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Sensorgeflüster: Neues vom globalen elektronischen Verschluss

Seit Jahren soll seine Einführung vor der Tür stehen: der globale elektronische Verschluss, mit dem eine Kamera lautlos und vibrationslos auslösen kann, ohne Artefakte zu erzeugen. Was für neue Entwicklungen vom globalen elektronischen Verschluss gibt es, die uns diesem Ziel näher bringen könnten?

So lange ich mich zurückerinnern kann, gab es in der Computerzeitschrift c’t die Rubrik „Prozessorgeflüster“, in der Andreas Stiller über Neuerungen im Prozessorbereich berichtete; vor wenigen Wochen wurde sie leider nach 34 Jahren eingestellt. Daher habe ich mir den Titel geborgt und nenne meine Artikel zu neuen Entwicklungen rund um den Bildsensor von jetzt an „Sensorgeflüster“.


Wo bleibt der globale Verschluss?


Diesmal geht es um den globalen elektronischen Verschluss („global shutter“), von dem schon lange geredet wird, ohne dass er bislang zur Marktreife gelangt ist. Kurz rekapituliert: Wenn man den mechanischen Schlitzverschluss einer Kamera durch einen elektronischen Verschluss ohne bewegliche Teile ersetzt, ist die Auslösung geräuschlos und es gibt keine schärfemindernden Vibrationen; zudem kann man extrem kurze Zeiten wie 1/16000 oder 1/32000 s wählen. Dafür entstehen bei Fotos bewegter Motive oder mit gepulsten Lichtquellen unschöne Artefakte, und eine Blitzsynchronisation mit dem elektronischen Verschluss ist gar nicht möglich. Das liegt daran, dass aktuelle CMOS-Sensoren einen Rolling Shutter verwenden, der die Sensorzeilen relativ gemächlich nacheinander von oben nach unten belichtet. Die einzelnen Pixel werden zwar nur kurz belichtet, wenn man das so will, aber bis das gesamte Bild belichtet ist, vergeht ein Vielfaches der Zeit, die ein Schlitzverschluss dafür benötigt.

Neues vom globalen elektronischen Verschluss
Wie dieser Vergleich zeigt, erzeugt ein Rolling Shutter bei einem Foto aus einem fahrenden Auto Artefakte (links): Sowohl die Autos auf den anderen Spuren wie auch die Häuser im Hintergrund erscheinen gekippt. Ein globaler elektronischer Verschluss vermeidet solche Fehler (rechts). Quelle: Panasonic

Abhilfe würde ein globaler Verschluss schaffen, der alle Sensorpixel gleichzeitig belichtet. Das ist auch kein Hexenwerk, denn schon vor Jahren war ein solcher globaler Verschluss bei Kompaktkameras gang und gäbe. Deren Interline-Transfer-CCDs hatten für jeden Bildpunkt je ein lichtempfindliches und ein vor Licht geschütztes Sensorpixel, das nur als Ladungsspeicher diente. Nach Ende der Belichtung verschoben alle lichtempfindlichen Pixel ihre bis dahin gesammelte elektrische Ladung in das jeweils benachbarte lichtunempfindliche Nachbarpixel, und aus diesen Ladungsspeichern konnte das Bild dann in aller Ruhe ausgelesen werden. Das funktionierte sehr gut, nur wird aufgrund der doppelten Ladungsspeicher nur die Hälfte der verfügbaren Fläche genutzt, um Licht und elektrische Ladungen zu sammeln. Im Gegensatz zu den sehr einfach aufgebauten CCDs enthalten moderne CMOS-Sensoren zusätzliche Schaltkreise und eine aufwendigere Verdrahtung, weshalb der Platz noch knapper ist; unter diesen Randbedingungen einen globalen Verschluss zu realisieren, ohne Dynamikumfang und Rauschabstand zu beeinträchtigen, ist eine Herausforderung. Es gibt zwar schon lange auch CMOS-Sensoren mit globalem Verschluss, nur erreichen diese nicht die Bildqualität, wie sie fotografische Aufgaben erfordern.

