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Abschied von einem Giganten: Sebastião Salgado ist tot

Die Nachricht hinterlässt eine spürbare Leere in der Welt der Fotografie: Der brasilianische Meisterfotograf Sebastião Salgado, dessen epische Schwarz-Weiß-Reportagen das visuelle Gedächtnis unserer Zeit prägten, ist im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Leukämie-Erkrankung verstorben. Salgados Werk, eine monumentale Chronik menschlicher Existenzen und der majestätischen, oft bedrohten Natur, hat uns allen unvergessliche Bilder geschenkt.

Der Ökonom, der zum Auge der Welt wurde

Es war ein später, aber umso folgenreicherer Ruf, dem Sebastião Salgado folgte. Ursprünglich als Wirtschaftswissenschaftler tätig, entdeckte er die Fotografie erst mit Ende Zwanzig für sich – ein Glücksfall für uns alle. Seine Bildsprache, geprägt von einer tiefen Empathie und einem untrüglichen Gespür für Komposition und Licht, wurde rasch unverwechselbar. Projekte wie „Workers“ (Arbeiter, 1993), „Migrations“ (Exodus, 2000) und das spätere Opus „Genesis“ (2013) sind nicht nur fotografische Meilensteine, sondern auch Zeugnisse eines schier unglaublichen Durchhaltevermögens. Salgado investierte Jahre, oft unter widrigsten Bedingungen, um das Wesen seiner Sujets zu erfassen, sei es die harte Realität von Industriearbeitern, das Schicksal von Vertriebenen oder die erhabene Schönheit unberührter Landschaften.

Von den Schattenseiten zur Hymne an das Leben

Macaroni Penguins on Zavodovski Island, The Sandwich Islands, 2009
Macaroni Penguins on Zavodovski Island, The Sandwich Islands, 2009

Die Intensität, mit der Salgado die menschliche Condition dokumentierte – man denke an die Goldminen von Serra Pelada oder die Hungerkatastrophen in der Sahelzone – forderte ihren Tribut. Die Konfrontation mit dem Leid dieser Welt führte ihn in eine tiefe persönliche Krise. Doch Salgado fand einen Weg zurück, indem er seinen fotografischen Fokus verlagerte: Mit „Genesis“ wandte er sich der unberührten Natur zu, den letzten Paradiesen unseres Planeten. Dieses Projekt war mehr als nur Fotografie; es war eine Katharsis und ein Aufruf zum Handeln. Parallel dazu initiierte er mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado das Instituto Terra. Auf dem einst kargen Land ihrer Familie in Brasilien pflanzten sie zwei Millionen Bäume und schufen ein blühendes Beispiel für ökologische Wiederherstellung – ein Akt der Hoffnung, der seine fotografische Arbeit spiegelte.

Ein fotografisches Leben, das bis zuletzt brannte

Die Nachricht von seinem Tod berührt mich auch deshalb so sehr, weil ich Sebastião Salgado erst im vergangenen Jahr in London bei der Verleihung der Sony World Photography Awards zuletzt getroffen habe. Er wurde dort für sein Lebenswerk geehrt, und was mich nachhaltig beeindruckte, war seine schier unglaubliche Vitalität. Mit seinen damals 80 Jahren wirkte er präsenter, energiegeladener und visionärer als viele jüngere Menschen. Er sprach mit leuchtenden Augen von Projekten. Seine Leidenschaft war ansteckend, sein Engagement schien ungebrochen.

Das Vermächtnis eines visuellen Humanisten

Salgados Werk ist ein Fanal des Humanismus in einer zunehmend von Oberflächlichkeit geprägten Bilderflut. Seine Fotografien sind keine schnellen Schnappschüsse, sondern sorgfältig komponierte Tableaus von oft malerischer Qualität, die den Betrachter innehalten lassen. Technisch blieb er lange der analogen Fotografie und dem körnigen Schwarz-Weiß treu, das seinen Bildern ihre charakteristische Tiefe und Dramatik verleiht. Auch als er später auf digitale Technik umstieg, tat dies seiner Ästhetik keinen Abbruch; die Präzision und Tonalität seiner Abzüge blieben Referenzklasse. Unbedingt empfehlenswert ist der Film „Das Salz der Erde“ über ihn und seine Arbeit.

Sein Einfluss reicht weit über die Fotografie hinaus. Salgados Bilder haben das Bewusstsein für globale Ungerechtigkeiten und ökologische Bedrohungen geschärft. Er war nicht nur Beobachter, sondern auch Mahner und, durch das Instituto Terra, aktiver Gestalter. Er hat uns gelehrt, genauer hinzusehen, die Würde in jedem Menschen zu erkennen und die Zerbrechlichkeit unseres Planeten zu begreifen.

Mit Sebastião Salgado verliert die Welt nicht nur einen ihrer größten Fotografen, sondern auch ein visuelles Gewissen. Seine Bilder werden bleiben – als Trost, als Anklage und als Inspiration. Sie sind ein Beitrag zum Verständnis unserer komplexen Welt, ein Vermächtnis, das Generationen von Fotografen und Betrachtern weiterhin bewegen und herausfordern wird. Sein Blick auf die Welt wird uns fehlen.

Ergänzung – danke an Lothar Dammers:

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Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

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