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Was sind eigentlich Komplementärfarben?

Komplementärfarben gelten als Grundlage für Farbharmonien und sind daher eine wichtige Basis der Bildgestaltung. Aber was ist die zu einer gegebenen Farbe komplementäre Farbe? Physikalisch gesehen gibt es keine Komplementärfarben und auch wenn wir uns an das menschliche Farbsehvermögen halten, ist nicht eindeutig bestimmt, welche Farben komplementäre Paare bilden.

Dank der Erkenntnisse der Physik wissen wir heute viel über das Licht, seine Wellenlängen und die Farbeindrücke, die diese erzeugen, aber wenn es um die Feinheiten von Farben geht, hilft uns die Physik kaum weiter. Physikalisch gesehen gibt es ein lineares Farbspektrum zwischen dem langwelligen Rot und dem kurzwelligen Violett, dessen Enden sich nicht zu einem Farbkreis verbinden – jenseits von Gelb, Orange und Rot folgt das unsichtbare Infrarot, aber nicht Purpur und Violett. Jede Wellenlänge des sichtbaren Lichts nehmen wir als eine bestimmte Farbe wahr, aber wenn wir die Wellenlängen des roten und grünen Lichts mischen, sehen wir Gelb, obwohl die einem gelben Farbeindruck entsprechende Wellenlänge in dieser Mischung gar nicht vorkommt – es handelt sich nach wie vor um zwei Wellenlängen; eine dritte ist nicht im Spiel.

Was sind eigentlich Komplementärfarben?
Das Spektrum der Wellenlängen des sichtbaren Lichts zwischen Rot und Violett.

Ohne einen Farbkreis kann es auch keine im Kreis gegenüber liegenden Komplementärfarben geben – physikalisch gibt es überhaupt keine besonderen Beziehungen zwischen zwei Wellenlängen. Wenn wir nach Komplementärfarben suchen, müssen wir uns mit den Eigenheiten des menschlichen Farbsehens beschäftigen, die Frage also physiologisch statt physikalisch angehen.

Was sind eigentlich Komplementärfarben?
Das RGB-System mit Rot, Grün und Blau als Grundfarben sowie den Mischfarben Gelb, Magenta und Cyan.

Als Bildbearbeiter wie als Fotografen sind uns Rot, Grün und Blau als additive Grundfarben vertraut; alle übrigen Farbtöne lassen sich durch die Mischung von je zwei dieser Grundfarben erzeugen. Zwischen Rot, Grün und Blau liegen Gelb, Cyan und Magenta – Mischfarben im additiven RGB-Farbsystem, aber andererseits die Grundfarben des subtraktiven CMY(K)-Systems, wie es dem Farbdruck zugrunde liegt. Wenn wir diese insgesamt sechs Farben zu einem Kreis oder Dreieck anordnen, ergeben sich komplementäre Farbpaare: Rot und Cyan, Grün und Magenta sowie Blau und Gelb. Diese Paare haben die Eigenheit, dass sie sich additiv zu Weiß mischen. Auch dies ist ein physiologisches, kein physikalisches Phänomen, denn aus der Perspektive der Physik haben wir es mit der Kombination dreier Wellenlängen zu tun (eine der beiden Komplementärfarben setzt sich aus zwei Grundfarben zusammen), und nur für uns Menschen ergibt das Weiß.

Dieses Farbsystem kann für sich beanspruchen, die Farbwahrnehmung des menschlichen Auges annähernd widerzuspiegeln. Auch die Farbrezeptoren der Netzhaut unterscheiden (grob vereinfacht) Rot, Grün und Blau. Die Komplementärfarben im RGB-System haben aber einen Nachteil: Sie „beißen“ sich. Rot und Cyan bilden eine augenkrebsverdächtige Kombination, und dasselbe gilt für Grün und Magenta. Allein Blau und Gelb kann noch als halbwegs harmonisch gelten.

Was sind eigentlich Komplementärfarben?
Im von Leonardo da Vinci  favorisierten Vierfarbsystem gibt es statt Komplementärfarben zwei Paare von Gegenfarben.

