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Gesetzwidrige Unschärfe

Falsche Schatten, schräge Perspektiven – derlei sind wir ja gewohnt bei Montage-Missbräuchen von Photoshop. Auch unsaubere Auswahlen kommen immer wieder vor. So schlecht wie in diesem Beispiel hat man das aber schon lange nicht mehr gesehen, handelt es sich doch geradezu um „gesetzwidrige Unschärfe“. Als Zugabe gibt’s von Doc Baumann noch eine der üblichen falschen Auto-Werbeanzeigen sowie eine Frau mit zwei Köpfen, an der aber eigentlich gar nichts auszusetzen ist.

Gesetzwidrige Unschärfe
Oh je, da ist dem Polizei-Monteur beim Auswählen und bei der Logik der Unschärfe wohl einiges durcheinandergeraten.

Die Polizei steht derzeit immer mal wieder im Zentrum des öffentlichen Interesses. Mal muss man lesen, dass Beamt/innen bei Einsätzen von betrunkenen Corona-Partygästen massiv attackiert werden, mal gibt es Hinweise auf rechtsradikale oder rassistische Aktivitäten von Polizisten. (Geradezu vorbildlich war in diesem Zusammenhang die Weigerung von Bundesinnenminister Seehofer, eine Studie zu möglichen Verstrickungen dieser Art in Auftrag zu geben: Die sei unnötig, weil rassistisches Vorgehen ja verboten sei. Das Argument könnte allerdings auch nach hinten losgehen: Wofür brauchen wir überhaupt die Polizei, da sie sich doch definitionsgemäß um Taten zu kümmern hat, die verboten sind – und eben deswegen erfahrungsgemäß auch gar nicht vorkommen …)

Zu meinem außerordentlichen Bedauern muss ich nun in dieselbe Kerbe hauen und die Polizei kritisieren. Ausgelöst wurde das durch eine Mail unseres Lesers Horst Fenchel:

Eine Leser-Mail und die Folgen

„Hallo Doc Baumann, nichts ist in Corona-Zeiten nebensächlicher als eine schlechte gemachte Fotomontage. Aber ich wollte Ihnen das außerordentlich gelungene (Anti)beispiel nicht vorenthalten. Man sollte nicht nur dem Raser den Schein entziehen, sondern auch dem Bildmonteur. Aber das ist derzeit, wie gesagt, nebensächlich.“

Sein Screenshot von bild.de zeigt ein Foto – na gut, ein Bild – eines Autos, das gerade abgeschleppt werden soll, und den Text „Illegales Autorennen – Polizei beschlagnahmt 350000-Euro-BMW“. In der vergrößerten Darstellung erkennen Sie gut, worum es geht: Bei der Montage wurde wohl zunächst ordentlich und professionell das Pfad-Werkzeug genutzt, um der Kontur des beschlagnahmten Wagens zu folgen. Die resultierende Auswahl sollte wohl dafür sorgen, den Hintergrund zu soften – sei es, um die Umgebung unkenntlich zu machen, sei es, um die Aufmerksamkeit auf das Auto zu konzentrieren.

Fehler 1: Wie der Monteur es dann geschafft hat, den Pfad etliche Pixel zu verschieben und damit die Weichzeichnung erst eine Daumenbreite jenseits der Kontur einsetzen zu lassen, bleibt ein Rätsel. (Mir fallen zwei Wege ein: Laden des Pfades als Auswahl, dann versehentliches Ausdehnen oder Schrumpfen dieser Auswahl – je nachdem, ob Auto oder Umfeld selektiert waren. Zweiter Weg: Irgendetwas mit Pfad als Leitpfad für einen Pinsel in einer Ebenenmaske anstellen.)

Gesetzwidrige Unschärfe
In der vergrößerten Darstellung ist die seltsame Auswahlkante deutlicher zu erkennen.

Wie auch immer – dass das im Ergebnis nicht stimmt, sollte eigentlich jeder auf den ersten Blick erkennen. Da das Bild bei mehreren Quellen (die unseres Lesers war bild.de) gekennzeichnet ist als „Foto: Polizei“, spricht einiges dafür, dass die Quelle des Übels dort zu finden ist. Ich fordere umgehend einen Untersuchungsausschuss zum Umgang der Polizei mit Bildbearbeitung!

Leider ist das noch nicht alles, es folgt Fehler 2. Aus welchen Gründen die digitale Unschärfe nun auch immer vorgenommen wurde, ihre Erstreckung ist gesetzwidrig. Das betrifft zwar nicht das deutsche Strafrecht, aber die Gesetze der Optik, und die sind viel älter. Hätte das Soften des Hintergrunds scharf an der senkrechten Kante der gelben Hauswand rechts aufgehört, wäre das zwar noch immer falsch, aber erträglich gewesen. Dass nun allerdings der Bürgersteig rechts scharf abgebildet ist und die in gleicher Entfernung stehende Wand unscharf, das geht nun gar nicht.

