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Warum kennt Lightroom keine Ebenen?

Lightroom Classic CC bekommt immer wieder neue Features, aber gerade das Feature, das ich mir schon länger wünsche, wird stattdessen von Adobes Mitbewerber Phase One perfektioniert: Ebenen. Warum scheut Adobe davor zurück, dieses zentrale Feature von Photoshop auch für die Raw-Entwicklung zu nutzen? Ich hätte da einen Vorschlag …

Sicher ist es wohlfeil, nach neuen Features zu rufen. Man muss sie ja nicht selbst implementieren. Die Gefahr ist auch groß, dass eine Anwendung, die alle Wünsche ihrer Anwender erfüllt, am Ende unbenutzbar wäre, weil sich niemand mehr in der dazu nötigen, höchst komplexen Benutzerschnittstelle zurecht fände. Ich behaupte aber, dass man Lightroom durch die Einführung von Ebenen im Entwicklungsmodul nicht nur mächtiger machen würde, sondern gleichzeitig vereinfachen könnte.

Warum kennt Lightroom keine Ebenen?
Die neuen Bereichsmasken in Lightroom Classic CC sind höchst praktisch, aber führt der hier beschrittene Weg in die Zukunft?

Über dieses Thema hatte ich letztes Jahr schon mit einem Adobe-Verantwortlichen gesprochen, und die neuen, mit LR Classic CC eingeführten »Bereichsmasken« machten es für mich nur noch deutlicher, dass Lightroom ein Ebenen-Konzept fehlt. Die lokalen Anpassungen sind ja schon fast eine Art Einstellungsebenen mit Masken, aber eben nur fast. Die mit dem Pinsel, dem Radial-Filter und dem Verlaufsfilter anwendbaren Effekte bleiben beschränkt; die HSL-Regler und die Gradationskurve fehlen und für andere Einstellungen stehen nicht alle Feinheiten bereit, indem etwa die Rauschunterdrückung von einem statt sechs Reglern gesteuert wird. Aber je mehr Funktionen Adobe hier einbaut, desto komplexer wird die Bedienung, und der Weg, im Zweifelsfall noch ein paar Regler hinzuzufügen, führt auf lange Sicht in eine Sackgasse.

Mit dem neuen Lightroom CC hat Adobe versucht, die Schnittstelle zu vereinfachen, und der Preis dafür ist der Verlust eines Großteils der Features, die die Classic-Version auszeichnen und auf die kaum jemand verzichten möchte. Viele Funktionen und einfache Bedienbarkeit stehen oft im Widerspruch zueinander, und es muss darum gehen, beides zu vereinbaren und dem Anwender möglichst viele Features mit einem möglichst einfach strukturierten Interface zu erschließen.

Viele Lightroom-Anwender wünschen sich die eine oder andere Photoshop-Funktion, aber das bedeutet keineswegs, dass Lightroom und Photoshop zu einem Produkt verschmelzen sollten. Wer mit Photoshop zu arbeiten gewohnt ist – etwa für Montagen, die ja dessen Domäne sind –, wird vermutlich ohnehin den Weg über Camera Raw beschreiten und gleich in Photoshop arbeiten, oder einen zweigeteilten Workflow verwenden und nach einer vorbereitenden Entwicklung in Lightroom zu Photoshop wechseln. Umgekehrt wollen Fotografen, die mit Photoshop fremdeln und sich deshalb mehr Features für Lightroom wünschen, ja gerade kein Photoshop in Lightroom.

Mein Vorschlag für die Lightroom-Weiterentwicklung beruht nun darauf, die lokalen Anpassungen in ihrer aktuellen Form abzuschaffen und dafür Ebenen mit Masken hinzuzufügen, und zwar in einer Photoshop-kompatiblen, aber auf die Belange der Raw-Entwicklung zugeschnittenen Form.

In Lightroom gibt es ja schon lange die Möglichkeit, virtuelle Kopien einer Raw-Datei anzulegen, die sich dann unabhängig voneinander entwickeln lassen. Für jede virtuelle Kopie steht der vollständige Funktionsumfang von Lightroom zur Verfügung. Stellen Sie sich nun vor, Sie könnten virtuelle Kopien als Ebenen übereinander stapeln und miteinander verrechnen. Wiederum wäre in jeder Ebene das vollständige Instrumentarium von Lightroom verfügbar, also ohne die Einschränkungen, die es bisher für die lokalen Anpassungen gibt. Jede Ebene hätte einen wählbaren Mischmodus und einen Regler für die Deckkraft, also so, wie man es von Photoshop oder auch anderen Bildbearbeitungsprogrammen her kennt. Das allein würde die Möglichkeiten bereits deutlich erweitern.

Die Ebenen hätten jeweils eine Maske, mit der sich deren Einfluss auf einzelne Bildteile beschränken lässt. Hier könnte Adobe wieder Funktionen vorsehen, die Pinsel, Radial-Filter und Verlaufsfilter entsprechen, aber auch bewährte Funktionen aus Photoshop übernehmen, etwa um Kanten von Masken zu verbessern – die Technologien und der Programmcode sind ja bereits vorhanden. Allerdings muss hier nicht der Funktionsumfang von Photoshop dupliziert werden; schon mit begrenzten Mitteln könnte man lokale Anpassungen auf einer solchen Basis mächtiger, aber trotzdem einfach anwendbar machen. Man wird dafür keine Schnittmasken oder eine Gruppierung von Ebenen brauchen. Es wäre aber möglich, das Ergebnis einer Raw-Entwicklung auf mehreren Ebenen als PSD-Datei an Photoshop (oder eine andere Anwendung, die PSD-Dateien öffnen kann) zu übergeben und die Ebenen und Masken dort weiter zu verfeinern – für alle, die so etwas wünschen.

Für den Anwender bedeutet mein Vorschlag, dass einerseits die lokalen Anpassungen in ihrer aktuellen Form wegfallen, andererseits aber eine (relativ einfache) Ebenenverwaltung hinzu kommt. Insgesamt gäbe es danach weniger Bedienelemente als jetzt, obwohl der Funktionsumfang und die Möglichkeiten der Bildbearbeitung erweitert wären. Man könnte einwenden, dass zusätzliche Ebenen den Rechenaufwand vergrößern und die Reaktion auf Einstellungsänderungen verlangsamen würden. Das ist richtig, gilt aber genauso für dis bisher bekannten lokalen Anpassungen. Wer die erweiterten Features dagegen nicht nutzt, zahlt auch nicht den Preis dafür. Und nicht zu vergessen: Adobe verfügt über eine Menge Erfahrungen, die bei umfangreichen Ebenenstapeln aufwendigen Bildberechnungen sehr effizient auszuführen.

Warum kennt Lightroom keine Ebenen?
Wie praktisch ein Ebenenkonzept in der Raw-Entwicklung sein kann, führt aktuell Phase One mit Capture One 11 vor. (Bild: Phase One)

Warum kennt Lightroom keine Ebenen? Wie nützlich ein Ebenenkonzept ist, kann man beim neuen Capture One 11 erleben. Warum sollte Adobe das nicht ebenso gut und besser realisieren können? Und am Nikolaustag wird man ja wohl noch Wünsche äußern dürfen …

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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