1000-Posts-Jubiläum: Warum wir auf Instagram scheitern – und trotzdem nicht aufgeben

Es ist ein Jubiläum der leisen Sorte, eines ohne Fanfaren und digitales Konfetti. Der Zähler springt auf 1000. Tausend Mal haben wir ein Bild ausgewählt, einen Text formuliert, Hashtags recherchiert und auf „Teilen“ geklickt. Tausend Mal haben wir ein kleines Stück unserer Arbeit in die unendliche Pixelwüste von Instagram entlassen. Das Ergebnis nach über 10 Jahren der Mühe: Knapp 2500 Follower, Interaktionsraten, die man meist an zwei Händen abzählen kann, und eine selbst für ein Nischenthema bescheidene Reichweite. Das sind Zahlen, bei denen Influencer mitleidig lächeln und Marketingexperten peinlich berührt auf ihre Schuhe schauen.
Zeit also für eine schonungslose Bilanz, eine Art fotografische Selbstanalyse ohne Weichzeichner. Willkommen in der wundersamen Welt des Instagrammierens, wo wir als @docmamagazin seit Jahren tapfer gegen Algorithmen kämpfen, die unsere Inhalte mit der Begeisterung eines gelangweilten Museumswärters an unserem Publikum vorbeischleusen.
Das Paradox der Pixel-Profis
Eigentlich sollte es ja ein Heimspiel sein. Ein Magazin, dessen Redaktion sich der Perfektionierung des digitalen Bildes verschrieben hat, auf einer Plattform, die von nichts anderem lebt als von Bildern. Wir sind die, die über Tonwertkorrekturen philosophieren, während andere noch den richtigen Selfiefilter suchen. Wir diskutieren die Vorzüge von Capture One gegenüber Lightroom, während die Welt da draußen im Spiel mit Amaro- oder Valencia-Filteranwendungen versinkt. Man sollte meinen, auf einer visuellen Plattform wäre Expertise in Sachen Bildgestaltung ein unschätzbarer Vorteil.
Doch der digitale Belichtungsmesser der Analyse-Tools liefert die brutale Wahrheit: Unsere durchschnittliche Interaktionsrate liegt bei ernüchternden 0,89 Prozent. Der Branchendurchschnitt für Medien-Accounts? 1,94 Prozent. Wir sind also nicht nur unterdurchschnittlich, wir sind nur halb so fesselnd wie der Durchschnitt. Es ist, als würde ein Sternekoch ein Restaurant eröffnen und die Gäste gehen trotzdem lieber zur Dönerbude nebenan. Diese Diskrepanz wirft eine fundamentale Frage auf: Verstehen wir die Plattform nicht, oder versteht die Plattform uns nicht?
Generation Silberhalogenid trifft Algorithmus
Die wahrscheinlichste Antwort liegt in einem kulturellen Graben. Auf der einen Seite steht unsere Zielgruppe: erfahrene Fotografen, Bildbearbeiter und Kreativ-Profis – überwiegend männlich, eher hochgebildet und mit Kameraequipment im Wert eines Kleinwagens ausgestattet – dort eine Plattform, auf der die Menschheit ihre Frühstückstoasts dokumentiert und Beauty-Influencer für ein Teenager-Publikum den perfekten Lidstrich zelebrieren.
Instagram ist ein Ökosystem, das auf Geschwindigkeit, Flüchtigkeit und sofortige Bedürfnisbefriedigung ausgelegt ist. Ein Ort, an dem Authentizität oft mit technischer Unbedarftheit verwechselt wird und ein verwackeltes Reel mehr Aufmerksamkeit bekommt als ein makellos ausgeleuchtetes Stillleben. Die Daten bestätigen diesen Verdacht: Ausgerechnet unsere schnell produzierten Reels erzielen mit 1,35 Prozent die (vergleichsweise) höchsten Interaktionsraten. Unsere sorgfältig kuratierten Einzelbilder, die eigentliche Essenz der Fotografie, dümpeln bei 0,67 Prozent. Der Algorithmus belohnt das Format, das unserer Kernkompetenz am fernsten liegt. Es ist, als würde man einen Kalligrafen zwingen, mit einer Farbrolle zu schreiben.
Eine Frage der Haltung, nicht der Reichweite
Unsere über die Zeit für Instagram aufgewandten Ressourcen, diese kreative Energie, könnte man bestimmt an anderer Stelle gewinnbringender einsetzen: in tiefgründigen Fachartikeln, in der Entwicklung neuer Techniken, im direkten Austausch mit der Community über Kanäle, die nicht von der Willkür eines undurchsichtigen Codes regiert werden. Die Notwendigkeit, „dabei zu sein“, diktiert einen Arbeitsaufwand, dessen Legitimation sich bei näherer Betrachtung in Luft auflöst. Wir sind nicht allein mit diesem Problem; es ist die stille Frustration unzähliger Nischenanbieter und Experten, die versuchen, in einem auf Massenkompatibilität getrimmten System Gehör zu finden.
Warum also weitermachen? Warum Post Nummer 1001, 1002 und 1003 vorbereiten? Weil es nicht nur um die Reichweite geht, sondern um die Haltung. Vielleicht sind wir dort die Jazz-Musiker in einer Welt voller Autotune-Popstars. Wir spielen nicht für die riesige, johlende Menge, sondern für die Handvoll Kenner in der ersten Reihe, die jede Nuance, jede komplexe Harmonie zu schätzen wissen.
