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Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“

Auf TikTok entdecken die jüngeren Generationen staunend gerade dank eines KI-Filters, was allen Fotografen klar sein sollte: Die perspektivischen Verhältnisse in einem Bild hängen ausschließlich vom Standpunkt, aber nicht von der verwendeten Brennweite ab. Das beeinflusst sowohl die Wirkung von Porträts als auch die Größenverhältnisse der Personen und Objekte im Bild zueinander.

„Face Zoom“-KI-Filter auf TikTok

Auf TikTok trendet schon längere Zeit der Filter „Face Zoom“. Wahrscheinlich, weil er den Smartphone-Usern erstmals zeigt, dass sie für andere ganz anders aussehen, als sie es von ihren Selfie-Bildern gewohnt sind.

Der TikTok-Filter Face Zoom behält das Gesicht formatfüllend  in der Mitte des Videos – und zeigt so schön, wie sich die Perspektive und damit die Darstellung des Gesichts mit sich änderndem Abstand zur Kamera verändert.  Die Brennweite bleibt dabei identisch. © jera.bean
Der TikTok-Filter Face Zoom behält das Gesicht formatfüllend in der Mitte des Videos – und zeigt so schön, wie sich die Perspektive und damit die Darstellung des Gesichts mit sich änderndem Abstand zur Kamera verändert. Die Brennweite bleibt dabei identisch. © jera.bean

In diesem Video wird das Funktionsprinzip des Filters erklärt, der per Gesichtserkennung das Gesicht formatfüllend im Fokus behält, auch wenn der User den Abstand zur Smartphone-Kamera ändert:

TUTORIAL: FACE ZOOM TREND

@jera.bean

TUTORIAL: FACE ZOOM TREND 🔎 here’s a tutorial on the face zoom challenge that uses the face zoom effect! #facezoom #facezoomtrend #facezoomchallenge #facezooming #trendtutorial #trendtutorial2022

♬ оригинальный звук – rinaskrgn

Ein Selfie nimmt man prinzipbedingt aus geringer Entfernung auf, also aus bis zu einer Armlänge Abstand. Dadurch kommt es zu eigentlich grotesken Verzerrungen des Gesichts: Die der Kamera am nächsten liegende Nase wird sehr groß dargestellt, während die Gesichtsränder bereits perspektivisch verkürzt werden. Viele kennen sich nur noch aus solchen Nahansichten. Also aus der Selfie-Darstellung und dem eigenen, nahen Spiegelbild (hinzu kommt noch die gespiegelte Wahrnehmung, aber das ist ein anderes, interessantes Thema). Das ist einer der Gründe, warum sich viele auf Fotos oder Videos anderer hässlich finden – dort sieht man sich genauso, wie andere einen sehen.

Aber deutlich wird durch diesen Filter eines: Die Brennweite hat mit der Perspektive und den daraus resultierenden Proportionen nichts zu tun. Nur der Abstand zwischen Kamera und Motiv zählt. Das hatte ich im Premium-Workshop von DOCMA 61 – neben allen bildbearbeitungsrelevanten Perspektivbezügen – bereits thematisiert:

Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“

Den Artikel können Sie übrigens hier für einen Appel und ein Ei als E-Paper herunterladen: Perspektive im Griff (3,49 Euro inkl. MwSt.). (Randnotiz: Als ich den Artikel schrieb, hatte ich noch große Hoffnungen in Photoshops 3D-Funktionen gesetzt, wie Sie auf Seite 9 und 10 des Workshops bemerken werden. Leider sind die 3D-Funktionen von Adobe inzwischen abgekündigt worden.)

„Ja, aber“ – ein Foto-Experiment.

Immer, wenn es um Perspektive in der Fotografie geht, kommt dann häufig doch immer noch ein „Ja, aber …“ um die Ecke: „Ja, aber ich habe doch bei einem Weitwinkelobjektiv einen ganz anderen Bildeindruck als mit einem Teleobjektiv!“

Und wenn man das einmal ausprobiert, dann stimmt das scheinbar.

Bei diesem Weitwinkel-Foto ist der Wasserfall-Felsen winzig, wenn man ihn mit der netten Frau im Vordergrund vergleicht:

Weitwinkel-Foto. © Olaf Giermann. Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“
Weitwinkel-Foto. © Olaf Giermann

Aber so winzig ist der Felsen gar nicht, wenn man sich einmal danebenstellt, wie in diesem Tele-Foto:

Tele-Foto. © Olaf Giermann. Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“
Tele-Foto. © Olaf Giermann

Dabei habe ich beide Fotos von der derselben Position aus mit dem Smartphone aufgenommen – einmal mit einem Weitwinkel und einmal mit einer Normalbrennweite! Stimmt also alles zuvor Gesagte gar nicht?

