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In der falschen Ecke

In der falschen Ecke
In der falschen Ecke – die schöne Spitze des Kasseler Obelisken, dessen Form insgesamt Doc Baumann formal-ästhetisch unbefriedigend findet. / Foto: Doc Baumann

Es kann leicht passieren, dass man mit einer Meinungsäußerung plötzlich in der falschen Ecke steht – oder jedenfalls zu stehen scheint. So erging es Doc Baumann vor wenigen Tagen, als er sich in einer öffentlichen Diskussion skeptisch über ein Kunstobjekt äußerte, das nach der letzten documenta-Ausstellung eventuell in Kassel verbleiben soll. Der Beifall für seine Kritik kam aus einer unerwünschten Richtung – ausgerechnet von der AfD.

Den von Olu Oguibe für die documenta geschaffenen Obelisken fand ich ehrlich gesagt schon ästhetisch gründlich misslungen, als ich ihn im letzten Jahr zum ersten Mal aus der Ferne auf dem Kasseler Königsplatz stehen sah. Egal, was der Künstler damit ausdrücken will: Sein Objekt ist ein bewusstes Zitat antiker Obelisken. Und die weisen alle eine deutliche Abgrenzung zwischen Sockel und eigentlichem Obelisken auf (sofern sie sich nicht im Urzustand sockellos über ihre komplette Länge konisch nach oben verjüngen).

Ein Möchtegern-Obelisk jedoch, der auf einem kubischen Sockel steht, der ein Drittel seiner Gesamthöhe ausmacht, und der von diesem Sockel durch keine deutlich herausgearbeitete Zone abgrenzt ist, sondern im Erscheinungsbild einfach abknickt und dann nach oben spitz zusammenläuft – ein solches Objekt ist nach meinem Urteil (als Kunstwissenschaftler) formal höchst unbefriedigend. Schön finde ich dagegen seine verspiegelte Spitze, die unmittelbar an die Funktionalität altägyptischer Obelisken anknüpft, mit ihrem Bezug zum Licht des Sonnengotts.

Gegen diese Kritik könnte man einwenden, das sei eine Minderheitsmeinung, und allein die Tatsache, dass dieses Objekt 2017 mit dem Arnold-Bode-Kunstpreis ausgezeichnet worden sei, zeige doch, dass er von Fachleuten hoch geschätzt werde. Meinetwegen … für mich bestätigt diese Preisverleihung nur meine Einschätzung des aktuellen Kunstbetriebs. Wieder ein Satz, mit dem ich leicht in der falschen Ecke verortet werden kann und Beifall von unerwünschter Seite erwarten muss.


In der falschen Ecke: Der christliche Bezug


Erst, nachdem ich damals meinen ersten ästhetischen Schrecken überwunden und mich dem Obelisken weiter genähert hatte, konnte ich erkennen, dass er auf einer Seite die goldene Inschrift trägt: „Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt“; ein Satz aus dem Matthäus-Evangelium. Da auf einer weiteren Seite steht „I was a stranger and you took me in“, war zu vermuten, dass die arabische und die türkische Inschrift denselben Inhalt wiedergeben.

Das ist ein Satz, dessen Botschaft ich auch als Atheist teilen darf, und so finde ich mich auch als Ungläubiger nicht als in der falschen Ecke stehend, wenn ich das schreibe. Viel interessanter ist, dass jene, die sich in Abwehr alles Fremden stets als die Verteidiger des christlichen Abendlandes stilisieren, nun plötzlich mit einem Satz aus dem neuen Testament und seiner praktischen Umsetzung nichts mehr zu tun haben wollen.

