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Anschlag und Handschlag

Beim Blog-Beitrag zu Hanau gab es kürzlich ein paar seltsame Kommentare eines Lesers, die Doc Baumann hier noch einmal kurz aufgreifen möchte. In diesem Zusammenhang geht er auch auf den verweigerten Handschlag im Thüringer Parlament ein, als Ministerpräsident Ramelow mit AfD-Fallensteller Höcke konfrontiert wurde.

Anschlag und Handschlag
Montage: Doc Baumann

Verschwörungstheorien gelten bei den meisten seriösen Menschen und Medien als eine höchst anrüchige Materie, irgendwo zwischen mehr oder weniger ausgeprägter Paranoia und rechtsradikalem Weltbild angesiedelt. Ich beschäftige mich seit rund dreißig Jahren mit diesem Thema und habe in dieser Zeit eine etwas differenzierte Sicht entwickelt.

So sind etliche Verschwörungstheorien inzwischen als nicht mehr zu leugnende Fakten erwiesen, andere – etwa, dass die US-Mondlandungen im Studio gefakt worden seien – mit guten Gründen widerlegt. Wiederum andere sind nach wie vor ungeklärt. Klar ist aber auch, dass nahezu alle Verschwörungstheorien, die uns derzeit von rechts bis rechtsaußen aufgetischt werden, von bemitleidenswerter Realitätsverweigerung zeugen, weitgehend ohne Fakten auskommen und – etwa im Falle der „Theorien“ gegen die Verursachungen des Klimawandels – noch immer mit Scheinargumenten arbeiten, die von Wissenschaftlern seit Jahren eindeutig widerlegt sind.

Auch wenn sich die Ermittlungsbehörden nach den Hanauer Morden bedeckt halten, spricht derzeit nichts für die Vermutung, ein anderer als der Festgenommene könnte der Täter gewesen sein.

Nun sind Rassisten auf die Tat von Hanau seltsamerweise – zumindest in der Öffentlichkeit – nicht etwa stolz, weil da jemand in die Tat umgesetzt hat, was sie bisher überwiegend mit Worten propagiert haben (wobei wir NSU und rund 200 weitere Mordanschläge keineswegs vergessen wollen). Statt nach ihrer eigenen Logik die Morde als konsequente Umsetzung ihrer Einstellungen zu begrüßen, präsentieren sie durchsichtige Alternativerklärungen: Es war ja nur ein Verrückter, es war gar kein Terror, es war jemand ganz anderer und so weiter. Eine solche Strategie bot Kommentator P. in unserem Blog auf. Zum Einstieg: Man müsse doch auch die Gewalt von linksaußen im Auge behalten. Kann man ja gern tun – aber wäre es etwa ein überzeugendes Argument gegen islamistischen Terror, dass es jahrhundertelang katholischen Terror gegen Un- und Andersgläubige gegeben hat? Und auf meine Frage: „Na, dann lassen Sie uns doch mal bitte wissen, wie viele Todesopfer es in den letzten Jahren durch Links- und wie viele durch Rechtextremisten gab!“ kam als Antwort „Das ist ein sehr schlaue Frage! Ich soll laut sogenannte „Lügepresse“, oder nach Verwendung andere Quelle antworten? …“ Und in diesem Stil geht es dann weiter, lesen Sie selbst nach, wenn es Sie interessiert.

Um nun auf die Verschwörungstheorien zurückzukommen: Erste Stufe der Meldungen von Herrn P.: Ist doch komisch, dass so schnell nach der Tat ein Täter mit rechtsradikalem Hintergrund und Bekennervideo gefunden wird. (Wenn das so schnell geht, muss also offenbar etwas faul sein an der Sache.) Zweite Stufe: P. verlinkt ein Video, das nahelegt, die Morde von Hanau seien eine Aktion der arabischen Mafia gewesen. Dritte Stufe: P. verlinkt zwei Stunden später ein weiteres YouTube-Video: Diesmal war der „höchstwahrscheinliche Ablauf“ der, dass Geheimdienste als „False-Flag“-Aktion dahinterstecken, die Morde begangen und am Ende den armen Hanauer und seine Mutter getötet haben. (Wenn Sie Zeit haben und was zur Belustigung suchen, schauen Sie sich dieses Video mal an.)

Analysieren wir die Vorgehensweise von Herrn P. als typisch für diese Art scheinbarer Argumentation: Erst ablenken (andere üben ja auch Gewalt aus), dann eine alternative „Erklärung“ (der vorgebliche Täter war’s gar nicht, es war die arabische Mafia), kurz darauf eine weitere Altenative ( es war eine Geheimdienstaktion) – ohne dass ihm auffiele, dass sich die beiden Verschwörungstheorien widersprechen und ausschließen.

