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„Echte Bilder“ und Detailauflösung im Nano-Bereich

Warum Atome und Planck-Länge für hochauflösende Bilder unwichtig sind

In seinem vorletzten Blog-Beitrag hatte sich Doc Baumann mit der Behauptung eines Samsung-Managers beschäftigt, der gesagt hatte, so etwas wie ein echtes Bild gäbe es gar nicht. Dabei hatte er diese Aussage nicht widerlegt oder bestätigt, sondern lediglich festgestellt, dass sich so etwas wie „echtes Bild“ gar nicht genau definieren lässt; außerdem, dass es eine ziemliche Begriffsverwirrung gibt zwischen den unterschiedlichen Bedeutungen von „Bild“. Dazu gab es einen Leser-Kommentar, auf den Doc Baumann hier näher eingeht.

Prompt für Deep Dream Generator / AIVison: »professional photo, a hand holding a magnifying glass over a photo portrait,, through the magnifying glass one sees the molecules of the photo paper«

Noch einmal kurz und knapp: Ein Bild ist erstens ein Gegenstand, dessen Oberfläche für einen Betrachter genauso – in der Praxis eher:  so ähnlich – aussieht wie die abgebildete Szene; zur klareren Unterscheidung sollte man besser von „Bildträger“ sprechen. Ein Bild ist zweitens die Erscheinung einer abgebildeten Szene für einen Betrachter. Wird ein Bildträger von niemandem angesehen, gibt es auch kein Bild.

Mit der Entwicklung der Zentralperspektive in der Renaissance könnte man ein Bild auch als einen Schnitt durch die Sehpyramide bezeichnen. Die Spitze dieser Pyramide liegt auf der Netzhaut des Betrachters, die seitlichen Begrenzungen (eher eines Spitzzylinders) umfassen die Bildgrenzen; jeder Endpunkt (vom reflektierten Licht aus betrachtet eigentlich der Startpunkt) der vielen „Sehstrahlen“ innerhalb dieser Begrenzung liegt auf einem Punkt oder kleinen Bereich der Oberflächen der gesehenen Umgebung. Ein Schnitt durch diese Sehpyramide, in der Regel vertikal vorgenommen, ist eine Ebene, auf die diese Punkte projiziert werden.

Das von einem Betrachter, also etwa von Ihnen, Gesehene entspricht nun aber nicht einem Bildchen, das auf Ihre Netzhaut projiziert wird; bis hierhin ist es lediglich ein optischer Reiz, der Zellen in der Netzhaut dazu bringt, Signale an andere Nervenzellen weiterzuleiten. Das, was Sie sehen und wahrnehmen, ist nicht das Netzhautbild, sondern eine dadurch ausgelöste Empfindung, die über zahlreiche Zwischenstationen im Gehirn in Farbe, Form, Bewegungsrichtung usw. auseinandergenommen und dann wieder zu einem Seheindruck zusammengefügt wird. Und auch dieser ist noch immer nicht das Wahrgenommene, denn diese aufgesplitteten Signale werden zuvor noch mit Ihren Erfahrungen und Emotionen verknüpft. Was bedeutet, dass etwa das Gesicht Ihrer Freundin, das Sie sehen, ein anderes ist als das, das ich sehe.

Ein „echtes Bild“ wäre also eines, das in mir genau dieselbe Wahrnehmung entstehen lässt, die die reale Szene, die es wiedergibt, beinhaltet.

(Kleine Einschränkung: ich habe gerade in einem Buch des Physikers Carlo Rovelli über Quantenmechanik einen interessanten Ansatz der visuellen Wahrnehmung nach dem Top-down-Prinzip gelesen, das eine andere Beschreibung des Sehens nahelegen würde. Ich lese gerade ein paar weitere Texte dazu und werde das irgendwann demnächst wieder aufgreifen.)

Nun hat unser Leser Jakob Stolz meinen Text folgendermaßen kommentiert: „Mal kurz: Vilém Flusser hat in meiner Gedankenwelt den Begriff der technischen Bilder eingeführt („Ins Universum der technischen Bilder“).

