Altglas

Vom kreativen Umgang mit Objektiv-Namen

Altglas-Report

Wo heute Tessar drauf steht, ist keineswegs drin, was das Objektiv einst auszeichnete. Doch weil die Optik so gut war und im Nokia-Smartphone manchmal auch aus vier Linsen aufgebaut ist, nutzt man auch dort den Namen. So formulierte es Hubert Nasse humorvoll in einem Zeiss-Whitepaper – mit einem Hauch Ironie? Der US-Hersteller Wollensak agierte mit dem Namen der Kino-Optik Raptar weniger subtil.

Vom kreativen Umgang mit Objektiv-Namen

Ein wenig erinnert es an Soja-Milch. Milch kennt jeder, kommt von der Kuh, meistens jedenfalls. Wer mal einen Erdbeershake mit Ziegenmilch probieren musste, schätzt den Klassiker und die Alternativprodukte anschließend vielleicht umso mehr. Es lag nah, mit den Sojaprodukten die vermeintliche Nähe zur Milch durch die Verpackung zu unterstreichen. Was die Hafer- und Reis-Alternativen ebenfalls tun. Beim Namenszusatz geht man neue Wege: Vielleicht will der Cocos-Drink (auf Reisbasis) Nähe zu Pinacolada assoziieren? Doch dabei könnte das Tetra-Pack stören. Oder ist das zu Deutsch gedacht? In Frankreich wird Wein in dieser Verpackung und selbst im Schlauch akzeptiert – aber da ist auch drin was drauf steht.

Non-Milk. Vom kreativen Umgang mit Objektiv-Namen
Bei pflanzlichen Milch-Alternativen erinnert nur die Packung an das tierische Ursprungsprodukt. Ansonsten ist der Inhalt eindeutig deklariert.

Zurück zum Tessar. Damit revolutionierte Paul Rudolph 1902 den Objektivbau. Die hintere Einzellinse eines Triplets ersetzte er durch ein Element aus zwei miteinander verkitteten Linsen – so die vorherrschende Meinung. Andere sagen, Rudolph hat die Konstruktion von seinen früheren Entwürfen Protar und Unar abgeleitet. Als Zeiss-Interpretation nachvollziehbar, aber auch Rudolf Kingslake, ehemals Leiter der Optik-Entwicklung bei Kodak und Professor an der University of Rochester, sieht es so. Wie auch immer, Zeiss schätzt die weltweite Produktion auf 150 Millionen Stück. Was, frei nach Nasse, „das Potenzial der Grundidee beweist“. Ende der 1950er Jahre waren rund 180 Objektive bekannt, die auf dem Tessar-Design basierten. Die Minox 35 nutzte es ebenfalls und wurde bis 2002 hergestellt. Zeiss hatte es zur Contax RTS im Programm, doch das winzige Ding fand kaum Käufer. Der Einführungspreis soll auf Planar-Niveau gelegen haben.

Objektive von Paul Rudolph. Vom kreativen Umgang mit Objektiv-Namen
Ob das Tessar (rechts) eine Weiterentwicklung des Triplets (links) ist oder vom Protar (Mitte) abgeleitet wurde, ist umstritten.

Hubert Nasse

Die von ihm verfasste Artikel-Serie „Objektivnamen“ ist lesenswert, informativ und unterhaltsam. Manche sagten ihm feinen englischen Humor nach. So ließe sich seine Erklärung der bei Zeiss in Objektiv-Namen gerne eingesetzten Silbe „Bio“ interpretieren: Biotar, Biometar, Biogon. Aktuell im Zusammenhang mit Lebensmitteln stehend, sollte sie früher „die Möglichkeit sehr lebendiger Fotografie“ zum Ausdruck bringen – doch Biopic wiederum meint ganz was anderes. Seine Artikel finden sich zuverlässig über diese Site-Abfrage: Nasse, Objektivnamen site:zeiss.com. Zeiss restrukturierte in der Vergangenheit häufig die Ablageorte, was bei ungültigen Links zum 404-Fehler führte.

Minox Minotar. Vom kreativen Umgang mit Objektiv-Namen
Das Minox Minotar 35/2.8 ist ebenfalls ein Tessar-Design und wurde bis 2002 produziert.

Kino-Optiken

Im kreativen Umgang mit Objektiv-Namen sind auch die Hersteller von Kino-Optiken geübt. Selbst zwei Objektive vom selben Produzenten mit gleicher Bezeichnung sind keine Garantie für identische Eigenschaften. Mitunter wurden bekannte und gut eingeführte Objektiv-Namen für die nächste Generation übernommen, trotz grundlegend anderem optischen Design. Wollensak nutzte den Namen Raptar erst für ein Triplet- und später für ein Gauß-Design. Was Erinnerungen an Werbesprüche wie „Jetzt noch besser“ weckt – immerhin, ein Gauß-Design hat in der Regel doppelt so viele Linsen auf wie das Triplet. Aber Kino-Objektive sind nicht nur in dieser Hinsicht speziell, auch das Fotografieren damit ist eine Herausforderung.

Vintageobjektiv-Buch
Die zurzeit ausführlichste Zusammenfassung zu Kino-Objektiven bieten das Vintageobjektiv-Buch und das E-Book Digital fotografieren mit alten Objektiven (Band 2).
Zeig mehr

Bernd Kieckhöfel

Bernd Kieckhöfel hat einige Jahre für eine lokale Zeitung gearbeitet und eine Reihe von Fachartikeln zur Mitarbeiterführung veröffentlicht. Seit 2014 schreibt er für Fotoespresso, DOCMA, FotoMagazin sowie c't Digitale Fotografie.

Ähnliche Artikel

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button