Hinzu kommt, dass keines der beiden Videos auch nur eine einzige Tatsache benennt, die zu einer neuen Einschätzung führen könnte oder den Tatablauf in anderem Licht erscheinen ließe. Es sind bloße Behauptungen, Meinungsäußerungen, Unterstellungen und „es könnte ja auch so gewesen sein“. Klar, könnte es – aber dann würde ich gern Fakten sehen oder hören, die mit guten Gründen als wahrscheinlicher gelten dürfen als die bisher bekannten. Dieses hohle Geschwätz („höchstwahrscheinlicher Ablauf“!) verdient wirklich nicht den Namen „Verschwörungstheorie“ – oder, anders herum, falls das Verschwörungstheorien sein sollen, dann lehne auch ich diesen Unsinn ab.

Bemerkenswert ist am Rande, dass sowohl die YouTuberin des „arabische-Mafia“-Videos wie Herr P. nach Akzent, Name und begrenzter Beherrschung der deutschen Sprache wohl keine „Geburtsdeutschen“ sind. Oder sie gehören zu jenen „guten“ Deutschen, die nicht gerade durch die Beherrschung eines guten Deutsch auffallen. Was also bewegt Zugewanderte, den Mord an anderen Migranten zu verharmlosen?

 

Verweigerter Handschlag

Ein paar Sätze an dieser Stelle noch zum derzeit intensiv diskutierten verweigerten Handschlag in Thüringer Parlament, wo der neugewählte Ministerpräsident Ramelow die Hand des AfD-Oppositionsführers Höcke zurückwies – wenige Tage nach den Morden von Hanau, zu denen Letzterer etliche rassistische Stichworte geliefert hat.

Man kann Gründe für und gegen diesen verweigerten Handschlag finden. Der wichtigste für die Verweigerung ist die schlichte Erfahrung mit dem, der hier die Hand gereicht hat: Stolz auf seine erfolgreich gestellte „Falle“ im Parlament, in welche die bürgerlichen Parteien getappt sind, muss doch jeder Politiker nun damit rechnen, dass auch weitere Handlungen als perfide Fallen geplant sind. Fallensteller kennt man sonst nur aus Karl-May-Romanen oder aus Coopers „Lederstrumpf“ – das ist die harmlosere Variante. So soll nun die Verweigerung des Handschlags als Progagandainstrument dienen, um das vorgeblich schlechte Benehmen Ramelows zu entlarven – und prompt gehen viele Politiker und Leserbriefschreiber in diese Falle. Hätte Ramelow dagegen die Hand ergriffen, wäre das in der anderen Richtung instrumentalisiert worden. Er konnte es also nur „falsch“ machen und hat den richtigen „falschen“ Weg gewählt.

Er hätte sich ja auch ganz leicht herausreden können: Schon seit Tagen gibt selbst die Bundeskanzlerin niemandem mehr die Hand, Corona-bedingt. Es wäre ein Leichtes gewesen für den Thüringer Ministerpräsidenten, mit Verweis darauf eine von – fast – allen akzeptierte Ausrede zu konstruieren – so hat er eine klare Haltung bewiesen.

 

 

 

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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4 Kommentare

  1. Lieber Doc Baumann,
    da ich Ihre Tipps sehr schätze, habe ich mir mir das Video „zur Belustigung“ natürlich angeschaut.
    Meine anfängliche Lustigkeit schwand jedoch spätestens beim Lesen der offensichtlich
    vollkommen ernst gemeinten Kommentare .
    Für diese Spinner sollte man mal über die Verhängung einer geistigen Quarantäne nachdenken.
    Kein Witz.

    1. Lieber Winnetou – selbstverständlich ist das Ganze nur sehr begrenzt lustig, wenn man sich vorstellt, dass dieser Beitrag und solche mit ähnlichem Strickmuster vom Verfasser und vielen Leser/innen ent gemeint und genommen werden. Es ist im selben Maße erheiternd und erschreckend. Da wird viel Zeit und geistige Energie in solche Beiträge gesteckt, und den Menschen, die es ernst nehmen, fällt offenbar nicht auf, dass das allen wissenschaftlichen Regeln und den Gesetzen der formalen Logik widerspricht. Natürlich ist sehr viel MÖGLICH – aber man muss ja auch immer überprüfen, wie WAHRSCHEINLICH eine Hypothese ist und wie PLAUSIBEL. Für eine Roman-Konstruktion darf man sich ja eine ganze Menge ausdenken, aber auch da gelten die Regeln der aristotelischen Wahrscheinlichkeitsforderungen (aus einer „Poetik“). Um so mehr muss das für Hypothesenbildungen außerhalb der Fuktionalität gelten.

