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Hommage an die Schönheit

Dass Nacktheit keineswegs entblößend ist, beweist der DOCMA-­Fotobuch-Preisträger Xaver Klaußner mit seinem umfangreichen Werk „AktGedanken“. Unsere Expertin Eva Ruhland hat sich intensiv mit der sinnlichen Seite der Fotografie ­auseinandergesetzt und deren Fotobuch-Umsetzung auf Leib und Seele abgeklopft.

Wie viel Schönheit empfängt das Herz durch die Augen! Diesen Satz von Leonardo da Vinci hat der Fotograf Xaver Klaußner seinen Bildmotiven sprichwörtlich auf den Leib geschrieben. Der Preisträger des DOCMA-Fotobuch-Wettbewerbs gestaltete ein Aktfotografie-Buch der besonderen Art, indem er nicht nur die Fotos präsentierte, sondern jede Doppelseite präzise mit Bildern, Texten und Farben komponierte.

Was als experimentelle Sammlung weniger Buchseiten begann, fand nach der kontinuierlichen Arbeit eines Jahres seinen krönenden Abschluss in einem 114-seitigen Werk. Den formatfüllenden Fotos der rechten Buchseiten ordnete Klaußner linksseitig kleinere Abbildungen und sorgfältig ausgewählte Zitate diverser Autoren verschiedener Jahrhunderte zu. Im rhythmischen Austausch von Farbe und Graustufen wechseln sich Totalen, Bildausschnitte und Bearbeitungen ab.

Von Adobe Photoshop zum CEWE-Fotobuch
„Ich mag den Begriff ‚verfremdet‘ nicht, da die Bildbearbeitung ja oft das Gegenteil – nämlich eine Aussageverstärkung und Intensivierung – bewirkt“, erklärt Klaußner seine Einstellung zur Arbeit mit Photoshop. Ebendort entstanden alle Vorlagen für Titel, Intro- und Doppelseiten. Hierbei wurde mit Ebenenmontagen, Transparenzen, Masken, Filtern, Textebenen und Texteffekten gearbeitet. Die fertig gestalteten Doppelseiten hat der Fotograf maßgenau in den CEWE-Fotobuch Editor importiert.

Seine Entscheidung, einzelne Fotos in Farbe oder Schwarzweiß zu zeigen beziehungsweise Nachbearbeitungen vorzunehmen, ist? ebenso intuitiv wie die Abfolge der Buchseiten. Immer geht es um die intensivste Wirkung, und so gibt es kein verbindliches Storyboard, das den Ablauf definiert, sondern vielmehr ein Spiel von ästhetischen Fragen und nötigen Antworten, das jede Doppelseite der nächsten abfordert. Damit folgen auf farbintensive Seiten dezente Farbtöne oder Graustufen, die immer wieder im rhythmischen Wechsel mit konturbetonten High-, Low- oder auch Color-Key-Seiten stehen. Dass der eine oder andere Effekt manchmal einen Tick zu eigenständig erscheint, ist unbestritten – schließlich ist nicht nur ein schöner Körper verführerisch, sondern auch das ­Filter- und Ebenenstil-Repertoire von Photoshop.

Einklang von Bildern und Texten im Layout
Bereits mit dem Titel seines Fotobuchs „AktGedanken“ formuliert Xaver Klaußner auch dessen Konzept. Sein Buch versteht er als „eine Hommage an die Schönheit des menschlichen Körpers, an menschliche Beziehungen, verbunden mit Gedanken, die das angemessen zu würdigen verstehen“. Das Zusammenspiel von Klaußners Bildern und Texten tritt als Einheit im Layout auf, wobei sich die Fotos und Zitate formal und inhaltlich wechselseitig verstärken.

Ebenenbasierte Stilmittel des Seitenaufbaus
Kompositionen aus mehreren Ebenen sind in Photoshop ein probates Mittel, um die Vielschichtigkeit von Aussagen zu unterstreichen. Alle Bild- und Textelemente liegen im Ebenenbedienfeld idealerweise auf separaten Ebenen. Damit können die Inhalte für jede Buchseite immer wieder neu editiert und aktualisiert werden. Füllmethode und Deckkraft erlauben Überlagerungen, die Klaußner jeweils individuell anpasst.