Aber geht es nicht vielleicht auch ganz anders, also ohne doppelte Ladungsspeicher? Auf der International Solid-State Circuits Conference (ISSCC) haben Panasonic und Sony dieser Tage zwei alternative Ansätze vorgestellt, einen globalen Verschluss zu verwirklichen.


Panasonics Sensor mit variablem ND-Filter


Panasonic experimentiert schon länger mit organischen lichtempfindlichen Materialien, teilweise in Kooperation mit Fuji, die sich in letzter Zeit aber mit Aussagen zu einem geplanten organischen Sensor zurückgehalten haben. Mit organisch ist hier wohlgemerkt nicht gemeint, dass der Sensor lebendig wäre, vielmehr geht es um Produkte der organischen Chemie, also um Kohlenstoffverbindungen. Genauso wie es organische Leuchtdioden (OLEDs) gibt, die aus Elektrizität Licht erzeugen, kann man organische Fotodioden für die Wandlung von Licht in Elektrizität entwickeln, und darauf basiert Panasonics (teilweise) organischer Sensor mit 36 Megapixeln: Ein organischer, lichtempfindlicher Film auf dem Chip übernimmt die Aufgabe der Fotodioden, Licht in Elektrizität zu verwandeln, während die Sensorpixel des Siliziumchips selbst nur noch der Speicherung der Elektronen dienen.

Man könnte ja denken, dass ein globaler Verschluss auch in einem klassischen Sensor ganz einfach zu verwirklichen wäre. In der Fotodiode setzen auftreffende Photonen Elektronen frei, die dann in einem Ladungsspeicher gesammelt werden. Um die Belichtung zu beenden, müsste man eigentlich nur einen elektronischen Schalter zwischen Fotodiode und Ladungsspeicher einfügen – wenn der Schalter den Fluss der Elektronen unterbricht, würden zwar weiter Elektronen freigesetzt, aber nicht mehr im Ladungsspeicher gesammelt.

Ganz so einfach funktioniert das freilich nicht, denn Fotodiode und Ladungsspeicher sind tatsächlich gar keine eigenständigen Komponenten. Schon durch ihre parasitäre Kapazität ist die Fotodiode gleichzeitig ein Ladungsspeicher, und je nach Aufbau des Sensorpixels kann sie sogar der einzige Ladungsspeicher sein. Es gibt daher gar keine Stelle, an der man den Ladungstransport mit einem Schalter unterbrechen könnte.

Neues vom globalen elektronischen Verschluss
In einem klassischen CMOS-Sensor (links) enthält der Siliziumchip sowohl die Fotodiode wie auch einen etwaigen zusätzlichen Ladungsspeicher. Panasonics neuer Sensor (rechts) verwendet einen organischen Film (OPF) für die photoelektrische Konvertierung, während der Chip darunter nur noch die erzeugten elektrischen Ladungen speichern muss. Quelle: Panasonic

Anders sieht es bei Panasonics neuem Sensordesign aus, bei dem ein lichtempfindlicher organische Film die Aufgabe der photoelektrischen Konversion übernimmt, während der Chip die Ladungen bloß speichert. Die damit gegebenen Möglichkeiten gehen aber noch weit über einen bloßen Schalter hinaus, und hier wird es wirklich pfiffig: Mit einer daran angelegten Spannung lässt sich die Quanteneffizienz und damit die Empfindlichkeit des lichtempfindlichen Films in weiten Grenzen steuern. Man kann sie auf praktisch Null reduzieren, so dass trotz Lichteinfalls gar keine Elektronen mehr erzeugt werden, und hat damit den gewünschten globalen Verschluss realisiert. Verringert man die Empfindlichkeit dagegen nur, so erhält man ein variables ND-Filter, wie man es beispielsweise für Langzeitbelichtungen bei Tageslicht braucht.