Es gibt durchaus „echte“ Bilder, die sicher immer nur eine gerasterte, durch Auflösung bestimmte 2dimensionale Repräsentationen ihres Sujets sind; dennoch geht die Entwicklung stetig weiter, auch das 3dimensionale Ab-Bild z.B. die Punktwolke mit Farbwertinformationen ist heutzutage im alltäglichen Gebrauch, vieler Anwender angekommen. Das technische Bild, z.B. bildgebende Verfahren in der Medizin, sind deswegen im evidenzbasierenden wissenschaftlichen Sinne echt, da sie reproduzierbar sind und die Bedingungen klar definiert sind. Die Frage nach dem „echten“ Bild ist nicht mehr die Frage nach Autorentum; es ist eine Wiedergabe von von Sensoren in bestimmter Auflösung aufgenommenen Signalen in 2 oder 3d. Könnte man eine Photographie (Sensorbild) aufnehmen, die als Auflösungsraster die Planksche Länge hätte, wäre das Ab-bild so echt wie die Realität selbst; natürlich nur hypothetisch.
Die „Echtheit“ von Bildern kennt viele Möglichkeiten, klar die Photographie in dem Sinne mit „Licht zu schreiben“ ruft die Debatte immer schnell auf; und ja, ich finde, ein Bild kann sehr echt sein; wenn der Autor sich zurücknimmt und z.B. nur die reine, interpretierbare, Sensorinformation z.B. als *.raw teilt; so wie ein Abzug eines analogen Röntgengerätes verdammt echt ist; wenn man es eben nur als Sensor, Detektor, z.B. Gravitationswellendetektor benutzt. Das Bild ist so echt, wie sein Informationsgehalt darstellen kann; die Sensoren dazu ausgelegt, Wellen, Teilchen, das faszinierende Photon (in seinem Dualismus) in Signale umzusetzen die unsere Maschinen und am Ende wir interpretieren können.“

* * * * *

Dazu ein paar Anmerkungen: Die Texte von Flusser zu technischen Bildern habe auch ich gelesen – ich muss allerdings zugeben, dass sie mir sehr wenig gebracht haben.

Da Herr Stolz von Auflösung usw. schreibt, kann er nicht das Bild (als Erscheinung) meinen, sondern nur den Bildträger. Und er meint, ein „echtes Bild“ käme als Grenzfall dann zustande, wenn seine Auflösung so hoch sei wie die der Wirklichkeit selbst. Nehmen wir mal als Gedankenexperiment an, es gäbe eine solche Auflösung – wie fein müsste die dann sein? Herr Stolz schlägt als Grenzfall die Planck-Länge vor. Die ist nun wirklich sehr, sehr klein, aber bei einem Gedankenexperiment soll uns nicht stören, dass wir hier verdammt viel Information speichern müssten.

Diese Planck-Länge ist 1,616 x 10 hoch minus 35 Meter lang. Der „Durchmesser“ eines Wasserstroff-Atoms ist vergleichsweise riesig und beträgt 10 hoch minus 10 Meter. Das bedeutet, dass wir 10 hoch 25 Planck-Einheiten nebeneinanderlegen müssten, um ein einziges Wasserstoff-Atom zu messen, oder in Worten: zehn Trillionen. Größere Atome haben einen etwa fünffachen Durchmesser, Moleküle entsprechend mehr. Diese zehn Trillionen können wir uns also bei der Auflösung schon mal sparen, wenn wir auf einem Bild gerade noch die Atome erkennen wollen.

Allerdings stellt sich dann schnell die Frage, wie wir denn diese Atome überhaupt „erkennen“, denn sehen können wir sie nicht. Wieso? Wenn ein Wasserstoff-Atom einen „Durchmesser“ von 0,1 Nanometer hat, ist das ganz grob 6000 mal kleiner als die Wellenlänge des mittleren sichtbaren Lichtes. Man kann daher Atome oder Moleküle nicht anleuchten, weswegen man sie unter optischen Mikroskopen nicht sehen kann – die Wellenlänge ist einfach zu groß. Das ist, auf einen anderen Bereich übertragen, etwa so, als wollten Sie Sandkörner (Durchmesser circa 0,2 mm) mit einem Sieb einfangen, dessen Maschen etwa einen Meter groß sind. Bedeutet das nun, dass für ein sehr genaues Bild ein Bildträger ausreicht, dessen kleinste Elemente etwa 600 Nanometer groß sind?