Aber RGB ist nicht das einzige mögliche Farbsystem. Leonardo da Vinci beispielsweise postulierte vier Grundfarben: Rot, Gelb, Grün und Blau. Bei Grün hatte er allerdings Bedenken, war er es als Maler doch gewohnt, diese Farbe aus blauen und gelben Pigmenten anzumischen. Zwischen den Grundfarben finden wir Orange, Gelbgrün, Cyan und Magenta. Auch dieses System kann einen Anspruch auf physiologische Realität geltend machen, wie Ewald Hering (1834–1918) erkannte. Rot und Grün sowie Gelb und Blau sind Paare sogenannter Gegenfarben: Wenn wir längere Zeit auf eine dieser Farben starren und danach in ein weißes Feld blicken, meinen wir für wenige Sekunden die Gegenfarbe zu sehen. Tatsächlich spielt auch Gelb eine herausgehobene Rolle im menschlichen Farbsehen, denn aus den Signalen der Rezeptoren für Rot und Grün wird schon in einem frühen Stadium der Verarbeitung ein Gelb-Anteil ermittelt. Das Vierfarbsystem, auf dem auch das Lab-Farbmodell basiert, kennt zwar nur zwei Paare gegensätzlicher Farben, doch erscheinen sie bereits harmonischer als die Komplementärfarben des RGB-Systems.

Was sind eigentlich Komplementärfarben?
Auch aus Rot, Gelb und Blau lassen sich alle Farbtöne mischen.

Als ich vor vielen Jahren erstmals vom RGB-System hörte, war ich verwundert, kannte ich doch aus dem Kunstunterricht drei andere Grundfarben: Rot, Gelb und Blau. Auch dieses System hatte in der Geschichte prominente Fürsprecher, darunter Goethe und (von ihm beeinflusst) der Maler Philipp Otto Runge. Als additive Grundfarben eignen sich diese drei ebenso gut wie Rot, Grün und Blau. Die Mischfarben in diesem System sind Orange, Grün und Magenta. Gegenüber dem RGB-System verlieren wir also Cyan, gewinnen aber Orange hinzu. Unter dem Aspekt, dass Cyan kaum in der Natur vorkommt – die deutsche Sprache hat nicht einmal ein eigenes Farbwort dafür und behilft sich mit „Blaugrün“ –, Orange hingegen schon, scheint das ein guter Tausch zu sein.

Was sind eigentlich Komplementärfarben?
Zum seit einigen Jahren verwendeten Farbschema der FDP gehören Gelb, Magenta und Cyan.

Interessant wird es nun aber, wenn wir die Paare von Komplementärfarben betrachten, wie sie sich in diesem System ergeben: Rot und Grün kennen wir von der Verkehrsampel, Orange und Blau galt in den 90ern als Farbschema der New Economy und diese Kombination ist so populär wie eh und je; Gelb und Magenta erfreuen sich beispielsweise bei der FDP großer Beliebtheit. Diese Farbpaare können zwar als Gegensätze gelten, wirken aber dennoch harmonisch und lassen sich längere Zeit betrachten, ohne dass es die Augen übermäßig anstrengt. Physiologisch lässt sich nicht begründen, weshalb gerade diese Farben als Komplementärfarben gelten sollten, aber vielleicht ist eben das der Grund für unser Empfinden: Die Farben bilden Gegensätze, nur sind diese nicht allzu extrem, und daher sind sie gut geeignet, wenn wir einen starken Farbkontrast in einem Bild anstreben, den Betrachter aber nicht überfordern wollen.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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2 Kommentare

  1. Bei „Selbstleuchtern“ scheint es noch ein Paar zu geben, das sich beißt: rot und blau. In den 90ern wollte einer unserer Studenten einmal eine Website für die freiwillige Feuerwehr seines Ortes basteln und wählte dazu einen roten Hintergrund und für die Überschriften eine blaue Schrift, jeweils reine Farben. Wir haben ihm dann davon abgeraten… und neulich erst wieder: eine LED-Zeile über einem Ladeneingang, roter Hintergrund mit blauer Laufschrift – der optische Effekt war interessant: die Schrift lief ca. 10cm vor dem Hintergrund, war aber kaum lesbar – mit Sonnenbrille ging’s dann wieder 🙂

  2. Pingback: Wer es immer noch nicht weiß… | Candy Shop

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