Wie betrachten wir KI-generierte Bilder?

Mit dem Prompt »Professional photo, taken from above, a single ant crawling across a smooth sand surface, leaving a trail that looks like an outline drawing of Winston Churchill‘s head in profile« konnte keine der getesteten KIs etwas anfangen. Das Bild ließ sich also nur als Photoshop-Montage realisieren. Obwohl qualitativ überzeugende KI-Bilder erst seit kurzer Zeit eine Rolle spielen, lassen sie sich doch mit Methoden von Kunsttheorie und -philosophie untersuchen, die eigentlich für ganz andere Probleme geschaffen wurden: etwa Original gegen Kopie oder Fälschung. In ihrem Buch über KI-Bilder kommt Catrin Misselhorn nicht nur zu dem Ergebnis, diese könnten keine Kunstwerke sein – es sei sogar für fraglich, ob es sich dabei überhaupt um Bilder handele. | Doc Baumann Was hat eine Ameise, die über eine Sandfläche krabbelt und dabei eine Spur hinterlässt, mit KI-generierten Bildern zu tun? Wenn die Spur der Ameise zufällig aussieht wie die Kontur von Winston Churchills Kopf im Profil, wird der Zusammenhang vielleicht klarer. Das Ameisen-Beispiel stammt von dem amerikanischen Philosophen Hilary Putnam, der es mit der Frage verband: „Hat sie ein Bild von Winston Churchill gezeichnet? Ein Bild, das Churchill abbildet?“ Er verneint diese Frage, und die Philosophin Catrin Misselhorn stimmt ihm zu: In ihrem neuen Buch „Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst?“ schreibt sie dazu: „Es handelt sich nicht um ein Bild Churchills, da das Getrippel der Ameise jenseits der zufälligen Ähnlichkeit in keinerlei Beziehung zu Churchill steht. Die Figur sieht deshalb nur so aus, als wäre sie ein Bild von Churchill.“ Nun ist ja ein Bild ein Gegenstand, der ohnehin nur so aussieht wie etwas anderes. Wenn also etwas, das wie etwas anderes aussieht, gar nicht notwendig ein Bild von diesem anderen ist, sondern nur so aussieht als ob, wird es schwierig. Man könnte diese Behauptung also einfach zurückweisen, weil sie genau das für unwesentlich erklärt, was ein Bild ausmacht: die Ähnlichkeit zum Abgebildeten. Im Falle der Ameise ist die gewiss zufällig, aber sie ist zweifellos vorhanden. Doch wir müssen vorsichtig sein. Nehmen wir an, Sie haben per KI eine etwas peinliche und verfängliche Szene generiert, und da es die so dargestellten Personen bekanntlich gar nicht wirklich gibt, müssen Sie auch keine Rücksicht auf Persönlichkeitsrechte nehmen. Doch nach der Veröffentlichung des KI-Bildes meldet sich bedrohlich eine Anwaltskanzlei bei Ihnen und sendet auch gleich zwei Bilder mit: das von Ihrer KI erzeugte und das Fotoporträt einer Frau Mustermann, deren Gesicht jenem auf dem KI-Bild exakt gleicht. Wahrscheinlich würden nun auch Sie sagen, dass Ihr KI-Bild jenseits der zufälligen Ähnlichkeit in keinerlei Beziehung zu Frau Mustermann steht. Es sieht deshalb nur so aus, als wäre es ein Bild von ihr. Es gibt also offenbar zwei Seiten: Die der Herstellung eines Bildes und die seiner Betrachtung und Interpretation. Putnam, Catrin Misselhorn und die meisten Kunsttheoretiker kommen zu dem Ergebnis, wegen fehlender Abbildungsabsicht der Ameise sei ihre Spur kein Bild Churchills (und damit wohl das KI-Bild auch kein Porträt von Frau Mustermann). Ich bin allerdings anderer Meinung und möchte das im Folgenden begründen, mit allen Konsequenzen, die das für KI-generierte Bilder hat. Ich behaupte nämlich, die Krakellinie sei durchaus ein Bild von Churchill. Gewünscht war eine Fotografie im Stil von Henri Cartier-Bresson; der Prompt »professional black and white photo, Henri Cartier-Bresson, a street scene in Paris 1935, few people, reflective puddle on the pavement«. Ist das Ergebnis ein Kunstwerk? Verwendete KI: Deep Dream Generator, —Modell AIVision. Sieht man von Mängeln bei Schriften oder Spiegelung ab, ein gutes Ergebnis. Wäre es ein Original, wäre es Kunst. Und