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„Mar-a-Lago Face“: Die politische Ästhetik der visuellen Konformität

Bildbearbeiter und Fotografen diskutieren oft über die Manipulation von Bildern zur Erreichung eines bestimmten Schönheitsideals. Doch was passiert, wenn diese Ästhetik den Sprung aus der digitalen Welt in die physische Realität schafft und zu einem politischen Statement wird? Der als „Mar-a-Lago Face“ bezeichnete Look, der sich im Umfeld des ehemaligen und nun wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump etabliert hat, zeigt genau diesen Übergang – und ist mittlerweile nicht nur ein Phänomen der Bildbearbeitung, sondern der körperlichen Transformation.

Das visuelle Markenzeichen einer politischen Bewegung

Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff „Mar-a-Lago Face“? Benannt nach Trumps luxuriösem Anwesen in Florida, beschreibt dieser Ausdruck eine auffällige ästhetische Transformation, die bei zahlreichen Personen aus dem Trump-Umfeld zu beobachten ist. Charakteristisch sind glatte, faltenfreie Haut, volle Lippen, stark definierte Wangenknochen, ein schmales, spitzes Näschen und ein dauerhaft gebräunter Teint. Dr. Anthony Youn, ein Plastischer Chirurg aus Michigan, beschreibt den Trend als „eine Kombination aus Botox und Fillern… leicht bis moderat übertrieben“ und stellte fest, dass diese Eingriffe zwar nicht zur völligen Entstellung führen, aber dennoch einen deutlich „plastischen Look“ erzeugen.

Die prominentesten Vertreterinnen dieses ästhetischen Trends sind Persönlichkeiten wie Lara Trump, Kimberly Guilfoyle und Kristi Noem. Doch nicht nur Frauen unterwerfen sich dieser Transformation – auch Männer wie der ehemalige Kongressabgeordnete Matt Gaetz zeigen mit seinen unnatürlich hochgezogenen Augenbrauen deutliche Anzeichen dieses Phänomens.

Der Übergang vom digitalen zum physischen Filter

Was für die Medienöffentlichkeit besonders faszinierend ist: Dieser Look ist die physische Manifestation von Bildbearbeitungseffekten, die wir aus der digitalen Welt kennen. Wer mit Photoshop oder anderen Bildbearbeitungsprogrammen arbeitet, erkennt sofort die Parallelen: Die hochgezogenen Augenbrauen entsprechen einem Verflüssigen-Filter, die konturierten Wangenknochen einem übertriebenen Dodge-and-Burn-Effekt, und die faltenfreie Haut wirkt wie ein zu aggressiv eingesetzter Matter-machen-Filter.

Diese Ästhetik steht im direkten Widerspruch zu aktuellen Trends, die subtilere, natürlicher wirkende Eingriffe bevorzugen. Während viele Prominente heute Wert darauf legen, dass ihre kosmetischen Behandlungen möglichst unsichtbar bleiben, scheint der „Mar-a-Lago Face“-Look genau das Gegenteil zu zelebrieren – er will gesehen werden.

Soziale Signalwirkung und gruppendynamische Aspekte

Der Journalist Joan Callarissa beschreibt dieses Phänomen gegenüber der spanischen EL PAÍS als Ausdruck einer tribalen Zugehörigkeit: „In der polarisierten amerikanischen Gesellschaft leben wir in Blasen mit einem ausgeprägten Stammescharakter. Wenn die Anführer einen künstlichen Look haben, dann werden die Anhänger diesen nachahmen, weil sie nur Menschen wie sich selbst sehen“. Diese Aussage verdeutlicht, wie visuelle Konformität zu einem Ausdruck politischer Loyalität werden kann.

Die Tech-Unternehmerin Amanda Till aus Palm Beach, die nach eigenen Angaben zwischen 50.000 und 60.000 Dollar für Botox, Filler und verschiedene Laserbehandlungen ausgegeben hat, bestätigt diese Einschätzung: „Viele von uns, die den Präsidenten unterstützen, wollen ihr bestes Aussehen. Es gibt einem das Gefühl, Teil von etwas zu sein. Jeder hier ist jemand“.

Ästhetik als Form der Machtkommunikation

Was als oberflächlicher Beauty-Trend erscheinen mag, hat durchaus tiefere Bedeutungsebenen. Anne Higonnet, Professorin für Kunstgeschichte am Barnard College, interpretiert den „Mar-a-Lago Face“-Look als „Zeichen physischer Unterwerfung unter Donald Trump, eine Erklärung der Treue zu ihm und der Idee, dass die Oberfläche einer Politik das einzig Wichtige ist“.

Digitale Bildkultur und physische Transformation

Für uns als Fotografen, Bildbearbeiter und visuelle Künstler ist dieses Phänomen besonders interessant, weil es die Grenzen zwischen digitaler Bildmanipulation und physischer Realität verwischt. Die gleichen ästhetischen Effekte, die wir mit unseren Bildbearbeitungsprogrammen erzielen können, werden nun durch chirurgische Eingriffe am lebenden Körper umgesetzt.

Dies wirft grundlegende Fragen auf: Was passiert mit unserer Wahrnehmung von Authentizität, wenn die Realität zunehmend wie eine bearbeitete Fotografie aussieht? Wie beeinflusst diese Ästhetik unsere visuelle Kultur, unsere Vorstellungen von Schönheit und unsere Akzeptanz des natürlichen Alterungsprozesses?

Der „Mar-a-Lago Face“-Look ist damit weit mehr als nur ein Trend der kosmetischen Chirurgie – er ist ein kulturelles Phänomen, das die Verbindung zwischen visueller Ästhetik und politischer Identität auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht und uns als Bildschaffende zum Nachdenken über die Macht und Wirkung von Bildern in unserer Gesellschaft zwingt.

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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