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BILD-Redaktion mit Leseschwäche

BILD-Redaktion mit Leseschwäche
BILD-Redaktion mit Leseschwäche – würde der Schriftzug des Blattes in Fraktur gesetzt, sähe er nach Vorstellung der BILD-Macher wohl ungefähr so aus / Grafik: Doc Baumann

Stellen Sie sich vor, die Printmedien würden noch die gute, alte Frakturschrift verwenden. Dann sähe der Kopf der BILD-Zeitung vielleicht so aus wie in der Abbildung oben. Sie haben Zweifel, ob da alles stimmt? Doc Baumann auch – aber er meint, bei einer BILD-Redaktion mit Leseschwäche könnte dieser Schriftzug schon so durchgehen.

Am 22.9.2018 meldete BILD auf seiner Website : „BILD liegt Akte vor. Stasi bespitzelte Meister-Fälscher Konrad Kujau“. Kujau, verstorben im Jahr 2000, hatte 1983 der Redaktion des „Stern“ einen Stapel von ihm gefälschter Hitler-Tagebücher für knapp 10 Millionen angedreht. Nach deren Entlarvung als Fälschung war der Skandal groß. Wobei nicht verschwiegen werden sollte, dass sich zuvor etliche Fachleute für die Echtheit der Manuskripte ausgesprochen hatten.

Auf der Web-Seite von BILD heißt es nun unter anderem: „Laut Akte konnten [von der Stasi] »keine feindlichen Handlungen Kujaus festgestellt« werden. Drei Monate vor der Veröffentlichung der falschen Hitler-Tagebücher stellte die DDR-Geheimpolizei die Operation ein. Der Fall Kujau – auch für die Stasi ein peinlicher Reinfall.“

Mag sein. Aber wo wir schon gerade bei peinlichen Reinfällen sind: Unter einem Foto des Umschlags eines dieser Tagebücher setzt BILD nun die Unterschrift: „Die Initialen »AH« auf den angeblichen Tagebüchern Adolf Hitlers“.

Offensichtlich ist die Kenntnis von Buchstaben bei den „Kolleg/innen“ nicht sonderlich ausgeprägt – wozu auch bei einem Blatt, das von Sensationen, Übertreibungen und Verfälschungen lebt und Fake News schon Jahrzehnte, bevor dieser Begriff geschaffen wurde, verbreitet hat?

BILD-Redaktion mit Leseschwäche
BILD-Redaktion mit Leseschwäche / Die Bildunterschrrift verrät es: Der „peinliche Reinfall“, über den sich BILD beim Stern mokiert, trifft die BILD-Redaktion noch 35 Jahre nach dem Vorfall / Foto: Markus Scholz/dpa, Screenshot der BILD-Webseite

Aber wo ist nun eigentlich der Stein des Anstoßes? Die in der einführenden Abbildung verwendete Schrift heißt „Münchner Fraktur“ – allerdings nennt man streng genommen nicht alle Schriften mit solchen Charakteristika „Fraktur“, sondern sie heißen „gebrochene Schriften“. Der Grund dieser Benennung ist, dass der Schriftzug der Schreibfeder bei einem Richtungswechsel gebrochen wird, also aus einer dicken Linie abrupt (oder auch mit langsamen Übergang) eine dünne Linie wird. Wörtlich genommen bedeutet „Fraktur“ zwar dasselbe; dennoch sind die Fraktur-Varianten nur eine Familie innerhalb der gebrochenen Schriften.

Wer mit ihnen wenig vertraut ist, kommt beim Entziffern schon mal ins Schlingern – vor allem dann, wenn Versalien, also Großbuchstaben aneinandergereiht werden. In der Abbildung ganz oben ist die Zeile „Unabhängig – Überparteilich“ auch für Menschen, die solche Schriften kaum kennen, einigermaßen lesbar. Aber „BILD“? Sieht schon irgendwie komisch aus, nicht wahr? Einer BILD-Redaktion mit Leseschwäche wäre das wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen – aber tatsächlich steht dort VILQ. (Wie es korrekt gesetzt würde, sehen Sie am Ende dieses Textes.)

Woher ich das mit der Leseschwäche weiß? Die Bildunterschrift zum Tagebuchdeckel lautet „Die Initialen »AH« auf den angeblichen Tagebüchern Adolf Hitlers“. Dort steht aber FH. Das war mir schon 1983 nach dem Erscheinen der Stern-Ausgabe aufgefallen, auf deren Cover diese Abbildung damals zu sehen gewesen war.

Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass Kujau seinerzeit auch BILD hätte hereinlegen können, ist angesichts dieser Leseschwäche recht wahrscheinlich – von wegen „peinlicher Reinfall“. Übrigens steht der „AH“-Text auch nach einer Woche noch unverändert so auf der BILD-Webseite. Der Fehler ist wohl noch keinem aufgefallen.

Dabei bedarf es nicht mal spezieller Typographie-Kenntnisse, um Kujaus Letternverwechslung zu erkennen. Es reicht schon, wenn man die Filmkomödie „Schtonk!“ von Helmut Dietl gesehen hat. Denn dort rätselt Götz George als Darsteller des Stern-Reporters Gerd Heidemann über deren Bedeutung: „FH … na klar: Führer Hitler!“

BILD-Redaktion mit Leseschwäche
BILD-Redaktion mit Leseschwäche – so müsste der BILD-Schriftzug in Fraktur-Versalien eigentlich aussehen / Grafik: Doc Baumann
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen meines Erachtens sehr interessanten Artikel! Mir hat die Fraktur-Schrift meine Oma (Gott habe sie selig…) gezeigt und ich kann sie weitgehend lesen. Aber eine gesamte Zeitung wäre heute zu umständlich.

  2. Großschreibung liegt seit einiger Zeit ziemlich im Trend. Im Idealfall sollte es die Schrift natürlich hergeben, gebrochene Schriften tun dies sicher nicht. ?
    Gutes Beispiel für die ursprüngliche Sinnhaftigkeit der Kleinbuchstaben, möchte man – zumindest im Mengentext – auch heute nicht missen.

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