Möglicherweise ist unser Instagram-Kanal weniger ein Marketing-Instrument als vielmehr ein digitales Archiv, eine Galerie für jene, die gezielt nach uns suchen. Oder es ist einfach nur ein Akt des professionellen Trotzes gegen die Banalisierung des Visuellen.
Und während Sie dies lesen, sitzt ein Redakteur schon am nächsten Beitrag. Nicht mit der naiven Hoffnung auf virale Verbreitung, sondern mit der stoischen Gelassenheit eines Leuchtturmwärters, der seine Lampe poliert – wissend, dass ihr Licht vielleicht nur wenige erreicht, für diese aber von großem Wert ist.






Das Problem: Ihr behandelt Instagram noch wie aus 2018
Reels machen, aufmerksam erzeugen, fragen dem Leser stellen, provozieren, Key Facts nennen usw. alles schön mit KI oder eigenem Gesicht.
Vertraut doch bitte auf eure Kernkompetenz und lasst den KI-Quatsch weg. Ihr versucht mit dem Wandel Schritt zu halten und geht damit in der Masse unter. Wo liegt der Unterschied zwischen dem Sternekoch und der Dönerbude, wenn man beim Sternekoch auch nur Döner bekommt?
Ich nutze KI tatsächlich täglich und es gehört zum festen Bestandteil meines Berufs in Informatik und Marketing. Umso schöner, wenn man in der Freizeit dann mal über den KI-Tellerrand hinaus schauen kann und erkennen darf, dass es noch mehr zu entdecken gibt.
Dabei ertappe ich mich dabei minutenlang Videos zur Bearbeitung von Holz, Leder und Metall anzusehen. Ergänzt wird das durch Malerei, Bastelei und anderen vollkommen manuellen Arbeiten. Alles ganz ohne KI.
KI gibt es zwischenzeitlich an (zu) vielen Stellen. Echtes Wissen und Substanz findet man selten(er).
Dasselbe gilt für Dönerbuden und Sterne-Restaurants.
Vielleicht bin ich aber auch nicht der tatsächlich relevante Maßstab und mit 52 Jahren bin ich ein zu alter Knopf.
Mit dem Alter hat das vermutlich wenig zu tun 🙂 Eher mit Neugierde.
Aber mich würde mal interessieren, was genau Sie für unsere „Kernkompetenz“ halten?
Beste Grüße
Christoph Künne
Da ich mit „Ihr“ ja vielleicht auch angesprochen bin: Ich sehe mich zwar idealiter als vielseitig gebildeten uomo universale; mein Vorbild ist der Humanist Leon Battista Alberti, und wie Alberti kann ich besser über Kunst schreiben als selbst malen. Aber meine eigentliche Kernkompetenz ist tatsächlich die KI, denn das ist das Gebiet, auf dem ich während meiner einstigen wissenschaftlichen Karriere geforscht habe und dessen Entwicklung ich bis heute kritisch verfolge.
Hallo Leuchtturm, hier ist einer der immer wieder auf Euer Licht schaut. Poliert die Lampe weiter, denn es ist immer wieder eine Freude Euer Magazin oder Eure Beiträge zu lesen, zu verstehen und manchmal auch zu erfahren. Natürlich geht anders immer, aber anderes ist nich timmer besser. Soweit ich das beurteilen kann sind da draussen viele Schiffe die Euer Licht brauchen. Natürlich nicht soviel wie bei einer Babykatze die gerade mit Knopfaugen in die Kamera schaut.
Ich glaube, dass die Menschen die wirklich wissen wollen, warum auch immer, schauen auf Eurer Website nach, nicht auf den »Sozialen Medien«.
Mir geht es zumindest so, als Designer bin ich seit Photoshop 2, also um 1990 in der digitalen Branche unterwegs. Ein bisschen so ähnlich wie Herr Schatz. Ich habe und werde nie Zeit für »Soziale Medien« vergeuden. Und genau dieses Verhalten kenne ich von vielen Kollegen. Ihr ahnt glaube ich gar nicht, wie wichtig Docma ist. Im Mai diesen Jahres hat Cleverprinting seine Pforten für immer geschlossen, allein das Sondermagazin Experimente, rund um Dateiformate und Auflösungen in ihre Anwendung im Druck auf unterschiedlichsten Papieren ist ein Schatz, den man so kaum wieder bekommen wird. Ich könnte noch viele weitere Beispiele aufzählen, wo uns durch diese Geldgier amerikanischer Tech-Firmen Entwicklung, Wissen und Kulturgut verloren geht. Beim Schreiben schießt mir gerade eine interessante Idee durch den Kopf. Reduziert eure Instagram-Seite auf einen einzigen Satz und ein Link: »Wenn Sie mehr zur Bildbearbeitung wissen möchten, laden wir Sie recht herzlich auf unsere Website ein«. Wenn das hunderte von Firmen ganz gleich welcher Branche machen würden, währe das glaube ich ein äußerst interessantes Signal.
Als Signal sicher interessant, aber die meisten Menschen (und ich befürchte dazu zählen auch die Berufskreativen) sind in erster Linie bequem. Dieser Verzicht hätte nur eine beschränkte Wirkung, dass man danach noch weniger sichtbar ist 🙂