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Die Mondillusion

In der kommenden Nacht ist mal wieder ein Supermond zu sehen, der der Erde ein paar Prozent näher als im Durchschnitt und daher auch überdurchschnittlich groß ist. Dieser Effekt, Super hin oder her, ist nicht besonders eindrucksvoll, weniger eindrucksvoll jedenfalls als die sogenannte Mondillusion, die uns einen Mond nahe dem Horizont deutlich größer als am Zenit erscheinen lässt. Was steckt dahinter?

Die Mondillusion
Die scheinbare Größe des Mondes hängt davon ab, wie nahe er uns auf seiner elliptischen Bahn gerade ist. Die Schwankungsbreite ist allerdings gering.

Der aktuelle Supermond ist sogar ein blauer Supermond, was großartiger klingt, als es ist. Als blauen Mond bezeichnet man einen zweiten Vollmond innerhalb desselben Monats, und da schon am 1. August Vollmond war, ist der Vollmond in der Nacht vom 30. auf den 31. August ein blauer Mond – natürlich ist er nicht wirklich blau. Ein blauer Mond ist lediglich einem Zufall des Kalenders zu verdanken und nichts, für das sich Astronomen interessieren würden.

Die Bahn des Mondes um die Erde ist leicht elliptisch, so dass seine Entfernung von der Erde schwankt. Wenn ein Vollmond – also die Situation, dass der Mond, von der Erde aus gesehen, gegenüber der Sonne liegt und daher vollständig von ihrem Licht getroffen wird – auf einen Tag fällt, an dem der Mond der Erde besonders nahe ist, erscheint er etwas größer und heller als sonst, und man spricht daher von einem Supermond. Trotz der marktschreierischen Bezeichnung ist er aber nur 8 Prozent größer als der Mond im Durchschnitt, und 14 Prozent größer als ein Minimond, der uns auf seiner Bahn am fernsten steht. Für die scheinbare Größe des Mondes am Himmel spielt neben seiner Bahnposition auch die Drehung der Erde um ihre Achse eine Rolle: Wenn wir den Mond hoch über uns am Himmel sehen, sind wir ihm um den halben Erddurchmesser näher gerückt als wenn er am Horizont steht. Dieser Unterschied macht aber lediglich rund 1,7 Prozent aus und ist praktisch nicht wahrnehmbar.

Erstaunlicherweise ist es zudem so, dass uns der Mond am Horizont nicht nur nicht kleiner, sondern ganz im Gegenteil deutlich größer als ein Mond vorkommt, der hoch am Firmament steht. Diese optische Täuschung – denn im Gegensatz zum Einfluss der Mondbahn und der Erdrotation handelt es sich nicht um einen realen Effekt – bezeichnet man als Mondtäuschung oder Mondillusion. Nun sind die systematischen Täuschungen, denen unser Sehvermögen unterliegt, bekanntlich zahlreich, aber die Mondillusion hat eine Besonderheit: Bis heute ist nicht endgültig geklärt, was sie verursacht.

Die Mondillusion
Im Vergleich mit Gebäuden am Horizont soll der Mond größer erscheinen. Aber warum eigentlich, wenn er doch gegenüber diesen scheinbar kleiner ist? (Hier ist eine Mondfinsternis zu sehen, die vor sechs Jahren zufällig mit einem DOCMA-Redaktionstreffen auf Burg Staufenberg zusammenfiel.)