In der falschen Ecke
Objekt der Diskussion: der Kasseler Obelisk / Foto: Doc Baumann

In der falschen Ecke: Ästhetische Kritik


Ich möchte Sie als Nicht-Kasseler nicht damit langweilen, den Hintergrund dieser Diskussion ausgiebig nachzuerzählen. Daher nur ganz kurz: Der Obelisk gehörte zum Außenprogramm der 2017er documenta. Er verblieb zunächst, auch aus technischen Gründen des Abbaus, nach Ende der Ausstellung auf einem zentralen Kasseler Platz. Die Stadt selbst wollte ihn – auch aufgrund der geforderten Ankaufsumme von 600.000 Euro – nicht erwerben. Danach gab es einen Aufruf zu einer Spendenaktion, bei der bisher etwa 115.000 Euro zusammengekommen sind. Viele Kasseler Bürger sprechen sich für einen Verbleib des Obelisken aus (in Kassel überhaupt und an seiner gegenwärtigen Stelle im Besonderen). Gegenwind kommt vor allem von der AfD, aus deren Reihen das Objekt als „ideologisch polarisierende, entstellte Kunst“ bezeichnet wurde. Nun, „ideologisch polarisierend“ kann ja durchaus fruchtbar sein – „entstellte Kunst“ ist knapp vorbei am Nazi-Jargon der „entarteten Kunst“ und mir als Kunstwissenschaftler als Terminus bisher nicht untergekommen. Eine sinnvolle Bedeutung kann ich mit den Worten nicht verknüpfen.

Wie auch immer: Angesichts der AfD-Positionen habe ich öffentlich lange die Klappe gehalten, um nicht in der falschen Ecke zu stehen. Als die Regionalzeitung dann allerdings einen Kommentar veröffentlichte, in dem es unter anderem hieß: „Die Gemeinde der Besonnenen, der Nachdenklichen, der Unaufgeregten, der Toleranten wird die Debatte verloren haben. Gewonnen haben werden jene, die tatsächlich meinen, eine künstlerische Aussage sei nach deren Materialwert zu bemessen …“, wollte ich das so nicht stehen lassen.

Lassen wir Wert und Preis mal außen vor – ein kompliziertes Thema. Aber ich hatte einfach keine Lust, mich mit meiner ablehnenden Haltung implizit bei den Unbesonnenen, Nicht-Nachdenklichen, Aufgeregten und Intoleranten einordnen zu lassen – wieder mal in der falschen Ecke.

Also schrieb ich einen Leserbrief, in dem ich mich ausdrücklich hinter die inhaltliche Aussage des Obelisken stellte, aber meine ästhetische Kritik daran erläuterte.


In der falschen Ecke: Beifall und Schweigen


Nun also die öffentliche Diskussion am 13. April 2018. Auf dem Podium nahm einer von vier Rednern eine obelisken-kritische Position ein, die anderen waren dafür. Ähnliche Mehrheiten im Publikum: Nach Wortmeldungen und Beifall zu urteilen, waren fast alle für den Verbleib des Objekts in Kassel. Außer den anwesenden AfD-Vertretern. Und mir.

Klug wäre es also gewesen, angesichts dieser Konstellation die Klappe zu halten. Klug – aber feige. Also meldete ich mich  zu Wort, erklärte, dass ich erstens auch als Atheist zur inhaltlichen Botschaft des Werkes stehen könne, mich zweitens fast ein wenig schäme, angesichts der im Saal geäußerten Kritik am Obelisken selbst eine ablehnende Position einnehmen zu müssen, es aber drittens nicht nur die zitierte Aussage, sondern auch den Anspruch als Kunstwerk gebe, welchen ich – aus den zuvor genannten formalen Gründen – kritisch betrachte.

Allgemeines Schweigen – Beifall hingegen von den anwesenden AfD-Vertretern. Ich ergänzte, auf diesen gern verzichten zu können. Das half wohl aber auch nicht weiter. Ich hatte den Eindruck, in den Augen der meisten Anwesenden nun irgendwie in der falschen Ecke zu stehen – eben in einer rechten, wo ich mich ganz gewiss nicht heimisch fühle. (Ich erinnere nur an meinen DOCMA-Blog „Rückblick auf 1968“, in dem ich erklärte, auf vieles damals Erreichte durchaus stolz zu sein.)


