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Die digitale Neuvermessung der Welt: Tech-Fürsten, entmachtete Staaten und die neue Ordnung

Wir erleben eine jener historischen Phasen, die Historiker später als „Wendezeit“ oder „Neuordnung der Welt“ bezeichnen werden. Diese neue Ordnung formt sich gerade jetzt vor unseren Augen. So wie die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg den Kampf um Macht und Einflusssphären auch nach dem Ende der Schlachten weiterführten, so erleben wir heute eine fundamentale Neuvermessung der globalen Machtarchitektur. Doch die Akteure, die die neuen Karten zeichnen, sind keine Staatenlenker an Verhandlungstischen mehr. Es sind die Fürsten des digitalen Zeitalters – Musk, Altman, Zuckerberg, Bezos –, die mit Algorithmen als Zepter und Daten als Territorium neue Imperien errichten. Ihre Herrschaftsform ist ein schleichender, aber umso wirkungsvollerer Tech-Feudalismus, der die Souveränität der Nationalstaaten erodiert und die Grundfesten unserer Gesellschaftsordnung in Frage stellt.

Die neuen Souveräne und ihre digitalen Lehen

Die Macht dieser neuen Fürsten speist sich nicht aus Grund und Boden, sondern aus der Kontrolle über die Infrastrukturen unseres digitalen Lebens. Jeder von ihnen herrscht über ein eigenes, klar abgrenzbares Lehen. Mark Zuckerbergs Meta-Imperium ist ein globaler Sozialstaat für Milliarden von „Bürgern“, die mit ihren Daten und ihrer Aufmerksamkeit bezahlen. Er legt die Regeln des sozialen Miteinanders fest, bestimmt über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit von Informationen und formt so die öffentliche Meinung in einem Ausmaß, von dem absolutistische Herrscher nur träumen konnten.

Jeff Bezos Amazon ist mehr als ein Handelsplatz; es ist ein logistisches und infrastrukturelles Reich. Mit Amazon Web Services (AWS) kontrolliert er das Fundament, auf dem ein signifikanter Teil des Internets ruht. Er herrscht über die digitalen Handelsrouten und Lagerhäuser und diktiert die Bedingungen für Millionen von Händlern, die auf seiner Plattform um ihre Existenz kämpfen. Seine Macht ist die eines modernen Hanse-Fürsten, der nicht nur den Handel, sondern auch die Wege und Regeln des Austauschs kontrolliert.

Elon Musk wiederum inszeniert sich als visionärer, bisweilen erratischer Monarch, der mit X eine globale Agora für den politischen Diskurs besitzt. Seine Edikte in Form von Kurznachrichten können Märkte bewegen und politische Karrieren beenden. Gleichzeitig greift er mit Starlink nach der Lufthoheit im Orbit und mit Tesla nach der Zukunft der Mobilität. Seine Macht ist die des disruptiven Eroberers, der alte Ordnungen gezielt herausfordert, um seine eigenen zu etablieren.

Sam Altman schließlich ist der Hohepriester einer neuen technologischen Religion: der Künstlichen Intelligenz. Mit OpenAI verwaltet er nicht nur Code, sondern die Bausteine zukünftigen Wissens und menschlicher Kreativität. Seine Herrschaft ist subtiler, aber potenziell weitreichender. Wer die Werkzeuge des Denkens und der Wissensproduktion kontrolliert, formt die nächste Zivilisationsstufe. Dies ist keine reine Unternehmensführung mehr, es ist der Vormarsch einer neuen Form der Technokratie, einer Expertokratie, deren gesellschaftliche Folgen kaum absehbar sind Die Arenen der Macht und die Währung des 21. Jahrhunderts

Die Rivalitäten dieser digitalen Fürstentümer werden nicht auf Schlachtfeldern ausgetragen, sondern in den Arenen der technologischen Hegemonie. Das primäre Konfliktfeld ist der Kampf um Daten – das Rohmaterial, aus dem digitale Macht geschmiedet wird. Wer die umfassendsten und tiefsten Einblicke in menschliches Verhalten besitzt, entwickelt die überlegenen Algorithmen, die wiederum mehr Nutzer anziehen und einen sich selbst verstärkenden Kreislauf der Machtkonzentration in Gang setzen.

Eng damit verknüpft ist der „Wettbewerb um Talente“. Die komplexen Technologien, die eine Vormachtstellung sichern, müssen von den brillantesten Köpfen erdacht und umgesetzt werden. Die Tech-Fürsten überbieten sich gegenseitig in einem globalen Werben um Ingenieure, Forscher und Datenwissenschaftler, die wie einst die Künstler und Gelehrten der Renaissance an die Höfe der Mächtigsten gelockt werden. Chinas Präsident Xi Jinping formulierte es treffend: „Wer die besten Talente an sich binden kann, wird in diesem Wettbewerb einen Vorteil haben“. Dieser Kampf um Humankapital ist zu einem zentralen Aspekt des geopolitischen und geoökonomischen Ringens geworden.