Am häufigsten ist zu lesen, dass die Täuschung auf einem Größenvergleich beruhe. Hoch am Himmel können wir den Mond mit nichts vergleichen, aber nahe dem Horizont bieten beispielsweise Häuser einen Maßstab, um seine Größe einzuschätzen. Warum aber sollte uns der Mond deshalb größer erscheinen – warum nicht kleiner? Tatsächlich gibt es bekannte Effekte aufgrund eines Größenkontrasts: Ein von kleineren Objekten umgebenes Objekt kommt uns größer vor als ein ebenso großes Objekt zwischen noch größeren Nachbarn. Die Häuser, mit denen wir den Mond am Horizont vergleichen können, sind aber durchweg größer, nicht kleiner, und müssten den Mond daher scheinbar schrumpfen lassen. Zudem stellt sich die Mondillusion auch dann ein, wenn es am Horizont gar keine erkennbaren Vergleichsobjekte gibt, etwa am Meer oder in der Wüste. Auch aus einem Flugzeugfenster erscheint uns der über dem Wolkenmeer auf- oder untergehende Mond besonders groß.

Eine alternative Erklärung geht davon aus, dass wir ein abgeflachtes Firmament zu sehen meinen. Wir sind ja nicht in der Lage, die Entfernung von Sonne, Mond, Planeten und Sternen einzuschätzen. Unser stereoskopisches Sehen hilft uns nur bis zu einer Entfernung von wenigen Metern; darüber hinaus greifen wir auf verschiedene Indizien, vor allem der Perspektive zurück. Wenn es aber um Objekte am Himmel geht, versagen all diese Methoden. Mit bloßen Augen können wir nicht beurteilen, ob die Himmelskörper ein paar hundert Meter oder viele Lichtjahre entfernt sind. Allein die gegenseitige Verdeckung gibt einen Hinweis: Der Mond kann die Sterne und Planeten verdecken und bei einer Sonnenfinsternis sogar die Sonne; er muss uns also von allen Himmelskörpern am nächsten sein.

In der Antike entstand die Vorstellung kugelförmiger Himmelssphären, auf denen sich Sonne, Mond, Planeten und Sterne bewegen, und in deren Zentrum stünde die Erdkugel. Die These eines abgeflachten Firmaments besagt nun, dass wir uns die Himmelssphären tatsächlich wie zu einer Schüssel abgeflacht vorstellen. Aufgrund der angenommenen Abflachung würden wir den Mond im Zenit daher näher als den am Schüsselrand des Horizonts vermuten, und wenn der Mond am Horizont weiter entfernt wäre, ohne der Perspektive gemäß zu schrumpfen, dann müsste er tatsächlich gewachsen sein.

Diese Erklärung kommt der Wahrheit vermutlich näher, erscheint aber doch ein bisschen ad hoc. Dass wir Himmelssphären in der Form flacher Schalen zu sehen glauben, ist eine nicht unabhängig motivierte Annahme; sie führt lediglich zur korrekten Schlussfolgerung im Hinblick auf die Mondillusion. Meiner Ansicht nach ist die Mondillusion eine Konsequenz unserer alltäglichen Seherfahrungen.

Zunächst einmal hat der Mond unter den Himmelskörpern die Besonderheit, dass wir seine Größe überhaupt einschätzen können. Die Sterne mögen riesig sein, aber mit Ausnahme unserer Sonne sind sie so weit entfernt, dass sie selbst im Teleskop nur als Punkte wahrnehmbar sind – das Fernrohr sammelt mehr Licht, kann die einzelnen Sterne aber nicht vergrößern. Die Planeten sind im Fernrohr als Scheiben erkennbar, aber dem bloßen Auge erscheinen sie ebenfalls als Punkte. Allerdings funkeln sie im Gegensatz zu den Sternen nicht: Das Licht der Sterne wird auf dem Weg bis zu unseren Augen durch Luftbewegungen abgelenkt und schwankt daher. Dagegen nimmt das Licht der Planetenscheibchen etwas unterschiedliche Wege durch die Erdatmosphäre, auf denen es eine unterschiedliche Ablenkung erfährt; diese Effekte gleichen sich gegenseitig aus, weshalb das Licht der Planeten ruhiger als das funkelnde Sternenlicht erscheint.