Stehen vielleicht viele in der falschen Ecke?


Auf dem Heimweg dachte ich dann darüber nach, dass es vielleicht vielen ähnlich geht wie mir. Ich fand es von Anfang an bedenklich und falsch, die Leute von Pegida und Co. und AfD pauschal in die Nazi-Ecke zu stellen.

Eine am Nazi-Jargon orientierte Aussage wie die über die „entstellte Kunst“ zeigt zwar zur Genüge, dass es solche Tendenzen in dieser Partei prägend gibt. Aber man darf nicht alle, die sich in ihren Vierteln nicht mehr heimisch fühlen, weil sie fast nur noch türkische oder arabische Konversation mitbekommen, gleich als Nazis abstempeln.

Man sollte vielmehr über ihre Problem und Ängste mit ihnen reden. Bemerkenswert ist doch, wie viele solche Ängste äußern, die gar nicht in einem solchen Umfeld leben. Und wie viele Bedenken aus Gründen haben, die sachlich, etwa statistisch, einfach falsch sind. Solche Annahmen kann man ja mit Argumenten korrigieren. (Sofern sich solche Leute nicht bereits in eine Blase zurückgezogen haben, in der sie alle ihren Anschauungen zuwiderlaufenden Informationen als Fake News der Lügenpresse zurückweisen.)

Ich fürchte nur, wenn man solchen Menschen – den Verunsicherten unter ihnen, nicht den stramm rechts Überzeugten – immer wieder mit der Nazi-Keule entgegentritt, dass sie irgendwann den Eindruck gewinnen: Na ja, wenn es alle sagen, muss wohl was dran sein.

 

Fazit: Meine eher harmlose Erfahrung aus dem Umfeld aktueller Kunst-Kritik steht aber nur stellvertretend für ein allgemeineres Problem. Wie geht man damit um, selbst eine sachlich begründete Kritik an diesem oder jenem zu haben, wenn eine gleichlautende (wenn auch mitunter ganz anders begründete) Kritik auch von der AfD kommt? Schweigen und die eigene Position verleugnen, weil man Angst hat, sonst in der falschen Ecke zu stehen? Diese Position dennoch vertreten, auf die Gefahr hin, faktisch eine Politik zu unterstützen, die man in allen anderen Aspekten für falsch und gefährlich hält?

Angesichts von Polarisierung und vorschnellen Urteilen ist es schwierig, den angemessenen Mittelweg zu gehen: Die eigene Position gut begründet zu vertreten und zugleich klarzumachen, dass die Gründe für diese Position nicht dieselben sind wie die mancher, die sie ebenfalls vertreten, aber mit ganz anderen Zielen. Das ist waghalsig und mitunter gar gefährlich, weil Differenzierungen im Lärm des Streites leicht untergehen. Behutsames Schweigen wäre da vielleicht klug – aber feige.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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7 Kommentare

  1. Einfach hervorragend. Allein das Editorial/DOCMATISCHES waren für mich schon 50% der Grund DOCMA zu abonnieren. Durch Beiträge, wie diesen zeigt sich, dass Hopfen und Malz doch noch nicht verloren sind.

  2. Lieber Doc Baumann, ich denke Sie haben Ihre Meinung zu dem Kunstobjekt klar geäußert und zudem sehr deutlich gemacht, welche Position sie vertreten.

    Es sollte Sie in dem Fall nicht kümmern, was Andere denken könnten! Sie sind sich selbst treu geblieben, haben den Mund aufgemacht, als Viele die möglicherweise der gleichen Meinung waren – geschwiegen haben. Es passiert leider sehr häufig, das sich Mitmenschen bemüßigt fühlen, sich der Mehrheitsmeinung anzugliedern.

    Mag in diesem Fall damit zusammenhängen, das diese sich selbst jegliches Kunstverständnis – mangels Qualifikation – versagen und daher lieber die „Klappe halten“ und mit dem Strom mitschwimmen.

