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Hoffentlich klappert’s

Wenn Sie Ihre (ausgeschaltete) Kamera schütteln, wird möglicherweise etwas klappern. Das heißt aber nicht, dass ein paar Schrauben locker wären – es dürfte der Bildstabilisator sein, der sich im entspannten Zustand willig durchschütteln lässt.

Der bewegliche Sensor in Olympus’ Systemkameras kann durch drei Tauchspulenmotoren verschoben und gedreht werden. (Quelle: Olympus)
Der bewegliche Sensor in Olympus’ Systemkameras kann durch drei Tauchspulenmotoren verschoben und gedreht werden. (Quelle: Olympus)

Im eingeschalteten Zustand soll die wackelnde Kamera keine verwackelten Bilder produzieren, und zum Ausgleich der Kamerabewegungen muss sich in deren Inneren etwas bewegen – entweder eine Linsengruppe im Objektiv oder der Sensor im Gehäuse. Oft verzichten die Hersteller darauf, dieses Ausgleichselement beim Ausschalten mechanisch zu arretieren, und dann klötert es frei herum. Nach dem Einschalten der Kamera wird es dann auch bei deaktiviertem Bildstabilisator in einer neutralen Position gehalten – von denselben Elektromagneten oder Piezokristallen, die im aktiven Betrieb für die Bildstabilisierung sorgen.

Über die Vor- und Nachteile eines Bildstabilisators im Objektiv oder im Kameragehäuse wird viel gestritten; grundsätzliche Unterschiede in der Wirksamkeit gibt es jedoch kaum. Das heißt, es gibt zwar wirksamere und weniger wirksame Bildstabilisatoren, doch hängt das nicht davon ab, ob eine bewegliche Linsengruppe den Verlauf der Lichtstrahlen ändert oder ein beweglicher Sensor den Lichtstrahlen nachgeführt wird.

Beide Methoden haben ihre Grenzen, beispielsweise die Randabdunkelung, die bei extremen Verschiebungen auftreten kann. Das gilt jedoch für beide Verfahren. Ein Objektiv mit beweglicher Linsengruppe schielt gewissermaßen, wenn die Linsen zum Verwacklungsausgleich verschoben werden; der Strahlengang verläuft dann vor wie auch hinter dem Korrekturelement schräg und kann durch den Objektivtubus vignettiert werden. Ein beweglicher Sensor kann im Extremfall teilweise über den Bildkreis hinaus verschoben werden – ob das passiert, hängt vor allem vom Objektiv ab (Teleobjektive erzeugen meist einen größeren Bildkreis als Weitwinkelobjektive), aber auch vom Bajonett-Durchmesser. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass längere Brennweiten die Verwacklungsgefahr vergrößern: Man muss sich zwar nicht mehr an der traditionellen Kehrwertregel orientieren, dass man keine längere Verschlusszeit als den Kehrwert der (kleinbildäquivalenten) Brennweite in Millimetern wählte sollten, aber die Abhängigkeit von der Brennweite bleibt. Daran ändert auch ein in ein Teleobjektiv integrierter Bildstabilisator wenig, der optimal an dieses angepasst ist.

Der Bildstabilisator in der Pentax-K1 kann Dreh- und Kippbewegungen, wagge- und senkrechte Verschiebungen sowie Drehungen um die optische Achse ausgleichen und ist damit ein Fünf-Achsen-Stabilisator. (Quelle: Ricoh)
Der Bildstabilisator in der Pentax-K1 kann Dreh- und Kippbewegungen, waage- und senkrechte Verschiebungen sowie Drehungen um die optische Achse ausgleichen und ist damit ein Fünf-Achsen-Stabilisator. (Quelle: Ricoh)

Bildstabilisatoren mit beweglichem Sensor haben allerdings den Vorteil, dass sie auch Drehungen der Kamera um die optische Achse ausgleichen können; ein Bildstabilisator im Objektiv kann das prinzipbedingt nicht. Solche Drehungen treten aber nur recht selten auf. Es ist zwar lobenswert, dass die Hersteller inzwischen vier oder fünf Achsen stabilisieren (Schwenk- und Kippbewegungen, waage- und senkrechte Verschiebungen sowie Drehungen um die optische Achse), aber die Mehrzahl der Verwacklungen geht auf das Schwenken und Kippen der Kamera zurück – der Zugewinn durch vier oder fünf statt nur zwei stabilisierten Achsen ist viel geringer als der von einer unstabilisierten Kamera zum klassischen Zwei-Achsen-Bildstabilisator. Verschiebungen der Kamera sind eigentlich nur im Nahbereich von Bedeutung, und bei solchen Aufnahmen kann sich ein Vier- oder Fünf-Achsen-Bildstabilisator auszeichnen.

Ein Bildstabilisator im Gehäuse hat allerdings den Vorteil, dass sich ein beweglicher Sensor noch für andere Aufgaben eignet. Ich beschäftige mich gerade mit Ricohs neuer Kleinbild-DSLR Pentax K-1, deren frei verschiebbarer Sensor nicht nur eine Fünf-Achsen-Stabilisierung ermöglicht; die Kamera kann die Lage des Horizonts korrigieren, Langzeitbelichtungen des Sternenhimmels der Erdrotation nachführen, mit mehreren Aufnahmen mit verschobenem Sensor auch die Auflösung, den Rauschabstand und den Dynamikumfang vergrößern, und noch mehr. Wie Markus Lanz in seiner Talkshow sagen würde: Darüber wird noch zu reden sein.

Schon jetzt aber können Sie in der DOCMA 71 noch viel ausführlicher nachlesen, was aktuelle Systeme zur Bildstabilisierung leisten und wo ihre Grenzen liegen; meinen Artikel „Kann man überhaupt noch verwackeln?“ finden Sie ab Seite 110.

Michael J. Hußmann
Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Wir haben seinerzeit mal gelernt, dass es nur 3 Achsen braucht,
    um jede denkbare Bewegung im Raum zu simulieren -wenn ich mich richtig erinnere (in Mathe und Physik war ich allerdings keine Leuchte). Die Fachkamera kennt Verschiebung und Verschwenkung (shift und tilt). Schwenkung erfolgt um eine Achse, Verschiebung erfolgt in einer Ebene. Bei Ricoh macht man daraus „5 Achsen“, weil´s werbemässig besser klingt.

    PS: Mein Auto hat 9 Räder: Vorne zwei, hinten zwei, rechts zwei und links zwei…plus Reserverad.

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