüsch. Nach anderthalb Stunden, auf Händen und Knien durch nasses Laub kriechend, entdeckte ich es schließlich in einer Astgabel. Hätte da jemand gestanden, hätte ich jetzt eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung am Hals.


Warum ich heute kein Multimillionär bin


Einige Zeit zuvor hatte ich eine Nähmaschine angeschafft. Die beherrscht nicht nur zahllose Stichvarianten, sondern kann sogar Buchstaben sticken. Auch hier wieder endlose Erklärungen zur Sicherheit und Gefahrenabwehr. Ein Begleitschreiben des Bundesinnenministeriums, wenn ich einen vermutlichen IS-Kämpfer als Flüchtling aufnähme, könnte nicht länger sein.

Alle Schritte, die mehr oder weniger selbstverständlich sind, wurden in nervtötender Ausführlichkeit beschrieben – alles für diese Maschine Besondere dagegen ließ sich der Gebrauchsanweisung nur mit Mühe entnehmen. Ohne ihre Lektüre hätte ich wahrscheinlich kaum länger gebraucht. Und wie ich einleitend schrieb: Erst nachdem ich die richtige Handhabung durch Versuch und Irrtum herausgefunden hatte, konnte ich erahnen, was die Autoren des Heftchens wohl gemeint hatten.

Aber ich wollte Ihnen ja erzählen, warum ich kein Multimillionär bin. Mitte der Achtzigerjahre verfasste ich mit meinem damaligen Freund Arman ein paar Bücher, zum Beispiel eins über rhetorische und typographische Elemente der Werbesprache. Arman übernahm die Rhetorik, ich die Typographie. Arman war ein persischer Jude, der seine Kindheit in London verbracht hatte, bevor er mit seiner Familie schließlich nach Deutschland kam. Deutsch sprach er dennoch nicht nur akzentfrei, sondern wohlformulierter als 99% der Deutschen, die ich kenne. Ich wähle die Vergangenheitsform, weil Arman schon viele Jahre tot ist. Das hat damit zu tun, dass er nicht nur über Rhetorik schrieb, sondern auch ein paar Bücher über Designer- und sonstige Drogen. Leider entdeckte er im thailändischen Dschungel eine Variante, bei der selbst seine ausgiebigen Erfahrungen auf diesem Feld die letalen Auswirkungen nicht verhindern konnten.

Ich weiß, ich schweife ab. Also, nachdem wir ein paar Bücher gemeinsam realisiert hatten, ergab es sich, dass ich mal wieder eine der schon damals unbrauchbaren Gebrauchsanweisungen konsultieren musste und ihm spontan vorschlug: „Lass uns eine Agentur für Gebrauchsanweisungen gründen.“ Wir konnten beide klar und strukturiert formulieren; ich hatte zudem Ahnung von grafischer Umsetzung, außerdem eine seinerzeit noch sehr seltene Qualifikation: Ich kannte mich nämlich gut mit DTP aus – der 1987 noch exotischen Gestaltung von Druckseiten am Computer. Ein Jahr zuvor hatte ich das erste in Deutschland so produzierte Buch realisiert, mein Filmbuch zu „Der Name der Rose“ (zu dem Arman ebenfalls einige Texte beigetragen hatte).

Wir diskutierten das eine Weile, machten Pläne für die Umsetzung –  dann verlief das Projekt wie so viele andere im Sande, weil wir beide in den Bereichen, in dem wir unser Geld verdienten, zu viel zu tun hatten.


Warum sind Gebrauchsanweisungen so schlecht?


Jedesmal, wenn ich eine Gebrauchsanweisung benutzen muss, denke ich an diese verpasste Chance. Bei den schlechten intensiver als bei den guten – also etwa in 90% der Fälle. Ob ich damit glücklich geworden wäre, ist eine andere Frage. Vielleicht sind die Firmen bei Gebrauchsanweisungen ja genauso beratungsresistent wie bei den Bildmontagen in den Werbeanzeigen, die ich in jeder DOCMA wegen gravierender Fehler auseinandernehmen muss.

Wer weiß – vielleicht wäre ich heute Besitzer einer großen Agentur, irgendwo in einer Büroetage eines Hochhauses in Frankfurt, mit Filialen in Düsseldorf, Hamburg und München, hätte eine Villa im Taunus und einen Bentley mit Chauffeur. Und würde Anzüge und Schlips tragen müssen und meinen Bart sauber trimmen. Gut, dass es nicht dazu gekommen ist!