so? Original, Fälschung, Kopie, Plagiat … Dazu müssen wir einen kleinen Umweg einschlagen. Erstaunlicherweise haben sich Kunsttheorie und Kunstphilosophie schon seit sehr langer Zeit mit Problemen beschäftigt, die sich heute fast bruchlos auf KI-Bilder übertragen lassen, obwohl damals sicherlich niemand an nichtmenschliche Akteure gedacht hat, die Bilder herstellen, welche technisch oft sogar besser sind als die von Fotografen, Malern und Zeichnern. Misselhorn schreibt dazu: „Üblicherweise wird zwischen Rezeptions- und Produktionsästhetiken unterschieden, also zwischen Theorien, die aus der Perspektive der Künstler formuliert werden, und solchen, die von der Sicht des Publikums ausgehen. (…) Demgegenüber hat der hier entwickelte Ansatz den Anspruch, eine Interpretation der Kunstpraxis zu formulieren, die in Hinblick auf die Erfahrungen, Werte und das Selbstverständnis aller Beteiligten attraktiv ist, sei es als Kunstschaffende oder als Erfahrende.“ (Seite 9 f.) Schon hier würde ich kritisch einhaken. Fast alle Texte, die sich mit KI-Bildern befassen, weisen sie automatisch dem Bereich der Kunst zu, woraus folgt, dass sie von Künstlern geschaffen werden. Sicherlich sind manche Bilder Kunstwerke – aber gewiss nicht alle. Bilder generell unter Kunstaspekten zu behandeln, muss dann dazu führen, sie in gute, mittelmäßige und schlechte Kunstwerke zu unterteilen. Doch selbst ohne direkten Kunstbezug entstehen abwertende Urteile wie das des Philosophen und TV-Journalisten Gert Scobel, der kürzlich über KI-Bilder sagte: „Aber genau wie bei textbasierten KIs à la ChatGPT stoßen wir unter der glänzenden Verpackung bald schon auf völlig mittelmäßige, nach Schema ablaufende Geschichten.“ Na klar, völlig richtig – aber wenig bedeutsam, da sicherlich die allermeisten von Menschen gemachten Bilder ebenfalls völlig mittelmäßig sind. Das ist also nichts, was KI-Bilder zurücksetzt. Folgt man dem, was viele Kunstwissenschaftler schreiben, würde es sich bei diesem Bild nicht um ein Porträt von John F. Kennedy handeln, da die KI, mit der es erzeugt wurde, kein ästhetisches Subjekt mit einer Darstellungsabsicht ist. Sicherlich ist es kein Foto im herkömmlichen Sinne. Aber das offenbart sich den Betrachtern nicht visuell, sondern nur bei entsprechendem Vorwissen über die Geschichte des Bildes. Prompt: »professional photography, a portrait of John F. Kennedy«, Deep Dream Generator, Modell PhotoMage Nahezu alle Kunsttheoretiker sind sich darin einig, dass es grundlegende ästhetische und Wert-Unterschiede gibt zwischen einem Original auf der einen Seite und Kopien, Fälschungen, Plagiaten auf der anderen, und das selbst dann, wenn es zwischen dem Original und den genannten Formen keinerlei sichtbaren Unterschied gibt. Der einflussreiche Kunstphilosoph Nelson Goodman begründet das damit, man könne nie ausschließen, dass irgendwann doch einmal bislang unerkennbare Unterschiede festgestellt werden könnten (und setzt voraus, dass dabei das Original immer ästhetisch wertvoller sei. Warum eigentlich?) Womit wir wieder bei unserer Ameise sind. Entdeckte ein Zeichner am Wegesrand die Ameisenspur, fühlte sich durch die zufällige Ähnlichkeit an Churchill erinnert, und könnte nun mit einem Stöckchen exakt dieselbe Linie in den Sand ritzen, nur eben diesmal mit dem Profil des englischen Politikers im Hinterkopf, so würden sich diese beiden Linien, unseren Kunsttheoretikern zufolge, grundlegend unterscheiden: Zufallsgekrakel und mit Abbildungsintention gezogene Linie. Pech für einen Betrachter, der ein paar Minuten später den Tatort erreicht und meint, zwei gleiche Porträts Churchills vor sich zu sehen. Ich denke, die Unterteilung in Produktions- und Betrachterperspektive ist nicht ausreichend; es fehlt ein wichtiger Aspekt, der zwischen Produktion und Rezeption vermittelt: Das Vorwissen des Betrachters über die