Nur den Mond und die Sonne sehen wir als Scheiben, aber die Sonne ist meist zu blendend hell, um ihre Größe zu beurteilen. Das gelingt nur beim Sonnenauf- oder -untergang, und da wir den Sonnendurchmesser nur am Horizont einschätzen können, fehlt uns ein Vergleich. Daraus wird schon einmal klar, weshalb es eine Mondillusion gibt, aber keine Sonnen-, Planeten- oder Sternenillusion. Es gibt allerdings einen der Mondillusion ähnlichen Effekt bei der Größeneinschätzung von Sternbildern.

Nun sehen wir aber nicht nur die astronomischen Objekte am Himmel über uns, sondern auch näher gelegene wie Wolken, Vögel oder Flugzeuge, und von deren Entfernung wie auch von deren Größe haben wir zumindest eine ungefähre Vorstellung. Unsere Erfahrung hat uns gelehrt, dass alle diese Objekte am größten erscheinen, wenn sie genau über uns hinweg fliegen, denn dann sind sie uns ja tatsächlich am nächsten. Ein Vogel oder ein Flugzeug werden scheinbar immer kleiner, je weiter sie sich von uns entfernen und je näher sie deshalb dem Horizont kommen. Auch eine Gewitterwolke direkt über uns wirkt bedrohlicher, als wenn sie weiter weggezogen ist und längst wieder die Sonne scheint.

Bei all dem handelt es sich um gewöhnliche perspektivische Effekte, mit denen wir vertraut sind, und wir neigen dazu, dasselbe Interpretationsschema auch auf die astronomischen Objekte anzuwenden. Im Gegensatz zu einem Vogel, einem Flugzeug oder einer Wolke ist der Mond am Horizont nur minimal weiter von uns entfernt als im Zenit, aber das kann unser visueller Kortex nicht wissen. Entsprechend der durch Erfahrung gewonnenen Regel, dass Objekte am Horizont weiter entfernt sind als solche über uns, scheint uns der Mond auf dem Weg zum Horizont gewachsen zu sein, denn er ist nun vermeintlich viel weiter entfernt und erscheint trotzdem in praktisch unveränderter Größe. Dieselbe Täuschung stellt sich bei den Sternbildern ein, denn diese sind neben dem Mond die einzigen „Objekte“ am Himmel, deren Größe wir immer einschätzen können (tatsächlich erscheinen uns nahe beieinander stehende helle Sterne bloß als zusammengehörige Gebilde; nur in Ausnahmefällen wie den Plejaden sind die Sterne tatsächlich gravitativ aneinander gebunden). Es handelt sich also nicht um eine reine Mondillusion, aber die übrigen astronomischen Objekte sind entweder zu weit entfernt oder zu hell, als dass wir ihre Größe beurteilen könnten. Bei den Sternbildern wirkt sich die Täuschung nicht auf die Größe der Sterne, sondern ihren scheinbaren Abstand aus.

Wie auch immer: Der Anblick des Vollmonds scheint nie seinen Reiz zu verlieren, obwohl er sich kaum sichtbar verändert. Er pendelt langsam (die sogenannte Libration), weshalb wir insgesamt nicht bloß die Hälfte, sondern insgesamt rund 59 Prozent der Mondoberfläche sehen können, aber das fällt uns gewöhnlich nicht auf. Manche Smartphone-Hersteller sind deshalb schon dazu übergegangen, immer dann, wenn jemand den Mond zu fotografieren versucht, kurzerhand ein vorhandenes Mondbild zu speichern, um eine höhere Kameraauflösung vorzutäuschen. Lassen Sie also mal die Kamera oder das Smartphone liegen. Schauen Sie sich den Mond an, und vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie auf die vom Tageslicht beleuchtete Oberfläche eines fremden Himmelskörpers blicken. Das ist durchaus ungewöhnlich, denn die anderen Monde im Sonnensysteme sind teilweise kleiner und teilweise weiter von ihren Planeten entfernt; ein Mond, wie ihn die Erde hat, ist etwas ganz Besonderes.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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