Dennoch verstehe ich das Phänomen bis heute nicht. Die Menschen, die Gebrauchsanweisungen verfassen, illustrieren, kontrollieren und für den Druck freigeben, haben doch auch ein Privatleben, in dem sie mit solchen Heftchen anderer Hersteller konfrontiert werden. Da müssten sie doch eigentlich mitkriegen, dass Texte und Bilder zum großen Teil unbrauchbar sind. Sie müssten merken, dass ihre Anleitungen lückenhaft sind, dass wichtige Schritte unerwähnt bleiben, dass Text und Bild wenig miteinander zu tun haben und Illustrationen nicht das zeigen, was der Anwender eigentlich benötigt.

Ich stelle mir das immer so vor, dass Gebrauchsanweisungen von denselben Ingenieuren verfasst werden, die auch die entsprechenden Geräte entwickelt haben. Die kennen die Dinger so gut, dass sie nicht mal nachvollziehen können, wozu eine Gebrauchsanweisung überhaupt nützlich sein soll, weil alles doch sowieso völlig klar ist. So etwas wie einen Hausfrauentest scheint es jedenfalls nirgendwo zu geben.


Gebrauchsanweisungen und DOCMA-Tutorials


Irgendwie habe ich die Idee von 1987 dann kurz darauf aber doch noch umgesetzt. Wenn auch nicht in Hinblick auf Nähmaschinen oder Hochdruckreiniger, sondern auf Bildbearbeitungsprogramme. Wobei die zunächst gerade mal schwarze und weiße Pixel kannten und die Simulation von Graustufen durch Bitmapmuster schon als überzeugende Annäherung an die Fotografie erschien.

Übrigens habe ich dabei auch die heute überall verbreitete und als selbstverständlich empfundene Form der Step-by-Step-Tutorials entwickelt. Sofern es damals etwas Ähnliches gab, wurde es in Form langer Fließtexte mit wenigen eingestreuten Abbildungen abgehandelt.

Sinn und Zweck einer Gebrauchsanweisung ist es, den Anwendern die Handhabung von etwas in Text und Bild so nachvollziehbar wie möglich zu erklären. So ausführlich wie nötig und so knapp wie möglich. (Wobei eine gelegentliche Wiederholung eher zu entschuldigen ist als eine Lücke, die unausgefüllt bleibt.)

Ich hoffe, DOCMA leistet das. Da äußerst selten Beschwerden von Leserinnen und Lesern kommen, scheint es uns zu gelingen. Ein zentrales Problem dabei – von dem Verfasser von Gebrauchsanweisungen in der Regel nicht betroffen sind – ist der uneinheitliche Kenntnisstand der Leser. Ein Tutorial soll für Einsteiger – mit gewissen Grundkenntnissen – nachvollziehbar sein und gleichzeitig Fortgeschrittene und Profis nicht langweilen. Die Umsetzung dieser Gratwanderung zwischen Über- und Unterforderung ist die eigentliche Kunst.

Auch unsere „Gebrauchsanweisungen“ sind nicht immer im ersten Anlauf perfekt. Ich schreibe inzwischen seit rund 30 Jahren über den Umgang mit Bildbearbeitungsprogrammen. Das hat den Vorzug, die Materie recht genau zu kennen – aber auch den Nachteil, als Autor mitunter zu viel als selbstverständlich vorauszusetzen. Doch um Tutorials, die stellenweise nicht gut verständlich sind, zu hilfreichen Anleitungen zu machen, sind schließlich unsere redaktionsinternen Kontrollen da. Da ergänzen wir uns prima gegenseitig. Würde in Gebrauchsanweisungen ähnlich viel Arbeit, Planung und didaktische Überlegungen einfließen wie in unsere Tutorials, wäre die Welt ein kleines bisschen besser.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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2 Kommentare

  1. Ja, so ist es! Man erkannt an der schlechten Anleitung, das es dem Hersteller des Produktes egal ist, wie der Kunde, also ich, damit umgeht. Wenn ich es erst mal gekauft habe. Vorher spricht der Verkäufer aber gerne von intuitiver Bedienung. Vor allem finde ich diese Anleitungen – mit denen man sich eigentlich nur den den Hintern abputzen könnte, leider sind heutzutage viele Anleitungen digital – bei Softwareprodukten. Dann aber, wie selbstverständlich, auch in schlechtem Englisch, was das Verständnis zusätzlich noch erschwert. Fast zwangsläufig heuere ich dann einen sogenannten Spezialisten an. Der hat das Ganze aus genau dem Buch gelernt, das ich selbst nicht verstanden habe. Na, da kann man doch auf Augenhöhe diskutieren …

  2. Regel 1: Die Anleitung muss in s/w sein, denn Farbe ist teuer.
    Regel 2: Wenn es geht, gar keinen Text darstellen, nur Bilder, dann kann man sich die Übersetzung sparen.
    Regel 3: Wenn es geht, alle Schritte gleichzeitig in einem Bild darstellen, das spart Platz, Papier und Druckkosten.

    Erst letztens wieder gesehen…

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