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Bildkritik-Korrektur: Winke-winke!

Vor einer Woche hatte ich hier den marsianischen Versicherungs-Mutanten aufs Korn genommen, dem der Unterarm aus dem Rippenbogen wuchs. Peinlicher Montagefehler? Wie sich gezeigt hat: ein nicht ganz so peinlicher technischer Fehler. Erfreulich, wenn die Kritisierten die Angelegenheit so schnell und sachlich richtigstellen.

Bildkritik-Korrektur: Winke-winke!
Das Bild kennen Sie ja schon vom letzten Mal. Aber bein Screenshot mit dem verirrten Arm war alles ganz anders als gedacht …

Das muss man den Leuten von der WGV-Versicherung lassen: Sie sind auf Zack und verfolgen offenbar aufmerksam, was im Web über sie geschrieben wird. Denn schon kurz, nachdem ich meine Bildkritik an dieser Stelle veröffentlicht hatte – genau genommen am übernächsten Tag, drei Minuten nach acht in der Frühe –, erreichte uns die folgende Mail von Frau Vögele von der WGV-Presseabteilung:

„Guten Tag,
gestern ist von Ihrem Redakteur Doc Baumann folgender Artikel erschienen: https://www.docma.info/blog/bildkritik-der-marsianische-versicherungs-mutant
Zuerst möchten wir uns für den Hinweis bedanken – ohne den Text hätten wir das eigentliche Problem vermutlich erst später entdeckt. Es handelt sich bei dem Fehler nicht wie im Artikel dargestellt um eine Bildmanipulation/einen Bildfehler, sondern tatsächlich einen Zoom-Fehler bei der Animation bei bestimmten Browsereinstellungen. Den Bug konnten wir direkt gestern noch beheben und nun wird unsere Animation auch wieder für alle User korrekt ausgespielt. Entschuldigen Sie, dass Sie zu den Usern gehört haben, die die Impression fehlerhaft ausgespielt bekommen haben.
Falls Sie noch Fragen haben, melden Sie sich gerne jederzeit bei uns. Falls Sie ein Update/eine Anpassung Ihres Artikels für denkbar halten, würden wir uns sehr freuen.“

Nicht beleidigt, nicht wütend, nicht den Fehler verleugnend. Schon mal ein guter Start. Aber glaubwürdig? Mal ehrlich: ein Arm, der bei bestimmten Browsereinstellungen zur Seite hüpft? Und nicht nur das: Ein Fehler, bei dem dann auch gleich noch die zuvor überdeckte Weste des Kumpels nebenan rekonstruiert wird?

Das erinnerte mich doch verdammt an jenes Foto vor zwanzig Jahren in der Bild-Zeitung, auf dem Jürgen Trittin neben einer Demo in Göttingen entlanggeht. Das Foto wurde beschnitten; ein Absperrseil hinter Trittin erklärte die Redaktion nun mit einem fetten Schriftbalken zum „Schlagstock“; ein Lederhandschuh, mit dem sich ein Demonstrant an einem Auto festhielt, mutierte zum „Bolzenschneider“. So weit, so schlecht. Richtig heftig wurde es aber, als Kritikern, die das Originalfoto kannten und gegen diese plumpe Manipulation protestiert hatten, seitens der Bild-Redaktion geantwortet wurde: Das sei ein Versehen gewesen und beim Scannen des Fotos passiert! (Damals waren in der Tat Digitalkameras noch nicht so weit verbreitet.)

Eine fette „Schlagstock“-Beschriftung, durch Scannen ins Foto gerutscht – ein mutierter Arm, der beim Zoomen an eine andere Körperstelle wandert? Ich hatte meine Zweifel und antwortete:

