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Kritik der Verschwörungstheorien

Im Web haben Verschwörungstheorien Konjunktur – auf den Seiten kritischer Zeitschriften und wissenschaftlicher Bücher dagegen die Kritik der Verschwörungstheorien. Das ist oft sinnvoll und nötig, mitunter allerdings ein Kampf gegen selbst-konstruierte Gespenster. Doc Baumann stellt Ihnen einen Sammelband mit Aufsätzen vor, die anlässlich der Düsseldorfer Ausstellung „Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung“ erschienen ist.

Kritik der Verschwörungstheorien
Kritik der Verschwörungstheorien: Nein, Ihr Monitor ist nicht zu dunkel eingestellt – das Cover des Buches „Im Zweifel für den Zweifel“

„Verschwörungstheorien, Fake News und alternative Fakten haben Konjunktur in Zeiten des Umbruchs, denn Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten. ›Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung‹ ist eine internationale Gruppenausstellung, die die Macht konspirativer Erzählungen sichtbar macht und zu kritischem Zweifeln anregt.“ Mit diesen Sätzen werden die Ausstellung in Düsseldorf und der dazu erschienene Begleitband beworben.

Verschwörungstheorien interessieren mich schon seit Jahrzehnten. Und um ehrlich zu sein: Ich halte etliche von ihnen auch durchaus für plausibel – für plausibler jedenfalls als die offiziellen Verlautbarungen zu gewissen Ereignissen. Demnach müsste ich ein nicht sonderlich gebildeter, zu Aberglauben und Totalitarismus neigender Rechter sein. Da das nicht der Fall ist, muss an der Kritik der Verschwörungstheorien etwas faul sein.

Wie diskreditiere ich die Beschäftigung mit einer bestimmten Art der theoretischen Auseinandersetzung mit der Realität? Ich suche gezielt atypische Beispiele, die meine These untermauern, und lasse die nicht dazu passenden restlichen 95% weg. Ich könnte zum Beispiel behaupten: Die Physik ist ein höchst fragwürdiger Bereich, in dem sich zahlreiche Spinner tummeln. So behauptet die Physik, es sei möglich, ein Perpetuum mobile zu bauen. Dabei ist das theoretisch längst widerlegt und alle Geräte dieser Art basieren auf Betrug.

Ist etwas falsch an diesen Behauptungen? Würde das jemand bezweifeln, könnte ich ihm zahllose Beiträge im Web, Bücher und Zeitschriftenartikel zeigen, die sich mit der Konstruktion eines Perpetuum mobile befassen. Ebenso könnte ich viele kritische Beiträge benennen, die belegen, warum das nicht funktioniert und wie solche Konstrukteure schummeln. Habe ich also recht und ist meine Behauptung angemessen, daher sei die Physik fragwürdig und werde von Spinnern betrieben?

Keineswegs! Die richtige Aussage wäre: Es gibt Menschen, die sich mit physikalischen Phänomenen befassen und behaupten, der Bau eines Perpetuum mobile sei möglich. Im Geltungsbereich der Physik gilt diese Annahme seit der Formulierung der thermodynamischen Gesetze als widerlegt, die Beschäftigung damit ist für Physiker nicht typisch.


Kritik der Verschwörungstheorien: Widerlegung durch Konstruktion


Bei den meisten kritischen Texten, die ich zum Thema Verschwörungstheorien kenne, gehen die Verfasser genau auf diese Weise vor. Dabei greift schon der Begriff „Weltverschwörungstheorie“ eine spezielle Klasse von Hypothesen heraus, die bisher nie verifiziert werden konnten und daher als unsinnig und falsch gelten müssen.

Zu ihrem Bedauern können die Autoren solcher Texte nicht leugnen, dass es reale Verschwörungen schon immer gab und weiterhin gibt. Dabei muss man nicht bis zum Mord an Julius Caesar zurückgehen oder der katholischen Pulver-Verschwörung von 1605. (Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass die Maske des reaktionären Verschwörers Guy Fawkes – seit dem Film „V wie Vendetta“ – von Menschen mit völlig gegensätzlichen politischen Vorstellungen als Zeichen des Protests getragen wird. Offensichtlich haben sie sich nie damit auseinandergesetzt, was historisch dahintersteckt.)

Nach realen Verschwörungen brauchen wir nicht lange zu suchen. Der Diesel-Abgas-Skandal hat alle Merkmale einer klassischen Verschwörung, WW-intern wie in geheimer Abstimmung zwischen den Auto-Bauern. Oder die angeblichen Zuwendungen an die CDU und Helmut Kohl, der Verkauf von Zigaretten oder Glyphosat, obwohl die Hersteller seit langer Zeit Untersuchungsergebnisse zu deren Gesundheitsschädlichkeit kennen, der Mord an Khashoggi … Verschwörungen finden nicht immer in dunklen Gewölben bei Fackelschein statt.

Um an das Beispiel der Physik anzuschließen: Verschwörungstheorien lassen sich pauschal am besten dadurch diskreditieren, indem man tatsächlich verbreitete, absurde Beispiele aufgreift und auseinandernimmt und behauptet, sie seien typisch. Dass die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ eine Fälschung sind und dass alle Argumente für die Annahme, die Amerikaner seien nie auf dem Mond gelandet, mit guten Gründen zurückgewiesen werden konnten, weiß jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Verschwörungstheorien befasst hat.