Herstellung. Immanuel Kant hat in seiner Kritik der Urteilskraft (womit wir uns wieder der Kunst nähern) deren besondere Wahrnehmung als „interesseloses Wohlgefallen“ bezeichnet. Es ist ein Wohlgefallen an der reinen Form oder Schönheit des Objekts selbst, unabhängig von praktischem Nutzen oder individuellen Vorlieben. Diesen Genuss bei der Betrachtung eines Bildes können wir empfinden, ohne das Geringste über seine Geschichte zu wissen: über die Person, die es gemacht hat, über alles, was sie beeinflusst hat, ihre Weltsicht und Werte, über die abgebildeten Objekte, über die Herstellungstechnik. Darüber hinaus mag ein Bild Gefühle auslösen, wir können es interpretieren, darin eine Bedeutung sehen – ohne wissen zu müssen, ob diese Interpretation „angemessen“ ist. Das schließt keineswegs aus, dass wir mehr und Tieferes erkennen, wenn uns umfangreiches Vorwissen zur Verfügung steht und die oben genannten Aspekte (Person, historische Einordnung und so weiter) bekannt sind. Dieses Wissen kann das ästhetische Vergnügen ergänzen und ist gewiss hilfreich, aber keineswegs notwendig. Die Berücksichtigung des (mangelnden) Vorwissens erklärt, warum wir Original, Kopie, Fälschung, Plagiat und so weiter gleichermaßen genießen zu können. Es ist lediglich unverzichtbar, um ein Bild (kunst-)historisch und in die Biographie seines Schöpfers einzuordnen oder um seinen Marktwert zu bestimmen. Als Originalfoto von Cindy Sherman ausgegeben, würde dieses Bild wahrscheinlich problemlos als Kunstwerk anerkannt. Entstanden ist es aber mit Deep Dream Generator/PhotoMage mit dem Prompt »professional photography, Cindy Sherman, a woman standing in a kitchen, with a wild red wig, face badly made up as a clown«. Kann es tatsächlich vom Vorwissen der Betrachter über die Geschichte eines Bildes abhängen, ob dieses als Kunstwerk genießbar ist? Die Parallele zu KI-generierten Bildern liegt auf der Hand: Wir können sie ästhetisch genauso genießen wie andere auch. Wir können sie sogar interpretieren. Unser aktuelles Gegenüber ist nur dieses Bild. Wenn wir durch bloßen Augenschein nicht in der Lage sind zu erkennen, ob es als Foto beziehungsweise Gemälde von einem Menschen hergestellt oder von einer KI berechnet wurde, spielt das für den Genuss keine Rolle. Aber wie steht es um Aspekte wie Interpretation, Bedeutung oder Absicht? Interpretation, Bedeutung und Absicht „Etwas als Kunstwerk und nicht nur als Ding anzusehen beinhaltet wesentlich, es zu interpretieren. (…) Wer von einer Interpretation absieht, betrachtet einen Gegenstand als bloßes Ding und nicht als Kunstwerk.“ (S. 18), schreibt Misselhorn. Auch hier würde ich zwar sagen, „Bild“ tut’s auch, aber sei’s drum. Und sie führt drei Kriterien an: „1. Ein Kunstwerk muss eine Bedeutung verkörpern. 2. Diese besteht in einem Gehalt höherer Ordnung, der eine gewisse Sichtweise zum Ausdruck bringt. 3. Das Verständnis des Gehalts höherer Ordnung erfordert eine Interpretation, die den Kontext des Kunstwerks mit einbezieht.“ (S. 20) Interpretation hat also das Ziel, eine durch eine Absicht begründete Bedeutung zu erkennen. Aber wo kommt die her? Sie steckt ja nicht im Bild wie ein Zettel in einer Flaschenpost. Wenn sie nicht nur vom Betrachter „hinein“-interpretiert wird, kommt sie wohl vom Bildproduzenten, meinetwegen „Künstler“. Doch hier überrascht uns Misselhorn, denn sie schreibt mehrfach: „Die Absicht des Künstlers, das Werk möge auf eine bestimmte Art und Weise interpretiert werden, ist bestenfalls eine notwendige Bedingung für die Interpretation.“ (S. 40) oder, dass „die Selbstinterpretationen, in denen Künstler ihre Absichten explizieren, nicht selten enttäuschend sind und an ästhetischer Raffinesse weit hinter den Interpretationen zurückbleiben, die andere entwickeln.