
Mit seiner Serie „Die Masken der Götter“ zeigt der experimentierfreudige Berliner Künstler Steve Braun eindrucksvoll, wie man moderne Motive aus Versatzstücken historischer Fotos erschaffen kann. | Christoph Künne.
Eigentlich ist der Schwerpunkt von Steves fotografischen Arbeiten die Auseinandersetzung mit sozialen Klassen, wobei er sich besonders für Menschen mit unkonventionellen Lebensentwürfen interessiert, Sein Fokus ist die Lebenswelt der Punks. Aber es fasziniert ihn auch, seine eigenen Bildwelten zu erschaffen und mit Photoshop zu experimentieren.
Das Götter-Projekt
Die Idee zu diesem Projekt entwickelte Steve während der Corona-Krise, als er weder seine Punk-Community dokumentieren konnte, noch mangels eines eigenen Ateliers besonders viel Platz zum Arbeiten hatte. Er war genervt. Vor allem vom Jammern und Klagen in seiner Künstler-Blase, deren Mitglieder sich zur Untätigkeit verurteilt sahen. Als Ausweg besann er sich auf die Lieblingsbeschäftigung seiner Jugend auf dem flachen Land: Rollen- und Videospiele. Fasziniert hatte ihn daran vor allem die Ausgestaltung der Charaktere und Figuren. Als er dann noch auf einen philosophischen Text Heinz-Ulrich Nennens über die Masken der Götter stieß, fand er darin die ausschlag- und später titelgebende Anregung für sein Corona-Projekt. Nennen beschreibt, wie sich die Bilder der antiken griechischen und römischen Götter entwickelt haben und wie „Götter verkörpern, … wofür sie allegorisch einstehen“. Praktisch umgesetzt heißt das, sie müssen – wie Figuren in Rollenspielen – ihre Merkmale, Fähigkeiten und Besonderheiten vor allem über ihre Kleidung, ihre Accessoires sowie ihre Werkzeuge und Waffen symbolisieren.
Wollte man solche Gottwesen in einem reinen Fotoprojekt umsetzen, so wäre das eine enorm aufwendige und vermutlich sehr kostspielige Aktion. Man müsste zunächst eine Vielzahl von Objekten beschaffen, diese dann in ihre Einzelteile zerlegen und neu zusammensetzen. Damit entfällt die Option etwas auszuleihen. Die Alternative liegt im Selbermachen. Das ist möglicherweise günstiger, verschlingt aber sehr viel Zeit, braucht Werkzeuge, Material und viel Raum, wenn das Projekt einen Umfang bekommen soll wie Steves Sammlung, die aktuell 23 solcher Figuren umfasst.
Arbeitsstrategie
Steve hat auch an diesem Punkt von seiner Vergangenheit profitiert. Und zwar von der als als Hardcore-Photoshopper, der einen ausgeprägten Unwillen empfand, selbst zu fotografieren. „Ich habe lange Zeit fast ausschließlich mit Bildern von Amateurfotografen gearbeitet, die es damals in großer Auswahl auf den kostenlosen Online-Plattformen gab, um sie zu neuen Bildwelten zu kombinieren“, erinnert er sich an seinen Ansatz von vor zehn Jahren. „Diese Erfahrung half mir nun wieder bei dem neuen Projekt. Kostenloses Stockmaterial gibt es ja kaum noch, dafür aber Opensource-Archive wie das der amerikanischen Library of Congress mit Zehntausenden historischer Fotos. Dass es sich dabei hauptsächlich um US-amerikanische Motive handelt, ist für meine Zwecke nebensächlich, da ich ja von den Ausgangsbildern meist nur kleine Bildfragmente brauche. Dafür dann allerdings sehr viele, denn in jedem Motiv sind etwa hundert solche Bausteine verarbeitet. Ein großes Problem dabei ist die mangelnde Schärfe der Vorlagen. Das hat den Suchprozess erheblich verlängert. Manche meiner modernen Frankensteinmonster sind in ein bis zwei Tagen entstanden, aber es gab auch Herausforderungen, die die Produktionszeit auf fast eine Woche ansteigen ließen.“
Am Ende lief es immer auf eine uneinheitliche Mixtur verschiedener Techniken hinaus: Die einzelnen Elemente der schon komplexen Roh-Montagen mussten nachträglich an die Beleuchtungsverhältnisse des Motivs angeglichen werden. Teils funktionierte das mit Retuschen in Photoshop, oft kam Steve aber auch nicht um das Hinzumalen von Details und Verbindungsstücken herum. Das Finish bestand vor allem darin, die Körnungsstruktur und die Oberflächencharakteristik mit Texturen zu vereinheitlichen.
Künstlerische Position
Steve Braun betrachtet die Kultur, in der wir leben, als eine Art Opensource-Datenbank, aus der sich alle bedienen und die im Ergebnis wie ein Schmelztiegel der Referenzen funktioniert. So entstehen die Protagonisten für neue Erzählungen des im Grunde immer wieder Gleichen. Seine Götterfiguren nehmen Bezug auf die Ästhetik von Videospielen und damit auf archaische Vorstellungen von spezialisierten göttlichen Fähigkeiten. Stilistisch sieht er sich von der Arbeit John Heartfields und Frida Orupabos beeinflusst.
So stellen für ihn die Motive eine Schnittstelle zwischen Popkultur und Kunstgeschichte dar.
Steve Braun
Jahrgang 1989, wuchs in einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern auf, studierte nach der Schule Grafik-Design, und erkannte bald, dass er das Thema Gestaltung praktischer angehen muss. Deswegen schloss er dem Studium eine Ausbildung zum Mediengestalter an. Während eines wenig erfüllenden Jobs in der Postproduktion einer großen Werbeagentur vertiefte er in seiner Freizeit sein Wissen mit unzähligen Photoshop-Tutorials. Bildbearbeitung wurde zu seiner Obsession und mündete schließlich in einem Studium der freien Kunst bei Ottmar Hörl und Juergen Teller in Nürnberg. Seit drei Jahren lebt und arbeitet Steve als Bildender Künstler in Berlin.
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