  3. Ich denke, wenn man sich aus Angst vor „Applaus aus der flaschen Ecke“ bereits Gedanken macht was man konkret zu einem Sachverhalt zu sagen weiß, dann haben „Die“ schon ein Stück weit gewonnen.
    Ihre Ausführungen waren ja Kunsthistorisch und nicht ideologisch geprägt. Selbst ein „Abstecher“ in die religiöse“ oder „spirituelle“ Deutung sollte einem nicht den Mund verbieten.
    Ich denke die Leser Ihres Magazines oder auch anderer Publikationen wissen durchaus welche politische Richtung und Gesinnung Sie bevorzugen. Ein wenig Jubel aus der falschen Ecke darf da nicht stören. Eventuell kann man ja deutlich machen, wie falsch die „Falsche Ecke“ den diese Ausführungen aufgenommen hat. Diskussion ist der erste Schritt zur Lösung von Konflikten.

    1. Ja, die Leser meiner Texte wissen das zwar schon – das gilt aber nicht gleichermaßen für die Teilnehmer/innen einer Diskussionsveranstaltung in einer Stadt, in der ich erst seit ein paar Jahren (wieder) lebe. Aber ich habe ja zur Genüge beschrieben, dass und warum ich mich trotzdem für meine Meinungsäußerung entschieden habe.

  4. Volle Zustimmung. Dass Ihr berechtigter Einwand aus Sicht des Kunsthistorikers von der PDF (und den Gegnern generell) als willkommene Schützenhilfe betrachtet wird, überrascht nicht.
    Warum gab es nicht auch für Ihren ersten Punkt Beifall -und zwar von den Befürwortern? Die Vernünftigen sind meist nicht die Lauten,
    und Schweigen ist eben nicht immer Gold.

  5. Lieber Doc Baumann,
    Jetzt habe auch zwei Tage „behutsam geschwiegen“. Nein, in die Diskussion über moderne Kunst will ich mich nicht einmischen, denn bei der Betrachtung moderner Objekte, denke ich mir auch öfters: „das kunst auch lassen“.
    Aber bei der Vertretung von Meinungen, vor allem bei Grundüberzeugungen unseres Zusammenlebens ist auf„rechte“ Haltung (nicht rechter, sondern in Form sachlich/kritischer Betrachtung) angesagt. Da gibt es für mich keinen „Mittelweg“.
    Gerade das Nichtansprechen von Problemen und Sorgen der Menschen in den letzten Jahren mit dem Argument, es könnte ja Wasser auf die Mühlen der alten und neuen Rechten und Rassisten sein, hat dazu geführt, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich von der Politik abgewandt hat, ein Gefühl der völligen Machtlosigkeit entstanden ist, bis hin zur Skepsis gegenüber der Politik und fast aller Medien und gipfelt in dem Begriff der „LügenPresse“. Genau diese Tabuisierung und „unter der Decke halten“ hat dazu geführt, dass diese alten Rechten wieder aus ihren Löchern gekrochen sind und inzwischen auch „ganz normale“ Bürger diesen Rattenfängern hinterherrennen. Das ist es, was mich seit einiger Zeit nicht nur ärgert, sondern was mich richtig bedenklich stimmt für die Entwicklung unserer Gesellschaft nach dem Motto „die Zukunft war früher auch schon mal besser“.
    Unsere aktuelle Wirklichkeit nüchtern betrachten und ganz sachlich, offen, ehrlich und konstruktiv darüber reden, das beugt den „falschen Ecken“ vor.
    In diesem Zusammenhang fällt mir eine Aussage unseres großen Kabarettisten Dieter Hildebrandt ein, der sinngemäß mal gesagt hat: „Unser Kopf ist nicht eckig, sondern rund, damit die Gedanken sich frei entfalten und auch mal die Richtung ändern können“.
    Mit nachdenklichen Grüßen aus München
    Herbert Becke

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