Die ultimative Arena ist jedoch die Eroberung der nächsten technologischen Grenze. Ob Künstliche Intelligenz, kommerzielle Raumfahrt, Biotechnologie oder Gehirn-Computer-Schnittstellen – wer hier den entscheidenden Durchbruch erzielt, definiert nicht nur einen neuen Markt, sondern eine neue Realität. Der erbitterte Wettstreit zwischen Musks xAI und Altmans OpenAI ist daher mehr als ein unternehmerischer Konkurrenzkampf; es ist ein Ringen um die Deutungshoheit über die Zukunft der menschlichen Intelligenz selbst.

Die entmachteten Souveräne: Nationalstaaten im Abseits

In dieser neuen Weltordnung finden sich die Nationalstaaten in einer prekären Lage wieder. Jahrhundertelang waren sie die unangefochtenen Inhaber des Gewaltmonopols und der legislativen Macht. Heute sehen sie sich mit Akteuren konfrontiert, deren Imperien transnational sind, deren „Bürger“ über den ganzen Globus verteilt sind und deren Kapitalströme sich nationalen Steuergesetzen elegant entziehen.

Die Reaktionen der Staaten fallen unterschiedlich aus. Die Europäische Union versucht, sich als Regulierungs-Imperium zu behaupten und die Tech-Fürsten mit Gesetzeswerken wie dem DMA und DSA in die Schranken zu weisen. Doch sie agiert aus einer Position der technologischen Defensive, ein Umstand, der ihre Verhandlungsmacht schwächt. China praktiziert eine Art digitalen Absolutismus: Es lässt eigene Tech-Giganten wie Tencent und Alibaba entstehen, nur um sie dann an die kurze Leine zu nehmen und unmissverständlich klarzustellen, dass die Kommunistische Partei der oberste Souverän bleibt.

Die USA, das Heimatland der meisten dieser neuen Fürsten, pflegen eine ambivalente Symbiose. Sie ähneln einer Weltmacht, die zwar eine neue Ordnung geschaffen hat, aber zögert, die volle Verantwortung dafür zu übernehmen. Einerseits profitiert der Staat von der technologischen und wirtschaftlichen Stärke seiner Konzerne, andererseits wächst die Sorge vor deren unkontrollierbarer Macht. Das Ergebnis ist ein unentschlossenes Lavieren zwischen Kooperation und zaghaften Kartellverfahren.

Zwischen digitalem Absolutismus und technologischem Humanismus

Die Analogie zum Feudalismus ist mehr als nur ein stilistisches Mittel. Sie beschreibt eine reale Machtverschiebung weg von demokratisch legitimierten, öffentlichen Institutionen hin zu privaten, autokratisch geführten Entitäten. Diese Entwicklung birgt die Gefahr eines „Sozialismus für Reiche“ bei dem Gewinne privatisiert und die gesellschaftlichen Kosten und Risiken sozialisiert werden. Die Konzentration von Reichtum und Macht erreicht Dimensionen, die das soziale Gefüge zu zerreißen drohen.

Wir stehen an einem Scheideweg. Der eine Pfad führt in eine Zukunft, die von einer Handvoll Tech-Monarchen und ihren technokratischen Visionen dominiert wird – eine Art dunkle Erleuchtung, in der Effizienz und Datenlogik über demokratische Prozesse und menschliche Unwägbarkeiten triumphieren. Der andere Pfad führt zu einer bewussten politischen Gestaltung dieser neuen technologischen Realität, zu einer Art technologischem Humanismus, der die Werkzeuge der Digitalisierung in den Dienst des Gemeinwohls stellt und digitale Grundrechte etabliert, die auch gegenüber den mächtigsten Konzernen gelten.

Die digitale Neuvermessung der Welt ist in vollem Gange. Es liegt an uns als Gesellschaft, die neuen Karten nicht nur zu lesen, sondern aktiv mitzuzeichnen, damit die digitale Zukunft nicht zu einem neuen Mittelalter wird, sondern zu einer Epoche, die das Versprechen von Vernetzung und Wissen zum Wohle aller einlöst.

Denken Sie immer daran: Es sind auch Ihre Daten, auf denen diese Weltreiche aufgebaut sind. Und Sie geben ihnen jeden Tag ein paar Megabyte mehr Macht.

Christoph Künne

Christoph Künne, von Haus aus Kulturwissenschaftler, forscht seit 1991 unabhängig zur Theorie und Praxis der Post-Photography. Er gründete 2002 das Kreativ-Magazin DOCMA zusammen mit Doc Baumann und hat neben unzähligen Artikeln in europäischen Fachmagazinen rund um die Themen Bildbearbeitung, Fotografie und Generative KI über 20 Bücher veröffentlicht.

2 Kommentare

  1. „Erst wenn der letzte Maulwurfshügel verkabelt ist, der letzte Baum eine SAT-Antenne trägt und der letzte Gebirgsbach statistisch erfasst wurde, werdet ihr feststellen, dass man Daten nicht essen kann!“

    Oder so.

  2. Mehr zu diesem Thema im neuen Buch von „Die Stunde der Raubtiere“ von Giuliano da Empoli. Er sieht eine «posthumane Zukunft ohne die geringsten Sicherungsmechanismen» auf uns zukommen. Tragisch!

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