Die einfache Alternative ist, Medienberichte und offizielle Stellungnahmen auf keinen Fall zu hinterfragen und immer für wahr zu halten. Das bereitet aber sicherlich schon dem simpelsten Gemüt Probleme, wenn Verlautbarungen von Firmen, Regierungen oder Organisationen schon nach wenigen Tagen unter dem Druck der Tatsachen revidiert werden müssen (wiederum das Beispiel des Khashoggi-Mordes).

Zusammengefasst: Natürlich gibt es zahlreiche Verschwörungstheorien, die entweder von Anfang an als widersprüchlich, unmöglich oder unsinnig entlarvt werden können oder ohne nachprüfbare Belege lediglich politischer Propaganda dienen, und Weltverschwörungstheorien gehören fast immer hierzu. Aber so, wie es in jeder Wissenschaft Scharlatane gibt, deren Existenz es nicht rechtfertigt, die jeweilige Wissenschaft als Ganzes für Humbug zu erklären, gibt es Verschwörungstheoretiker, die nicht bereit sind, ihre unzutreffenden Annahmen nach Vorlegen widersprechender, gesicherter Fakten aufzugeben. Das sagt aber über die Angemessenheit von Verschwörungstheorien (oder -Hypothesen) allgemein nichts aus. Und eine so aufgebaute Kritik ist Wissenschaft im schlechtesten Sinne.


Kritik der Verschwörungstheorien: Im Zweifel gegen den Zweifel


Soweit sich dieses Buch überhaupt mit Verschwörungstheorien befasst – was auf nur wenigen Seiten der Fall ist –, gehen die Autoren genau auf die beschriebene Weise vor. Es gibt wenige positive Ausnahmen. Vom behaupteten Anspruch, „die Macht konspirativer Erzählungen sichtbar macht und zu kritischem Zweifeln anregt“ keine Spur.

In der Regel stelle ich Ihnen hier Bücher vor, die ich empfehlen möchte, weil ich sie gut finde. Vor diesem Buch dagegen möchte ich Sie ausdrücklich warnen. Ich finde es nicht nur schlecht, sondern auch noch ausgesprochen hässlich.

Schlecht ist es, weil der Anspruch seines Titels nicht eingelöst wird. Wenn, dann geht es hier eher darum, sich im Zweifel nicht für, sondern gegen den Zweifel zu entscheiden. Manche der Texte wirken wie von Studenten im zweiten Semester verfasst – und man nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass da promivierte Wissenschaftler/innen hinterstecken. Rote Fäden sucht man dort vergeblich, das Ganze ist ohne erkennbare Struktur zusammengemixt. Den größten Teil nehmen Nachdrucke von Texten etwa von Eco, Foucault, Mitscherlich oder Arendt ein. Die sind zwar in sich schlüssig – haben nur mit dem Thema nichts zu tun, sondern allein damit, das Volumen des Buches aufzublasen.

Selten habe ich ein so hässliches und kommunikationsunfreundliches Buch gesehen. Es beginnt damit, dass der Text auf Cover, Rückseite und Rücken schwarz auf schwarz steht. Es soll also, wie der Rest des Buches, gar nicht gelesen werden (können). Im Regal findet man es daher nicht wieder, was aber kein Verlust ist.

Die Seiten im Inneren sind zwar nicht schwarz auf schwarz, auch nicht weiß auf weiß, aber in einem Teil immerhin weiß auf rot gedruckt, was die Kenntnisnahme ebenso wenig fördert. Der Fließtext ist mit einem so geringen Zeilenabstand gesetzt, dass die Lektüre eine Folter für die Augen ist, die geradezu inquisitorisch intensiviert wird, wenn es um Überschriften geht. Die sind nicht nur in Versalien gesetzt, sondern hier hat jemand entdeckt, dass man auch drei Wörter in einer Zeile auf Zeilenbreite dehnen kann, wenn man zwangsweise Blocksatz als Format anklickt (siehe Abbildung unten). Vielleicht war das alles aber auch nur eine subtile Warnung des Layouters, um Leser davon abzuhalten, ihre Zeit mit der Lektüre dieser Texte zu vergeuden.

Bleibt schließlich der Text- und Abbildungsteil zur Ausstellung, der weitestgehend meine Einschätzung bestätigt, dass aktuelle Kunst selten in der Lage ist, relevante Inhalte in nachvollziehbarer Form zu kommunizieren. Im konkreten Fall: die künstlerische Umsetzung von Zweifeln und Verschwörungstheorien. Dabei finde ich ein Projekt wie das der Gruppe „Forensic Architecture“ zum NSU-Mord in Kassel eigentlich hervorragend. Nur hat es eine diskursive Struktur und keine künstlerische, und es ist für Betrachter nicht durch das Anschauen von ein paar unkommentierten Bildern nachzuvollziehen.

Also, egal ob Sie sich für Zweifel und Verschwörungen interessieren oder nicht: Lassen Sie die Finger von diesem Buch; es wird Sie enttäuschen.


Alain Bieber, Florian Waldvogel: Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung. Verlag Kettler, 2018, 448 Seiten, Broschur, 32 Euro

Kritik der Verschwörungstheorien
Kritik der Verschwörungstheorien: Eine typische Seite aus dem Buch „In Zweifel für den Zweifel“ – lesen mag das niemand, mit solchen Überschriften und dem fehlendem Zeilenabstand.

   

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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