Die Zeichnungen in mir – Doppelgänger
Der Doppelgänger ist ein altes Motiv des Schauerromans – wer seinen Doppelgänger sieht, muss mit dem baldigen Ableben rechnen. In einer Serie von Montagen hat Sébastien del Grosso mit gezeichneten Doppelgängern seiner selbst oder von anderen experimentiert, wobei die Konfrontation von fotografiertem und gezeichnetem Ich zwischen der Erforschung von Alternativen, einer friedlichen Kooperation und einem tödlichen Kampf variiert, in dem es nur einen Sieger geben kann.
Wenn wir nach dem „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ urteilen, ist der Doppelgänger vor allem ein Unglücksbote: „In den meisten Fällen … bedeutet das Erscheinen des Doppelgängers den Tod.“ Seit der Romantik haben Autoren wie E. T. A. Hoffmann oder Edgar Allan Poe das unheimliche Potential des Doppelgänger-Motivs weidlich ausgenutzt. Vieldeutiger noch sind die Ergebnisse, die der französische Grafiker und Fotograf Sébastien del Grosso mit seinen gezeichneten Doppelgängern fotografischer Motive erzielt hat.
Das künstlerische Interesse des heute 34-jährigen del Grosso (www.docma.info/20030) war einst von seiner Großmutter geweckt worden. Er beobachtete sie beim Malen und Zeichnen und wollte es ihr nachtun. Die Großmutter brachte ihm das Zeichnen bei, und folgerichtig führte ihn sein Ausbildungsweg viele Jahre später in die grafische Industrie. Das Interesse an der Fotografie kam erst 2011 hinzu, nachdem er auf einer Reise Erfahrungen mit seiner ersten Canon EOS gesammelt hatte. Obwohl er also schon viel länger zeichnet als fotografiert, beschäftigt sich Sébastien del Grosso heute weit mehr mit der Fotografie als mit der bildenden Kunst, liebt aber beide Tätigkeiten in gleichem Maße.
Seine Arbeit im Grafikdesign lehrte del Grosso, sein Augenmerk darauf zu legen, wie die Details und die Farben eines Bildes Gefühle vermitteln. Die im Job gewonnenen Fähigkeiten und Erfahrungen fließen auch in die Bildbearbeitung der Fotos ein. Sein als Grafiker geschultes Auge für die Komposition bewährt sich auch in der Fotografie, bei der er nach einer logischen Bildgestaltung strebt, wenn er seine Motive im Sucher arrangiert.
Bei den hier vorgestellten Bildern hat Sébastien del Grosso mit einer Verbindung der künstlerischen Medien Fotografie und Handzeichnung experimentiert. Über eine einfache Umsetzung in eine Strichzeichnung geht das weit hinaus, denn die gezeichneten Pendants der (Selbst-)Porträts akzentuieren nicht bloß Details der fotografierten Realität, sondern entwickeln ein bisweilen beunruhigendes Eigenleben – gezeichnete und fotografierte Motive vermischen oder verselbständigen sich, treten in einen Dialog, arbeiten zusammen oder bekämpfen sich – inspiriert wohl auch durch M. C. Escher, dessen „Drawing Hands“ er in „Le cycle de l’esquisse“ (Seite 70) zitiert.
Sébastien del Grosso will diese Serie künftig weiter ausbauen. Er hat noch viele kreative und innovative Ideen, die er realisieren möchte, und diese präsentieren neue Herausforderungen, denen er sich stellen will. Irgendwann soll daraus ein Buch werden, das auch detaillierte Erklärungen zu den einzelnen Bildern enthält. Auch an ein Ausstellungsprojekt hat er gedacht, ist aber noch auf der Suche nach Kontakten, um solche Pläne zu realisieren.
Hier und auf den folgenden Seiten finden Sie neben weiteren Bildern aus dieser Serie Sébastien del Grossos exemplarische Beschreibung in sechs Schritten, wie er das Aufmacherbild „The sketches inside me“ realisiert hat.
1. Beim fotografischen Teil dieser Arbeiten treibt Sébastien del Grosso, wie er erklärt, nur einen bescheidenen Aufwand: Die Porträts, die als Grundlage für meine Montage dienen sollten, habe ich mit dem vorhandenen Licht in meiner Wohnung aufgenommen; als Kamera diente eine Canon EOS 7D mit den Objektiven EF 16-35mm f/2.8L II USM und EF 50mm f/1.4 USM. Diese Ausgangsbilder waren natürlich noch weit von meinem angestrebten Ergebnis entfernt. Zur Sichtung und Organisation meiner Fotos nutzte ich iPhoto, aber die weitere Bearbeitung erfolgte dann in Photoshop. Bevor ich damit beginnen konnte, kam allerdings noch der entscheidende zweite Schritt, nämlich die Ergänzung der fotografierten Motive durch dazu passende Zeichnungen.
2. Als Grundlage der Zeichnungen benutzte ich Ausdrucke der freigestellten Porträtfotos. Vor dem Druck legte ich jeweils eine weiße Ebene mit 90 % Deckkraft über die Fotos. Das Ergebnis waren Vorlagen, die es mir erlaubten, realistisch zu zeichnen, so dass die Zeichnung mit dem Foto am Ende perfekt zur Deckung kam. Zum Zeichnen nahm ich einen einfachen Bleistift. Ich strebe generell einen schnellen, nervösen Duktus an, um einen Eindruck wie von einer Konstruktionszeichnung zu vermitteln.
Die weiteren Arbeitsschritte beschreibt Sébastien del Grosso in der neuen DOCMA 63, die Sie im Zeitschriftenhandel kaufen und in unserem Webshop bestellen können.
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