Keineswegs. Wir können diesen Prozess einfach aufgrund unserer Alltagserfahrung im Rahmen der Newtonschen Optik erklären und brauchen keine Atome und schon gar keine Quantenphänomene. Das einfache Phänomen der Lichtbeugung reicht als Erklärung aus, das man schon bei einer Lochkamera leicht erkennen kann.

Illustration aus dem Band „Perspektive“ von Doc Baumann aus der Photoshop-Enzyklopädie

Kehren wir noch einmal zu der Konstruktion der Sehpyramide zurück. Endpunkt (oder Anfangspunkt, je nachdem) ist die Netzhaut des Auges. Je nach Größe des Bild(träger)s entspricht der vertikale Schnitt durch diese Sehpyramide, der näher oder weiter vom Auge entfernt vorgenommen wird, dem Bild. In der Regel geht man davon aus, dass diese Sichtentfernung etwa der Diagonalen des Bildträgers entspricht. Schauen Sie sich etwa eine Pflanze an, die 20 Meter von Ihnen entfernt steht, erkennen Sie ja nach individueller Sehkraft und Sehschärfe die ungefähre Form der Blätter; gehen Sie auf zwei Meter heran, sehen Sie Details, die Ihnen zuvor verborgen geblieben sind. Bei 20 Zentimetern sind es noch mehr. Bei zwei Zentimetern dagegen sehen Sie das Blatt nur noch unscharf und nicht etwa mehr Einzelheiten.

Hinzu kommt, dass es sich bei jeder der beschriebenen Beobachtungen um ein neues Bild handelt, nicht bloß um vergrößerte Ausschnitte des ersten Bildes. Denn die Sehpyramide wird von Schritt zu Schritt kürzer, das Auge rückt dichter an das Objekt, und der Schnitt durch die Pyramide ergibt eine immer kleinere Fläche. Sie könnten nun noch Hilfsmittel einsetzen wie eine Lupe oder ein Mikroskop, aber das Ergebnis hätte mit Ihrer normalen Betrachtung eines Objekts nichts mehr zu tun. Wir brauchen also für ein „echtes“ Bild einer Szene keine gewaltige Auflösung in der Größenordnung von Atomdurchmessern oder gar Planck-Längen – eine gute Digitalkamera reicht für diesen Zweck völlig aus. (Von daher war übrigens mein Vergleich zwischen Kameraauflösung und der „Auflösungsfähigkeit“ der menschlichen Netzhaut im genannten Beitrag missverständlich; siehe dazu auch den Beitrag von Michael J. Hußmann unter https://www.docma.info/blog/wie-viele-megapixel-hat-das-menschliche-auge .

Ein hochauflösend ausgedrucktes Foto einer solchen Kamera, in angemessener Entfernung betrachtet, also unter demselben Sehwinkel, vermittelt uns ungefähr denselben Seheindruck wie das Anschauen des Abgebildeten selbst.

Nun könnte es noch einen Einwand geben: Was ist denn mit den sogenannten Gigapixel-Bildern, in die man – fast – endlos hineinzoomen und immer neue Details entdecken kann? Nehmen wir den Start-Bildschirm von Google Earth. Da sehen wir die Erde als Kugel aus 11000 km Entfernung. Meinen Garten kann ich gut aus einer Höhe von 100 Metern identifizieren, den Baum dort sehe ich dann als grünen Klecks, noch näher dran überwiegen die Artefakte. Aber theoretisch spräche nichts dagegen, diese Auflösung zu erhöhen, bis ich die einzelnen Blätter an den Bäumen erkenne, die Blattadern, die Zellen, den Zellkern … (abgesehen von der zusätzlichen Problematik, dann jeden Monat neue Bilder generieren zu müssen, der Jahreszeit entsprechend).

