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Nachgefragt: Brauche ich eine neue Kamera?

Alle paar Jahre kauft sich ein Fotograf eine neue Kamera. Aber ist das wirklich sinnvoll, ratsam oder gar notwendig? Nachdem Kameras – auch, aber nicht nur aufgrund der allgemeinen Inflation – tendenziell immer teurer werden, spricht vieles dafür, länger mit dem Neukauf zu warten.

Meine neue Waschmaschine habe ich gekauft, nachdem die alte Probleme machte und auch ein Reparaturversuch keine dauerhafte Abhilfe brachte. Mit der Geschirrspülmaschine und dem Kühlschrank war es ähnlich: Über einen Neukauf habe ich mir erst Gedanken gemacht, als er nicht mehr zu vermeiden war. Kameras gehören dagegen zu den Geräten, die man sich kauft, weil man gerne etwas Neues hätte, obwohl das Modell, das man bereits besitzt, noch perfekt funktioniert.

Nachgefragt: Brauche ich eine neue Kamera?
Zwei Kameras von 2016, die bis heute klaglos ihren Dienst tun – das Objektiv der Pentax K-1 habe ich 1978 gekauft.

„Planned obsolescence“ mag in anderen Bereichen ein Schreckgespenst sein, aber Kameras halten erfahrungsgemäß sehr lange durch. Die Produktzyklen der Hersteller liegen oft bei nur zwei Jahren, aber das heißt ja nicht, dass man im gleichen Rhythmus ein neues Modell kaufen müsste. Eine Nutzungsdauer von mindestens fünf Jahren kann sicherlich als normal gelten, und im Regelfall bleibt eine Kamera auch für zehn Jahre voll funktionstüchtig. Meine Pentax K-1 (36 Megapixel im Kleinbildformat) beispielsweise nutze ich seit sieben Jahren. Die Fuji X70 (16 Megapixel im APS-C-Format), meine Zweit- und Immer-dabei-Kamera, habe ich erst vor fünf Jahren gekauft, aber auch sie kam schon vor sieben Jahren auf den Markt und kann daher als technisch obsolet gelten. Dabei leistet sie mir bis heute gute Dienste, jüngst etwa bei der Berichterstattung zur Photopia (einen kleineren Teil der Bilder habe ich mit meinem iPhone 12 aufgenommen).

Nutzungsdauer

Mit einer langen Nutzungsdauer relativieren sich auch die höheren Preise, die man für eine Systemkamera zahlt. Dabei steigen die Preise für vergleichbare Kameramodelle nur in dem Rahmen, in dem die Preise überall steigen, aber der durchschnittlich für eine neue Kamera gezahlte Preis ist höher, weil die billigen Einsteigermodelle zunehmend aus den Portfolios der Hersteller herausfallen und nur die besser ausgestatteten und daher teureren Kameras übrig bleiben. Einsteigermodelle rentieren sich nicht mehr, denn der Einstieg in die Fotografie läuft heute über das Smartphone, das zwar ebenso viel wie eine gute Kamera kostet, aber über den Mobilfunkvertrag abgestottert wird und ohne das man die moderne Welt ohnehin nicht bewältigen kann; die Kamerafunktion bekommt man praktisch kostenlos dazu.

Wer sich eine neue Kamera kauft, tut das normalerweise nicht, weil die Alte defekt und nicht mehr wirtschaftlich reparierbar wäre, sondern weil einen die Werbeversprechen über ein neues Modell locken. Liest man in Fotoforen mit, könnte man ja den Eindruck gewinnen, dass allzu viele Fotoamateure – Profis plagt dieses Problem seltener – von den Unzulänglichkeiten ihrer Kameras daran gehindert werden, endlich die Fotos nach Hause zu bringen, von denen sie immer geträumt haben. Wenn doch Hersteller X nur endlich einen stets funktionieren Autofokus entwickeln würde, Hersteller Y die Belichtungsautomatik in den Griff bekäme und ganz generell endlich ein großer Dynamikumfang, möglichst auch bei extremen ISO-Werten zur Verfügung stünde!

Neue Features

Dabei wird verdrängt, dass aktuelle Kameras – und das gilt mehr oder weniger für alle großen Hersteller – besser denn je sind. In allen qualitätsrelevanten Kenngrößen wie Auflösung, Dynamikumfang, Rauschabstand und Tonwertauflösung lassen sie ältere Digitalkameras und erst recht die analogen Kameras und Filmmaterialien hinter sich. Dazu bringen sie noch einen wirksamen Bildstabilisator mit, sind leichter bedienbar und unterstützen den Fotografen mit vielerlei Hilfsmitteln wie einer digitalen Wasserwaage, Histogramm-, Zebra- und Blinkanzeigen, und natürlich Automatikfunktionen für alle Aufnahmeparameter. Welchem Vorbild man auch immer nacheifert: Diese Fotografen oder Fotografinnen mussten in ihrer Zeit vor 20 oder 50 Jahren mit einer weniger leistungsfähigen Ausrüstung arbeiten, als man sie selbst in der Fototasche bei sich trägt. Wenn man mit seinen Bildergebnissen noch immer nicht zufrieden ist, liegt es selten an der Technik.

