Blog

Adobes Paradoxon: Brandstifter und Feuerwehr zugleich?

Erst öffnet Adobe mit einer Browser-Erweiterung dem Bilddiebstahl Tür und Tor, dann klebt man ein kleines Warnschild daneben. Diese halbherzige Reaktion auf einen massiven Vertrauensbruch offenbart mehr über die Zwickmühle der Kreativ-Software-Giganten, als ihnen lieb sein dürfte. Es ist die Geschichte eines digitalen Brandstifters, der sich als Feuerwehr ausgibt.

Anfang September 2025 ging ein Beben durch die professionelle Fotowelt. Eine Meldung bei PetaPixel enthüllte, dass Adobes weitverbreitete Chrome-Erweiterung für Acrobat eine unbeabsichtigte, aber verheerende Funktion enthielt: Sie machte das Entfernen von Wasserzeichen zum Kinderspiel. Was als harmloses Werkzeug für die PDF-Bearbeitung gedacht war, entpuppte sich als unbeabsichtigter Universaldietrich für mit Wasserzeichen geschützte Bilder. Die Empörung war gewaltig, denn ausgerechnet der Konzern, der sein gesamtes Geschäftsmodell auf die Bedürfnisse Kreativschaffender aufgebaut hat, lieferte das Werkzeug, die ihre Arbeit entwertet.

Die Reaktion: Ein Feigenblatt namens Warnhinweis

Nach Tagen des ohrenbetäubenden Schweigens und interner Krisensitzungen reagierte Adobe – allerdings nicht so, wie es die Community erwartet hatte. Statt die Funktion zu entfernen, hat Adobe die Erweiterung still und leise aktualisiert. Wer nun versucht, ein Bild zur Bearbeitung in Adobe Express zu laden, wird mit einem Pop-up-Fenster konfrontiert.

Dieses warnt den Nutzer, dass das Bild urheberrechtlich geschützt sein könnte und man die Erlaubnis des Rechteinhabers benötigt, um es zu verwenden.

Diese Maßnahme ist kaum mehr als ein juristisches Feigenblatt. Sie verlagert die Verantwortung vom Werkzeughersteller auf den Nutzer und versucht, Adobe aus der rechtlichen Schusslinie zu nehmen. Technisch ändert sich nichts.

Der digitale Dietrich steckt weiterhin im Schloss, nur hängt jetzt ein kleines Schild daneben, das vor seinem Gebrauch warnt. Für jeden, der fest entschlossen ist, ein Bild zu entwenden, stellt dieser zusätzliche Klick keine Hürde dar. Es ist eine Geste, die das Problem anerkennt, aber seine Lösung verweigert.

Vom Schlüsselbund zum Dietrich mit Bedienungsanleitung

Um das Ausmaß des Problems zu verstehen, muss man sich die technische Simplizität vor Augen führen. Das Adobe Acrobat Chrome-Plugin, auf über 320 Millionen Browsern installiert, bot beim Rechtsklick auf ein Online-Bild die Option „Bild bearbeiten“ an. Ein Klick darauf öffnete das Bild in einer abgespeckten Online-Version von Adobe Express, wo das auf Firefly basierende, KI-gestützte Radierwerkzeug zur Verfügung stand. Wasserzeichen, die Fotografen bewußt zum Schutz ihrer Werke platziert hatten, ließen sich damit in Sekundenschnelle entfernen. Was früher zumindest Grundkenntnisse in Photoshop und einen gewissen Zeitaufwand erforderte, wurde zu einem Vorgang von unter einer Minute, ausführbar von jedem Laien. Adobes Update ändert an diesem Ablauf nichts, es schaltet lediglich eine moralische und rechtliche Abfrage vor, die keinerlei bindende Wirkung hat.