Natürlich ist das theoretisch möglich, ebenso, wie die oben erwähnten Mikroskopaufnahmen möglich wären. Nur hat das dann eben mit einem Bild herkömmlicher Definition, so wie wir es kennen, nichts mehr zu tun, sondern das ist eine technische Neuerung, die fließende Kombination vieler Bilder.

In vielen Bereichen, etwa „Fotos“ von Weltraumteleskopen oder Atomgittern, werden die Daten zur nachvollziehbaren Visualisierung in Wellenlängen „übersetzt“, die für uns erkennbar sind – was aber nicht bedeutet, dass schwarze Löcher, Magnetfelder oder Atome so „aussehen“ wie auf diesen Bildern.

Oder um es an einem anderen Kunstbereich deutlich zu machen: Um zu verstehen, wie wir ein Musikstück hören (und genießen), reicht es aus, etwas über Schallwellen zu wissen – es bringt keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, wenn wir nachforschen, wie einzelne Luft-Moleküle aneinanderstoßen und ihren Impuls an die benachbarten Teilchen übertragen.

 

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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4 Kommentare

  1. Die Sinne von Lebewesen sind dafür eingerichtet, das Überleben im weitesten Sinne zu gewährleisten. Ohne auf die unzähligen Details des Artikels einzugehen kann man das mit dem Abspann recht gut aufdröseln:
    >>>Oder um es an einem anderen Kunstbereich deutlich zu machen: Um zu verstehen, wie wir ein Musikstück hören (und genießen), reicht es aus, etwas über Schallwellen zu wissen – es bringt keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, wenn wir nachforschen, wie einzelne Luft-Moleküle aneinanderstoßen und ihren Impuls an die benachbarten Teilchen übertragen.<<<
    Diese Detailkenntnis der physikalischen, technischen und physiologischen Vorgänge bringt keinen Schritt weiter im Verstehen, warum das Hirn ein Musikstück überhaupt als Genuss empfinden kann.
    Zwischen der messbaren Erkenntnis und der geistigen Erkenntnis klafft eine Lücke, zwischen beiden gibt es IMO keine noch so kleine Verbindung.
    Das in einem früheren Blog erwähnte Zitat ist in seiner Schlichtheit banal, weil es eine Binsenweisheit als großartige Erkenntnis formuliert, zumindest vermittelt der Blog diesen Eindruck. Doch ist die Wissenschaft sehr weit davon entfernt, eine Erklärung für diese Binsenweisheit liefern zu können.
    Die Wissenschaft beschreibt Vorgänge, verwirft oder verfeinert diese. Viele davon können im Alltag, in der Wirtschaft, in Produkten Anwendungen finden, doch echte Erkenntnis ist kaum zu finden.
    Vieles oder alles basiert auf Mathematik, die Mathematik bringt unterschiedliche Beweisverfahren. Allerdings basiert die Mathematik auf Axiomen, also auf Grundsätzen, die weder begründet noch deduktiv abgeleitet werden müssen.
    Die Physik schafft mit ihren Erklärungen z.B. eine einigermaßen gute Berechnung einer Reise zu einem anderen Planeten im Sonnensystem, doch über 70% bis 90% der Materie und Energie weiß sie nichts, nennt sie dunkle Energie und dunkle Materie. Erinnert sehr an den "Äther" vor ein paar hundert Jahren.
    Worauf Menschen achten und was ihnen gefällt hängt sehr vom Zeitgeist ab. Vor vielleicht 50 Jahren waren Jacken mit aufgenähten Flicken an den Ellbogen modern, seit unglaublich 40 Jahren halten sich zerrissene Hosen mehr oder wenige ständig in der Mode. Nicht nur Ohrringe, sondern alle möglichen Metallteile durch unterschiedliche Körperteile gesteckt gefallen, und ann noch Unterhautfarbapplikationen.
    Das DOCMA-Cover als Rorschach-Test zu bezeichnen ist wohl die beste Einordnung.
    Was verschiedene Menschen in einer Situation, eben auch beim Betrachten eines Bilds, wahrnehmen ist die Sache des Hirns. Das bestimmt auch, welche Teile in den Vodergrund gerückt werden und stellt Assoziationen her. Im eigenen Gehirn. Es wird auch berichtet, welch unterschiedliche Aussagen Zeugen eines Geschehens bei der Befragung durch die Polizei machen.
    Also hat der Mensch von Samsung doch eine bahnbrechende Erkenntnis der staunenden Menschheit kundgetan und sollte mindesten des nächsten Nobelpreis für Binsenweisheiten erhalten.