“ (S. 42) Aber was macht dann die Grundlage einer angemessenen Interpretation aus? „Die Frage, die wir uns angesichts dieser Möglichkeit stellen müssen, lautet: ist diese ästhetische Erfahrung vollkommen gleichwertig mit derjenigen traditioneller, von einem Autor hervorgebrachter Kunst?“ (S. 95), fragt die Autorin. Ohne Berücksichtigung unseres möglichen Vorwissens darüber, wie ein Bild entstanden ist, kann ihre Antwort nur negativ ausfallen. Dinge, die wir nur für Kunstwerke halten? „Wie deutlich wurde, ist Autorschaft für die Identität und den Status von Kunstwerken entscheidend“, behauptet Catrin Misselhorn. „KI kommt hingegen keine Autorschaft zu, weil sie weder im individuellen noch im kollektiven Sinne ästhetische Verantwortung übernehmen kann. Gleichwohl kann man sich im Anschluss an diese Überlegungen die Frage stellen, ob es für die ästhetische Erfahrung dieser Werke nicht ebenso wenig darauf ankommt, ob sie einen Autor haben oder nicht, wie darauf, ob es sich nun um wahre Kunst handelt oder nicht. Genügt es nicht, dass sich anhand dieser Objekte dieselben ästhetischen Erfahrungen machen lassen wie traditionell mit Kunstwerken?“ (S. 93) Auch hier kommt sie zu dem Ergebnis, das sei nicht der Fall. Später schreibt sie sogar: „Es mag durchaus Dinge geben, die Kunstwerke sind, die wir aber nicht als solche erkennen, während es umgekehrt Dinge gibt, die wir für Kunstwerke halten, die aber in Wirklichkeit keine sind.“ (S. 126) Aus meiner Sicht belegt dieser Satz lediglich, dass die ganze moderne und zeitgenössische Kunst auf tönernen Füßen steht, ein Kartenhaus, das beim geringsten Windzug in sich zusammenfällt. Außerdem behandelt Misselhorn Kunstwerke in diesem Satz wie klar klassifizierbare Gegenstände – Dinge, die Kunstwerke sind oder nicht! Wenn etwas eine Ameise ist, dann ist (deduktiv) klar, dass es zur Klasse der Insekten gehört, weil es bestimmte Merkmale aufweist. Das trifft aber auf Kunstwerke nicht zu. Etwas ist so wenig ein Kunstwerk, wie es etwa Unkraut ist; beides wird lediglich durch soziale Konventionen zugesprochen. (Oder um es mit einer schönen Wendung zu bezeichnen, die ich vor 50 Jahren mal bei Hans-Jürgen Krahl gelesen habe: Kunstwerke werden so zur Entität ontologisiert.) Kurzum: Ich denke auch weiterhin, dass wir KI-Bilder durchaus ästhetisch genießen dürfen und dass sie – nicht immer, aber immer wieder – Kunstwerke sein können. Auch wenn ich Misselhorns Thesen nicht teile, lohnt es sich, ihr Buch zu lesen, wenn man sich für kunsttheoretische und -philosophische Probleme von KI-Bildern interessiert. Catrin Misselhorn: Künstliche Intelligenz – das Ende der Kunst?, Reclam, 2023,152 Seiten, Kleinformat, 8,00 Euro Ihre Meinung ist gefragt. War das zu schwierig? Immer wieder bekommen wir Rückmeldungen von unseren Lesern, positive und kritische. Kürzlich schrieb jemand über Doc Baumanns Artikel im letzten Heft „KI-Bilder, die lügen?“, das sei ja vielleicht ganz interessant, aber vielleicht doch etwas kompliziert und zudem mit wenig Praxisbezug. Ähnliches klang auch schon einmal an bezüglich Hintergrundbeiträgen von Michael J. Hußmann über KI – die seien ganz schön anspruchsvoll. Nachdem Sie nun den Beitrag oben über KI und Kunstwissenschaft gelesen haben – was meinen Sie dazu? Möchten Sie solche theoretischen und mitunter durchaus anspruchsvollen Beiträge ohne direkten Praxisbezug auch künftig in DOCMA lesen, oder sollten wir uns eher auf direkt umsetzbare Tutorials und Vorstellungen vorbildlicher Bildermacher beschränken? Schon mit einer kurzen Einschätzung helfen Sie uns weiter. Und sich selbst natürlich ebenso, wenn Sie solches Hintergrundwissen dann entweder auch künftig im Heft finden oder aber meinen, das nähme nur Platz weg für eigentlich wichtigere Themen. Über Ihre Mail an meinung@docma.info würden wir uns freuen – entweder knapp „Weiter so“ oder „Raus damit“, aber gern auch ausführlich, oder nur bezogen auf Artikel von Baumann oder Hußmann.