Neues vom globalen elektronischen Verschluss
Durch Anlegen einer Spannung an den organischen Film lässt sich die Quanteneffizienz der Umwandlung von Licht in Elektrizität steuern und damit ein variables ND-Filter realisieren. Quelle: Panasonic

Unter dem lichtempfindlichen Film speichert der Chip die elektrischen Ladungen, und dort steht viel Platz zur Verfügung. Ein Pixel kann rund 450ke– speichern, ein Vielfaches der Kapazität, die man bei den Sensoren in aktuellen DSLRs und spiegellosen Systemkameras findet. Panasonics Sensor lässt sich aber auch auf eine geringere Kapazität von 4,5ke– und damit eine höhere Empfindlichkeit umschalten, so dass man wahlweise den Dynamikumfang oder den Rauschabstand optimieren kann. Die Vorzüge eines umschaltbaren Conversion Gain habe ich an dieser Stelle bereits erklärt.

Wie weit dieser Sensor noch von der Marktreife entfernt ist, lässt sich schwer sagen; seine Leistungen konnten noch nicht von unabhängiger Seite überprüft werden. Die veröffentlichten Kennwerte klingen vielversprechend; lediglich die Bittiefe von 12 Bit bleibt hinter dem aktuellen Stand zurück. Die Auflösung von 36 Megapixeln ist nicht willkürlich gewählt, denn bei dieser Auflösung kann man 8K-Videoframes auslesen, ohne Sensorpixel wegzulassen oder mehrere Pixel verrechnen zu müssen. Bei einer Auslesefrequenz von 60 fps wäre der Sensor gut für eine duale Standbild- und Videokamera geeignet. Die Einsatzgebiete, von denen Panasonic bislang spricht, liegen aber eher im industriellen Bereich.


… und Sony?


Sony ist auf eine andere Methode verfallen, einen globalen Verschluss ohne doppelte Ladungsspeicher zu realisieren. Das Problem des Rolling Shutter besteht ja darin, dass die Sensorpixel nacheinander ausgelesen werden. Ein beschleunigtes Auslesen reduziert das Problem, aber um es völlig zum Verschwinden zu bringen, müsste man alle Sensorpixel gleichzeitig auslesen und digitalisieren. CMOS-Sensoren nach dem Stand der Technik enthalten bereits mehrere Tausend A/D-Wandler, je einen für jede Pixelspalte. Das gleichzeitige Auslesen aller Pixel würde dagegen Millionen von A/D-Wandlern erfordern. Die Abwärme, die diese Wandler erzeugen, könnte zu Problemen führen, denn je höher die Temperatur des Sensorchips steigt, desto höher ist das Dunkelstromrauschen. Für einen jetzt vorgestellten 1,46-Megapixel-Sensor hat Sony besonders energieeffiziente 14-Bit-Wandler entwickelt, die ein pixel-paralleles Auslesen erlauben. Der Sensor verwendet ein stacked Design mit zwei Schichten: In der oberen Siliziumschicht liegen die eigentlichen Sensorpixel, in der unteren die A/D-Wandler und die Ausleseelektronik. Rund drei Millionen Kupferleitungen verbinden die beiden Schichten.

Neues vom globalen elektronischen Verschluss
Sonys Sensor mit pixel-parallelen A/D-Wandlern besteht aus zwei Schichten: Die obere Schicht enthält die lichtempfindlichen Pixel, die untere die Wandler. Millionen von Kupferleitungen stellen die nötigen Verbindungen her. Quelle: Sony

Sonys Sensor ist noch klein (die lichtempfindliche Fläche misst etwa 11,3 x 6,2 mm) und seine Auflösung gering. Inwieweit sich ein solches Design auf die Bildgröße und Auflösung skalieren lässt, wie sie für Fotografie und Video nötig ist, bleibt abzuwarten. Die Vielzahl der verfolgten Ansätze stimmt aber hoffnungsvoll, dass die ersten Kameras mit einem globalen elektronischen Verschluss auf CMOS-Basis allenfalls wenige Jahre entfernt sind.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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