  2. Mir scheint es von vornherein irregeleitet, die Echtheit eines Bildes von dessen Auflösung abhängig zu machen. Jede Definition von „Bild“ muss ja davon ausgehen, dass es sich eben um ein Abbild der realen oder einer vorstellbaren Welt handelt, und nicht um die Welt selbst. Das Bild ist nie die Wirklichkeit, so wie die Karte niemals das kartierte Gebiet ist.

    Wenn der Samsung-Manager von „echten Bildern“ redet, meint er vermutlich „echte Fotos“, denn in der bildenden Kunst hatte man ja immer schon die Freiheit, eine Welt zu zeigen, die möglich, vorstellbar und vielleicht auch wünschenswert sein mag, die der Künstler aber nicht so gesehen hatte. Als van Gogh seine „Sternennacht“ malte, bildete er eine reale Landschaft ab, aber die Kirche stand nicht wirklich neben der Zypresse, wo er sie für seine Bildkomposition brauchte. Der Mond hatte in dieser Nacht nicht die Form einer Sichel, wie von van Gogh gemalt, sondern war ein abnehmender Halbmond, eine bei Künstlern aus ästhetischen Gründen eher unbeliebte Mondphase – sie bevorzugen neben dem Vollmond eine Mondsichel und akzeptieren ansonsten höchstens noch einen exakten Halbmond. Die wirbelnden Galaxien hatte van Gogh vielleicht in Flammarions zehn Jahre vorher erschienener „L’astronomie Populaire“ gesehen, aber nicht mit eigenen Augen am Himmel. Trotzdem ist „Sternennacht“ zweifellos ein Bild, als Bildträger, der im New Yorker Museum of Modern Art zu sehen ist, wie auch als von vielen Millionen Menschen – überwiegend in Gestalt von Reproduktionen, also Kopien des ursprünglichen Bildträgers – betrachtetes Bild.

    Auf eine möglichst detailgenaue Wiedergabe einer Realität kommt es in der bildenden Kunst nicht generell an. Man kann einen Maler für die penible Detailgenauigkeit seiner Bilder bewundern, aber auch ganz im Gegenteil für die Ökonomie der Mittel, die er einsetzt (siehe https://www.docma.info/blog/buchtipp-a-history-of-pictures, wo ich kürzlich auf David Hockneys Position dazu eingegangen bin). Manchmal genügen wenige Pinselstriche, um etwas auf den Punkt zu bringen.

    Wenn es nun allerdings um die Fotografie geht, so existiert ein mathematisch fassbarer Zusammenhang zwischen einer abgebildeten dreidimensionalen (oder vierdimensionalen, wenn man die Belichtungszeit berücksichtigt) Realität und dem zweidimensionalen Foto. Abgesehen davon, dass das Foto eben nicht die Wirklichkeit ist, ist seine Auflösung durch die nie ganz vermeidbaren Abbildungsfehler des Objektivs, die Zahl der Pixel und den Dynamikumfang des Sensors beschränkt, aber nichts davon ändert etwas an seinem Charakter als Foto. Dass ein Foto ab einer bestimmten Vergrößerung keine weiteren Motivdetails, sondern nur noch die Struktur des Bildträgers immer feiner aufgelöst zeigt (in Antonionis „Blow Up“ sehr schön zu sehen), macht es nicht weniger echt. Trotz all dieser Beschränkungen könnte man die Beziehung zwischen Realität und Foto immer noch in die Gestalt einer – extrem komplexen – mathematischen Formel bringen, in der die Gesetze der (Zentral-) Perspektive nur das Grundgerüst bilden.