  2. Hallo Doc Baumann,
    herzlichen Grückwunsch und vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag zum Thema Verschwörungs’theorien‘. Ich persönlich ziehe den Ausdruck Verschwörungs – ‚Ideo(to)logie übrigens dem Begriff … ‚-Theorie‘ vor, da Theorien zumindest meist auf einem entsprechend nachvollziehbaren Fundament beruhen >>;– >>.
    Wie auch immer, im Zusammenhang mit einer Fachrecherche zum Thema ‚Yonaguni-Monument‘, einer geologisch-/ geomorphologischen Formation vor der Küste der japanischen Insel Yonaguni Jima, bin ich im Jahr 2000 das erse Mal auf Verschwörungsideologien, wie etwa Chemtrails, Hohlerde, Flatearther etc. pp. gestoßen und beschäftige mich seitdem mit dem Thema.
    Anfangs habe mich über derartige Mental- Aneurysmen amüsiert, bis ich schließlich auf ‚Reichsbürger‘ und Pegida-Isten gestoßen bin. Damals ist mir das Lachen im Halse stecken geblieben und ich nehme derartige Muster seitdem sehr ernst – zumal sich derartige mentale Muster schneller auch mitten in die Gesellschaft hinein auszubreiten scheinen, als der Corona-Virus (OK, das ist unfair dem Virus gegenüber … ).
    Wie dem auch sei, wir dürfen die Augen vor derartigen Entwicklungen nicht verschließen.

    viele Grüße, Wolf Wichmann

  3. Lieber Herr Wichmann, ja, ich weiß, viele kritische Autoren bevorzugen den Begriff „Verschwörungsideologie“. Ich teile das nicht, weil es bereits eine Wertung und Abwertung ist und ALLE Verschwörungstheorien über einen Kamm schert – was offensichtlich unangemesen ist, da sich viele von ihnen bestätigt haben. Ich bevorzuge dagegen den Terminus „Verschwörungshypothese“, weil die gegenüber Falsifizierungen offener und flexibler ist. Um angemessen von einer Hypothese sprechen zu können, muss sie ein Vertreter dieser Annahme allerdings für fasifizierbar halten und Gegenargumente berücksichtigen, sie ebenso ab einer bestimmten Schwelle von Wahrscheinlichekit und Plausibilität aufgeben.
    Selbstverständlich muss man das Phänomen völlig unsinniger „Verschwörungstheorien“ ernst nehmen – als Phänomen, nicht die Inhalte. Aber dazu muss man Verschwörungstheorien oder -hypothesen als solche auch ernst nehmen und darf sie nicht als Kampfbegriff verwenden bzw. als gleichbedeutend mit Paranoia. Dazu gibt es einfach zu viele dieser Hypothesen, die sich als wahrscheinlich doer gar sicher erwiesen haben (eine der letzten: Dieselabgas-Affären). Ebenso ist es falsch, immer nur die gewaltigen Weltverschwörungstheorien heranzuziehen (wie etwa die gefakten „Protokolle der Weisen von Zion“), da es eben auch sehr viel kleinformatigere Verschwörungen gibt (Trump bietet dafür zahllose Beispiele).
    Hinzu kommt, dass viele angebliche „Verschwörungen“ gar keine sind – die Flat-Earth-Hypothese etwa ist pseudowissenschaftlicher Unsinn und höchstens sekundär mit einer Verschwörungstheorie verbunden, weil die Mainstream-Wissenschaftler diese „Tatsache“ „leugnen“.
    Die Alternative zum für-möglich-halten von Verschwörungen wäre, offizielle Verlautbarungen von Regierungen, Konzernen, Organisationen (und leider auch vieler Medien) per se für wahr und verlässlich zu halten – und das wäre ja nun nach allen Erfahrungen mehr als naiv.
    Vielleicht schaffe ich es ja in den nächsten Jahren, meinen Roman zu dem Thema (nach 29 Jahren Recherche) endlich mal fertigzustellen. Darin zeige ich die (plausible, wahrscheinliche und durch zahllose historische Fakten belegte) Konstruktion einer Verschwörungstheorie und deren anschließende Dekonstruktion.
    mit freundlichen Grüßen, Doc Baumann
    PS: Schauen sie sich bei Interesse doch auch mal „https://www.docma.info/blog/kritik-der-verschwoerungstheorien“ an.

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