Rechtslage: Wasserdichte Gesetze im digitalen Sieb

Juristisch ist die Lage eigentlich klar. Wasserzeichen gelten unter dem US-amerikanischen Digital Millennium Copyright Act (DMCA) als „Copyright Management Information“ (CMI). Ihr absichtliches Entfernen ohne Zustimmung des Urhebers ist illegal und kann empfindliche Strafen nach sich ziehen. Adobes neuer Warnhinweis ist im Grunde ein Eingeständnis dieser Rechtslage.

Doch das Problem war nie das Fehlen von Gesetzen, sondern deren mangelnde Durchsetzbarkeit im digitalen Raum. Die schiere Masse an potenziellen Verstößen, die ein derart einfach zu bedienendes Werkzeug ermöglicht, macht eine konsequente Rechtsverfolgung zur Utopie. Der Warnhinweis ändert daran nichts. Er ist wie ein Schild „Bitte nicht stehlen“ in einem Kaufhaus ohne Personal und ohne Kameras – ein Appell an ein Gewissen, das bei Dieben per Definition nicht vorhanden ist.

Das Paradoxon Adobe: Schutz versprechen, Diebstahl ermöglichen

Die ganze Affäre legt die schizophrene Position offen, in der sich Adobe befindet. Auf der einen Seite investiert das Unternehmen massiv in Technologien wie die „Content Credentials“ im Rahmen der Content Authenticity Initiative (CAI). Diese sollen die Herkunft und Bearbeitungshistorie von Bildern fälschungssicher dokumentieren und so Vertrauen und Authentizität im digitalen Raum schaffen.

Auf der anderen Seite liefert eine andere Abteilung desselben Unternehmens ein Werkzeug, das genau diese Schutzmechanismen untergräbt und die unrechtmäßige Aneignung von Bildern fördert. Adobe agiert hier wie ein Rüstungskonzern, der gleichzeitig kugelsichere Westen und panzerbrechende Munition verkauft. Welchen Wert hat ein digitaler Herkunftsnachweis, wenn das Wasserzeichen, der sichtbarste Hinweis auf den Urheber, mit Bordmitteln desselben Herstellers entfernt werden kann?

Fazit: Ein gebrochenes Vertrauen und ein offener Weg

Adobes Reaktion auf die Krise ist enttäuschend und kurzsichtig. Statt das Problem an der Wurzel zu packen und die schädliche Funktion aus der Browser-Erweiterung zu entfernen, hat man sich für eine oberflächliche, rein juristisch motivierte Lösung entschieden. Das Vertrauen der Kreativ-Community, Adobes wichtigstes Kapital, wurde damit weiter beschädigt.

Die Episode ist ein Weckruf für alle Fotografen und Bildschaffenden. Der Glaube, ein sichtbares Wasserzeichen biete einen wirksamen Schutz, ist eine Illusion. Die Zukunft des Bildschutzes liegt nicht in sichtbaren Störfaktoren, sondern in unsichtbaren, robusten Technologien wie den Content Credentials – ironischerweise jener Technologie, deren Glaubwürdigkeit Adobe gerade selbst beschädigt.

Für die Branche bedeutet dies, dass der Wert eines Bildes sich zunehmend von seiner reinen Exklusivität entkoppeln muss. Kontext, die Geschichte hinter dem Bild, die nachweisbare Authentizität und der persönliche Stil des Urhebers werden zu den entscheidenden Währungen in einer Welt, in der jede Kopie nur einen Rechtsklick entfernt ist. Adobe steht nun vor der Herkulesaufgabe, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Der erste Schritt wäre, den digitalen Dietrich aus dem Browser zu entfernen – und nicht nur ein Schild daneben zu hängen, das vor seinem Gebrauch warnt.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