Doch! (Ein schönes deutsches Wort, nicht wahr?). 😉

Zwei Dinge haben sich zwischen den Fotos verändert: Zum einen der Bildausschnitt und zum anderen die Position der Person. Tatsächlich ändert sich mit der Brennweite hauptsächlich der Bildwinkel. Alles, was man auf dem Tele-Foto sieht, ist auch auf dem Weitwinkel-Foto enthalten. Würde meine Begleitung im Weitwinkel-Foto also am Felsen stehen, würde sie genauso winzig wirken. Eine Ausschnittsvergrößerung würde exakt dasselbe Bild ergeben – nur halt mit einer miserablen Auflösung. Genau diesen Effekt sehen Sie übrigens auch sehr schön bei dem „Face Zoom“-TikTok-Filter: Die Auflösung des Bildes wird mit größerem Abstand des Gesichts immer schlechter. Da wird eben ein Ausschnitt auf Bildschirmgröße gezoomt.

„Das ist doch gephotoshopped!“

Auf Social Media wird ja gern diskutiert. Und manches Foto wirkt eben so unglaublich, dass man es erst einmal für Manipulation hält. So auch das hier mit dem zugehörigen Text „Der Moment, wenn du feststellst, dass das EIN Foto ist …“, bei dem auch ich zuerst dachte, es wären zwei Fotos.

Und dann hagelt es zahlreiche Kommentare wie „Das ist doch gephotoshopped!“. Verständlich. Ich habe auch direkt ins Bild gezoomt, um verräterische Anzeichen für eine Montage zu suchen. Denn die kleinen Häuschen und Menschlein im Vordergrund können doch nicht zu dem riesigen Schiff passen, oder?

Das Schiff wirkt riesig vor der kleinen Siedlung. Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“
Das Schiff wirkt riesig vor der kleinen Siedlung.

Doch tatsächlich ist das Foto keine Montage. Der Frachter „Pasha Bulker“ (Wikipedia) lief während eines schweren Sturms am 8. Juni 2007 am Nobbys Beach in Newcastle, New South Wales, Australien auf Grund.

Im noch immer durch die sozialen Medien rotierenden Foto kommt die unglaubliche Wirkung primär durch zwei Faktoren zustande: Erstens sind solche Frachter wirklich riesig. Wer die bisher nur von Weitem gesehen hat, kann das nicht im Ansatz erahnen. Zweitens wurde das Foto aus großer Entfernung mit einem Teleobjektiv aufgenommen. Anders als bei einer Aufnahme aus der Nähe rücken die Objekte scheinbar zusammen und so wirkt die Entfernung zwischen Strand und Häusern noch viel kleiner, als sie tatsächlich schon war.

Mehr Fotos von diesem Zwischenfall finden Sie zum Beispiel hier bei Getty Images.

Perspektivische Bildwirkung extrem – per KI-Filter, Foto-Experiment und Social-Media-Posts und „Fußzoom“

Fußzoom?

Übrigens: Da die perspektivischen Proportionen ausschließlich von der Entfernung zwischen Kamera und den abgebildeten Objekten abhängt, kann es so etwas wie einen „Fußzoom“ nicht geben. Denn durch Laufen zoomen Sie nicht in ein Bild hinein oder ändern also nicht den Ausschnitt, sondern Sie verändern die Perspektive. Das hat den Vorteil, dass man nicht – wie es Fotografie-Einsteiger mit einem Zoomobjektiv gern tun –, dasselbe Motiv vom gleichen Ort aus bloß in verschiedenen Abbildungsgrößen fotografiert, sondern es aus unterschiedlichen Perspektiven erkundet. Insofern ist der Tipp, den „Fußzoom“ zu benutzen, richtig nützlich. Nur, das Foto mit dem gestrandeten Schiff oben hätte man damit nicht machen können.

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Olaf Giermann

Olaf Giermann gilt heute mit 20 Jahren Photoshop-Erfahrung sprichwörtlich als das »Photoshop-Lexikon« im deutschsprachigen Raum und teilt sein Wissen in DOCMA, in Video­kursen und in Seminaren.

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