Das heißt nicht, dass der technische Fortschritt im Kamerabau schon an eine Grenze gekommen wäre. Manche Faktoren wie der Rauschabstand und der Dynamikumfang sind zwar kaum noch technisch, sondern vor allem durch das unvermeidliche Rauschen des Lichts beschränkt, aber weitere Auflösungssteigerungen – die die Bildqualität insgesamt verbessern und daher nicht zu fürchten sind – wären auch in der Zukunft möglich. Smartphones machen vor, wie sich die Bildqualität verbessern lässt, indem man eine Belichtung in mehrere Teilbelichtungen in schneller Folge zerlegt und diese miteinander verrechnet. Mit einem sehr schnellen oder besser noch globalen elektronischen Verschluss wäre diese Technik ohne Kompromisse nutzbar. KI-Verfahren für das Demosaicing zeigen, dass auch in älteren Aufnahmen mehr steckt, als man dachte – vorausgesetzt, man hat damals auch im Raw-Format gespeichert. Diese Methoden werden auch in den Kameras Einzug halten, sobald hinreichend stromsparende KI-Prozessoren verfügbar werden.

Manche Verbesserungen erforderten nicht einmal neue Technologien und neue Hardware. Wir haben die technische Bildqualität ja selbst in der Hand, indem wir optimal belichten, und dabei könnten uns die Kameras stärker unter die Arme greifen. Dass ETTR („Expose To The Right“) generell empfehlenswert wäre, also eine Belichtung, die die hellsten noch zu differenzierenden Tonwerte möglichst an den rechten Rand des Histogramms schiebt, ist allgemein bekannt. Bei kontrastarmen Szenen erhalten wir so die beste Tonwertauflösung und den höchsten Rauschabstand, während kontrastreiche Szenen mit dem größten Dynamikumfang und den geringsten Kompromissen beim Rauschen abgebildet werden. Dazu wäre ein Raw-basiertes Histogramm nützlich, das man in aktuellen Kameramodellen allerdings vergeblich sucht. Dabei wäre es technisch ganz einfach zu realisieren, ebenso wie ein Raw-basiertes Waveform-Display, das durchweg einem Videomodus vorbehalten bleibt (und dann nicht Raw-basiert ist). Auch die Live-View im Sucher oder auf dem Display ließe sich für eine ETTR-Belichtung verbessern, denn kontrastarme Szenen erscheinen sonst zu hell und kontrastreiche Szenen zu dunkel.

Die Kamerahersteller könnten auch endlich die Geheimniskrämerei um die Wirkung der ISO-Einstellung aufgeben. Beispielsweise wird die analoge Verstärkung der Sensorsignale teilweise nur in ganzen EV-Schritten umgestellt, was dazu führt, dass Zwischenwerte wie ISO 125 und 160 zwischen ISO 100 und 200 zu suboptimalen Ergebnissen führen und vermieden werden sollten. ISO-Werte unterhalb der Grundempfindlichkeit sind manchmal nützlich, meist aber kontraindiziert, und das müsste deutlicher kommuniziert werden. Moderne Sensoren haben zwei umschaltbare Grundempfindlichkeiten, aber bei welchem ISO-Wert sie umschalten, steht nicht im Handbuch (oder in den Informationen zu einem Firmware-Update, das den Wert im Nachhinein ändert). Was für Konsequenzen dieser Umschaltpunkt für eine optimale Belichtung haben sollte, erfährt man ebenso wenig.

Eine neue Firmware und ein besseres Handbuch könnten hier bereits viel ausrichten, und dazu wäre keine neue Kamera mit einem verbesserten Sensor und einem schnelleren Prozessor nötig. Vielleicht geht der Trend ja zu Kameras, die zwar zunächst mehr kosten, aber dann für eine längere Zeit sinnvoll genutzt werden können, ohne dass man neidisch auf neuere Modelle schauen würde. Es müsste auch nicht alle zwei Jahre ein Nachfolgemodell geben; Produktzyklen von vier Jahren reichten auch, um dem technischen Fortschritt Rechnung zu tragen. Denn machen wir uns nichts vor: Wirklich dramatische Verbesserungen brauchen mindestens so lange.

Fazit

Wer dennoch überschüssiges Vermögen in den Wirtschaftskreislauf einspeisen will, kann sich ja auf dem Objektivmarkt umschauen. Objektive können zwar noch länger als Kameras genutzt werden, und man muss sie auch nicht jedes Mal austauschen, wenn die Sensorauflösung auf ein neues Level gehoben wird, aber neue, spezialisierte Objektive können einem tatsächlich neue Bereiche der Fotografie erschließen. Ich plädiere generell dafür, sich zunächst auf wenige Brennweiten zu beschränken, aber natürlich kann man auch darüber hinaus gehen. Und selbst innerhalb eines Brennweitenbereichs kann man mit verschiedenen Abbildungscharakteristiken experimentieren – oft mit einem überschaubaren finanziellen Einsatz, wie man in unserer Altglas-Reihe sieht.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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