Eine Quelle benennt als Grund der Beschlagnahmung „Illegale Veränderungen“; das trifft diese Montage auch recht gut.

Und noch eine gesetzwidrige Montage

Dagegen ist die folgende Mercedes-Werbung schon geradezu vorbildlich – jedenfalls was das Freistellen betrifft. Wir mussten ja schon sehr oft feststellen, dass ausgerechnet die Konzerne mit Milliardenumsätzen und -gewinnen kein Geld für professionelle Montagen auszugeben bereit sind.

Der Fehler, der hier sofort ins Auge springt (ja gut, sagen wir: springen sollte), ist die falsche Perspektive. Die Autos wurden unter perspektivischen Bedingungen fotografiert, die wenig mit denen der Szene zu tun haben, in die sie dann einmontiert wurden.

Gesetzwidrige Unschärfe
Mercedes-Werbung mit falscher Perspektive und fehlenden Schlagschatten

Am einfachsten lässt sich das bei den beiden vorderen Wagen nachprüfen: Nicht nur, dass ihre Fluchtpunkte weit unterhalb des Horizonts der Hintergrundszene liegen, der Fluchtpunkt des linken befindet sich zudem ein ganzes Stück oberhalb von dem des rechten.

Leider ist das aber auch in diesem Fall noch nicht alles. Zwar passen die Schlagschatten der Autos einigermaßen zu denen der Szene – aber drei von ihnen sind im Schatten der Bäume abgestellt, wie man auf dem Boden erkennen kann. Die Autos selbst sind jedoch von diesen Schlagschatten wundersamerweise nicht betroffen und stehen weiterhin im hellen Licht.

Ob dieser Fehler eher zur Kategorie „Licht und Schatten“ oder zu „Plausibilitätsmängel“ gehört, müssen wir nicht entscheiden.

Etwas zweifelhaft ist zudem, ob die Autos hinten bezogen auf die Perspektive der Szene die richtige Größe haben, aber da müsste ich jetzt zu viel messen und recherchieren, um das behaupten zu können.

Alien mit zwei Köpfen?

„Liebes DOCMA-Team“, schieb uns ein Leser aus Linz. „Vor kurzem kam mit einer Postwurfsendung das Magazin ,Österreich Sicher‘ mit dem in der Beilage angefügte Titelbild mit der Headline ,Ich bleib lieber daheim‘. Ganz sicher werde ich daheim in der Wohnung bleiben, da das Titelbild darauf hinweist, dass in österreichischen Seen mit dem Auftauchen von Aliens zu rechnen ist, die einen Körper mit zwei Köpfen und  mit verschiedenen Armen und gleicher Kopfhaarlänge haben. Gerne leite ich es Euch für die Bildkritik Rubrik weiter. Mit großer Angst vor Aliens in österreichischen Seen …“

Ein Alien mit zwei Köpfen und unterschiedlich langen Armen?

Da ich vor 30 Jahren mal ein Buch zur Kulturgeschichte der Darstellung Außerirdischer geschrieben habe, bin ich in dieser Frage sozusagen Fachmann und weiß, wann ich einem Alien gegenüberstehe und wann nicht. Und so konnte ich unserem Leser beruhigend antworten:

„Vielen Dank für die Zusendung des Bildes. Ich fürchte jedoch, Sie haben das Bild nicht ganz richtig beurteilt.

Dieses weibliche Alien-Exemplar hat nämlich gar keine zwei Köpfe, sondern nur einen, der durch den Schatten des emporgeschleuderten Wassers und der Haarsträhne in eine hell beleuchtete Zone und eine etwas abgedunkelte geteilt ist. Die scharfe Kante dieses Spritzerschattens verläuft diagonal über die Wange bis zum Hals – das sieht auf den ersten Blick zugegebenermaßen etwas seltsam aus, ist aber völlig in Ordnung. (Ich habe mal eine Version mit ganz grob angepasster Beleuchtung angehängt, ohne geometrisch etwas zu verändern, so sieht man besser, dass das eine Einheit ist.)

Eine grobe Retusche des Schattenrandes ohne geometrische Veränderungen des Gesichts zeigt, dass da wirklich nur ein Kopf ist.

Auch die Längen der beiden Arme sind nicht zu beanstanden. Der vordere ist ausgestreckt und in rechtem Winkel fotografiert – der hintere zum einen leicht gebeugt und zum anderen in Schrägsicht mit entsprechender perspektivischer Verkürzung; der Oberarm ist vom Körper abgewinkelt.

Dennoch: Danke für Ihren aufmerksamen docmatischen Blick! Obwohl es ja ganz optimistisch stimmen würde, wenn Aliens so aussähen und nicht wie die von Giger … „

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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