    Wenn ein Samsung-Smartphone in den Sensordaten etwas erkennt, das ein in einer Handvoll Pixel unscharf aufgelöstes Bild des Mondes sein könnte, und an seiner Stelle ein für solche Situationen vorrätig gehaltenes, hochaufgelöstes Mondfoto einfügt, dann besteht dieser mathematische Zusammenhang nicht mehr. In diesem Sinne ist das so erzeugte Bild kein echtes Foto mehr, auch wenn es den Smartphone-Fotografen erfreut und seine Absicht befriedigt. Dagegen ist es ein echtes Bild, so wie ja auch van Goghs „Sternennacht“ ein echtes Bild ist, obwohl der Künstler einen Mond gemalt hat, dessen Gestalt von dem Mond abweicht, den er damals am Himmel gesehen hatte.

  3. Guten Abend Herr Baumann,

    als erstes finde ich es sehr schade das Sie mit Flusser nicht so viel anfangen können; Ich bin sehr froh das ich damals an der Uni auf ihn aufmerksam wurde, da seine Texte für mich voller Inspiration sind, die Welt so verstehen zu wollen, wie sie be-schreibbar ist; Ich finde es super das Ihr Artikel mit einer visuellen Zusammemfassung des Textes inform eines Ki-generierten Bildes anfängt; ohne es zu wollen (aber wer weiß das schon) unterstreichen Sie damit das was Herrn Flusser für mich so interessant macht. Die Abfolge Schrift(Zeichen)->Bild und der umkehrschluss Bild->Schrift(Zeichen); im Endeffekt das was in unserem Gehirn passiert und durch die Ki’s mittlerweile so wunderbar visualisiert wird; Assoziationen lassen Bilder in unserem Kopf entstehen, nicht nur der Seh-Reiz, auch das Gehör , bei darauf trainierten Blinden etwa die Laufzeitunterschiede durch Orale Klick-Laute, lassen eine Vorstellung, eine Imag-ination, ein ver-bildlich-ung eines 3dimensionalen Raumes, eingebetet in der Stetigkeit der Zeit, entstehen. Was ist dieses Gehörte Bild also? Der von geburt an Blinde kennt keine Perspektive im eigentlichen Sinne, sein Gehirn erzeugt jedoch ein Mapping von Einzelpunkten, in räumlicher Abhängikeit, Relation zu einander; Er erschafft sozusagen eine Punktwolke in seiner Vorstellung, eine Representation der zumindest räumlichen Realität; Ihr Ki Bild erklärt genau das, wie es ist, ein ultra hoch aufgelöstes Bild eines Bildträgers, eines Mediums aka Informationsträgers, kann natürlich nur den Bildträger ansich immer weiter auflösen; aber es kommt eben auch darauf an welche Art von Detektoren, welche Arten von Signalen einfangen und in welchem Trägermaterial, Medium, diese gespeichert werden; Wir benutzen als Zeichen hauptsächlich an und aus, o und 1, also ein recht grobes, wert diskretes raster; vielleicht entwickeln sich ja medien die mehr drauf haben? Mehrere Zustände speichern können? Ähhhm mehr fällt mir dazu grade nicht ein, ich muss jetzt auch heim und hab hunger… servus!

    1. „Wir benutzen als Zeichen hauptsächlich an und aus, o und 1, also ein recht grobes, wert diskretes raster; vielleicht entwickeln sich ja medien die mehr drauf haben?“

      Auch ein diskretes Raster kann beliebig fein sein, und wie uns die Quantenphysik lehrt, gibt es gar keine kontinuierlichen Werte – alle Größen sind quantisiert und daher diskret. Davon abgesehen ließen sich mit nur zwei Werten, also 0 und 1, selbst kontinuierliche Werte beliebig genau angeben. Ein drei- oder mehrwertiges System fügte dem nichts hinzu.

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