2 Kommentare

    1. Dass man Werkzeuge zu guten wie zu bösen Zwecken nutzen kann, ist ja nicht neu; damit haben wir seit Anbeginn der Menschheit zu tun. In Baumärkten, beim Küchenbedarf oder in Sportartikelfachgeschäften kann man vieles legal erwerben, mit dem sich auch Schaden anrichten ließe; in Waffenläden sowieso. Mit meinem Bogen könnte ich, geeignete Pfeile vorausgesetzt, leicht jemanden aus sicherer Distanz umbringen, aber als ich ihn damals bei Karstadt Sport gekauft hatte, wurde ich nicht einmal ermahnt, so etwas bleiben zu lassen. Auch Werkzeuge, um Schlösser zu knacken, kann man problemlos erwerben, und der Käufer muss selbst Sorge tragen, damit nichts Ungesetzliches anzustellen. Dass sich Adobes Werkzeuge auch nutzen lassen, um Maßnahmen zur Sicherung des Urheberrechts auszuhebeln, ist nur ein weiteres Beispiel für ein seit jeher bestehendes Problem.

      Insofern also ein Fall von „Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen“ – wir müssen uns notgedrungen mit der Situation arrangieren. Aber es gibt Ausnahmen. Hersteller von Kopierern, Druckern und Scannern müssen dafür sorgen, dass ihre Geräte nicht zur Geldfälschung missbraucht werden können. Dass es solche Sperren geben muss – Doc Baumann hatte vor Jahren schon mal etwas darüber geschrieben –, liegt aber auch daran, dass sie technisch einfach implementierbar sind: Geldscheine kann man leicht identifizieren. Dass irgendein störender Fleck im Bild ein Teil eines Wasserzeichens ist, ließe sich vermutlich nicht so eindeutig erkennen. Vermutlich werden die meisten Experten auch davon ausgehen, dass Wasserzeichen in Digitalbildern noch nie ein wirksamer Kopierschutz waren, und es daher müßig wäre, gegen Methoden zu ihrer Entfernung vorzugehen. Die Wasserzeichen-Methode krankte seit jeher daran, dass ein Wasserzeichen entweder den Betrachter zu sehr störte oder sich allzu leicht entfernen ließ. Mit den Mitteln der KI ist Letzteres jetzt nur noch einfacher geworden; man braucht kein besonderes Geschick mit den Werkzeugen in Photoshop mehr.

      Früher war es auch insofern noch einfacher, als man niedrig aufgelöste Bilder auch ohne Wasserzeichen online präsentieren konnte, um dann hoch aufgelöste Versionen davon zu verkaufen. Heutzutage dominiert das Internet als Ausspielweg die Printmedien, wodurch die Anforderungen an die Auflösung schon einmal gesunken sind. Und dann gibt es sehr gute KI-gestützte Verfahren, um Bilder hochzuskalieren, so dass man Bilder als Druckvorlagen verwenden kann, die vor Jahren noch als völlig ungeeignet für eine solche Verwendung galten.

      Wir werden uns daher auf andere Lösungen zur Durchsetzung unseres Urheberrechts verlegen müssen, und Content Credentials, wie sie Adobes Anwendungen mittlerweile unterstützen, sind ein wichtiger Teil davon. KI-Funktionen zur Entfernung störender Details werden nicht verschwinden, sondern im Gegenteil in alle Bildbearbeitungsprodukte Einzug halten, weil sie technisch möglich sind und die Kundschaft solche Funktionen verlangt. Da braucht man nicht auf Alternativen zu Adobe zu hoffen, und mit Eingriffen des Gesetzgebers rechne ich auch nicht.

      Gestern in ttt (https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3R0dCAtIHRpdGVsIHRoZXNlbiB0ZW1wZXJhbWVudGUvMjAyNS0xMC0wNV8yMy0wNS1NRVNa, ab 15:45 Minuten) wurde ein Fall geschildert, in dem nicht nur ein Bild, sondern ein kompletter Animationsfilm geklaut worden war, um damit Preise einzuheimsen. Die wahren Urheber haben ihren Film (und die Preise dafür) am Ende zurückbekommen, aber einfach war es nicht. „Das Böse ist immer und überall“ war schon ein alter Hut, als die Erste Allgemeine Verunsicherung 1986 diese Textzeile in einem Song verwendete.

Schreibe einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"