„Guten Tag Frau Vögele,
vielen Dank für Ihre Mail. Ich glaube Ihnen das zwar gern, wenn Sie es mir so schreiben – habe allerdings erhebliche Schwierigkeiten, es nachzuvollziehen. 
Zum einen habe ich dieses Phänomen noch nie erlebt. Zum anderen und vor allem aber frage ich mich:
Wenn das durch einen Zoom-Fehler entsteht – warum ist dann nur der Unterarm betroffen und nichts anderes im Bild? Vor allem aber: Wie soll ein Zoomfehler dazu führen, dass der Bereich der Weste des linken Herren, der im Original noch unter dem korrekt platzierten Arm liegt, nun bei dessen neuer Positionierung plötzlich sichtbar wird, etwa das untere Ende der Krawatte? Ein Zoom-Fehler, der automatisch zuvor abgedeckte Bildbereiche rekonstruiert? Das erscheint mir nach rund 40 Jahren Bildbearbeitungspraxis dann doch etwas unwahrscheinlich!
Wenn ich mich irren sollte, wären wir allerdings sehr dankbar für einen Hinweis auf die Software, die das ermöglicht, denn es ist Künstlicher Intelligenz bisher nicht ohne weiteres gelungen, solche verborgenen Bereiche zu rekonstruieren – damit würden viele unserer Leserinnen und Leser bestimmt auch gern arbeiten.
Ein Update des Beitrages bzw. eine Richtigstellung als neuen Beitrag werde ich nach einer zufriedenstellenden Beantwortung meiner Frage gern vornehmen.“

Ich war richtig stolz auf meine feine Ironie. Ein Leser, der mir einen lobenden Kommentar zum Marsianer-Blog geschickt hatte und dem ich den Text der WGV-Mail, weil er zufällig im gleichen Augenblick ankam, samt meiner Antwort mitteilte, bestärkte mich:

„Danke für die Information, und ich bewundere Ihre sachliche, wohlwollende Antwort an die Versicherung!
Ich selbst merke an mir, dass ich nach all den intensiven und anstrengenden beruflichen Jahren im Bildungswesen NRW und an verschiedenen Universitäten des Landes inzwischen die Geduld verloren habe, bei solchen „Antworten“ immer freundlich und (sehr) höflich zu bleiben.“

Na bitte! Sachlich, wohlwollend, freundlich und höflich. Wirklich? Nein, eigentlich nicht. Denn ich war nur zu blöd gewesen, die Mail genau genug zu lesen und zu kapieren, was dort stand.

Zum Glück war Frau Vögele nicht weniger sachlich, wohlwollend, freundlich und höflich und stellte schnell klar:

„Guten Tag Herr Dr. Baumann,
danke für Ihre Rückmeldung. Gerne noch einmal kurz erklärt: Der wichtigste Punkt ist die Ausgangssituation – es handelt sich bei dem Werbemittel nicht um ein Bild, wie beschrieben, sondern um eine Animation. Sie hatten vermutlich nur einen Screenshot der Animation vorliegen. Daher hier auch noch einmal der Preview-Link für Sie: https://preview.mp-newmedia.com/wgv/20210802-dynamicSitebar-hausrat-v5/sitebar_preview.html Um den Arm zu animieren, war es notwendig, den Arm und die Herren in dem Werbemittel/Motiv zu trennen und als einzelne Assets abzuspeichern. Aus diesem Grund war es möglich, dass sich der Arm während des Zoom-Vorgangs vom korrekten Platz weg bewegt hat, was wir behoben haben.
Ich hoffe, Ihnen damit weiterhelfen zu können! Bei Fragen melden Sie sich gerne jederzeit.“

Das konnte sie. Ich hatte ja in der Tat von unserem Leser nur den Screenshot zugesandt bekommen, und auch, wenn man bei der Animation nicht schnell genug und genau hinschaut, ist der Winke-winke-Unterarm auch schon wieder in Ausgangsstellung – nur die ebenfalls animierte Zunge des Keramikhundes schlabbert weiter unverdrossen hin und her und ab und an blinken ein paar Glanzlichter auf den Pokalen. Das erklärt dann natürlich auch zufriedenstellend, warum für die Datei Schlips und Weste hinter dem Unterarm rekonstruiert wurden.

Also, keine unaufmerksamen Bildbearbeiter und Leute in der Chefetage, die es ebenso unaufmerksam durchgewinkt hätten – bloß ein Fehler in der Technik. Das lässt doch hoffen.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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