Jede Doppelseite, die er in Photoshop komponierte, basiert auf sechs Prinzipien: Rechts das abfallende, über den Seitenrand hinausreichende Foto – manchmal pur, manchmal effektvoll nachbearbeitet: Links im Hintergrund die Fortführung des Fotos oder eines Bildausschnitts mit zarter Ebenentransparenz auf Grau. Dann zumeist oben, auf manchen Seiten aber auch unten, ein kleinformatiges, verwandtes Motiv in vordefinierter Achse und Breite. Dazu der Farbbalken im Spektrum des rechtsseitigen Hauptmotivs, angelegt als Farbverlauf, und darüber die Seitenzahl. Zu guter Letzt das Zitat mit den farblich akzentuierten, bisweilen mit Strukturen unterlegten Begriffen.

Dabei macht Klaußner durch Schriftgrößen und Fülleffekte auch die Zitate zu emblematischen Schrift-Bildern. Bei den Fotos reicht das Spektrum von der „nur belichteten“ Aufnahme bis hin zur aufwändigen Bildbearbeitung. So entsteht die Inszenierung des Motivs entweder schon beim Setting der Aufnahme und/oder mit Hilfe von Photoshop.

Aktfotos und ihre „BetrachterInnen“
Was aber ist für den Autor der Grund, „die Sicht auf die Bilder mit Worten zu lenken“? Klaußner nimmt auf diese Weise sein Publikum an die Hand, lässt es teilnehmen an den eigenen ­Gedanken und begleitet es mit behutsamer Didaktik durch das Buch.
Aus langjähriger Erfahrung weiß der Fotograf, dass die Menschen beim Betrachten von Aktfotos oft verunsichert und nahezu sprachlos reagieren. Hinzu kommt vielfach auch eine spezifische männliche oder weibliche Sichtweise, die von einschlägigen Erotik­fotos der Medienbranche beeinflusst ist und den Einstieg in die Bilder nicht unbedingt erleichtert. Während seiner vielfachen Teilnahme an Aktfotografie-Workshops und in Gesprächen mit Freunden und Publikum überprüfte Klaußner die Wirkung seiner Fotos und der Zitate immer wieder aufs Neue, um in ihrer Kombination die größtmögliche Verdichtung zu erzeugen.

Begegnungen – die Dialogstruktur des Fotobuchs
Dabei ist Klaußners Blick als Aktfotograf niemals bloßstellend oder gar obszön, sondern offenbart vielmehr auf ästhetische Weise Einblicke, die ihre sinnliche und erotische Seite oft ganz behutsam preisgeben.

Dialoge und Begegnungen finden bei der Aktfotografie in mehrfacher Hinsicht statt. So gilt es erstens, mit konkreten fotografischen Anweisungen zu Pose und Blick das Vertrauen der Modelle zu rechtfertigen, zweitens, Anspruch und Aussage der Fotos einfühlsam zu überprüfen und drittens, das Publikum entsprechend zu erreichen – idealerweise per Fotobuch, das mehr Nähe und Betrachtungszeit ermöglicht als der einmalige Besuch einer vergleichbaren Ausstellung.

Pralinen für das Auge
In gewisser Hinsicht ähnelt Xaver Klaußners Fotobuch durchaus einer Schachtel feiner Pralinen: So wäre es schlichtweg zu viel, das gesamte Buch auf einmal zu konsumieren. Es ist vielmehr ein Buch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann. Welche und wie viele Seiten man sich herauspickt, ist jeweils eine Frage von Stimmung und Gusto. Der Variantenreichtum reicht von zart bis kraftvoll, natürlich bis stilisiert oder puristisch bis poetisch.

Der Grund für die empfohlene, häppchenweise Lesart dieses ­Fotobuchs liegt darin, dass jede Doppelseite wie eine Aufmacherseite funktioniert. Was üblicherweise als Eyecatcher ein Buchkapitel einleitet, hat Klaußner in kompakter kompositioneller Abfolge aneinandergereiht. Und siehe da – es funktioniert!

AktGedanken: Das Photoshop-Prinzip

Per Lineale und Hilfslinien mit der Option »Ansicht > Ausrichten an > Hilfslinien« legte Klaußner die Layoutvorlage für die Doppelseiten an. [1] Für Schlüsselwort und Farbverlauf-Balken links greift er mit dem Farbpipette-Werkzeug Farbtöne aus dem abfallenden Foto der rechten Seite auf. Mit der Füllmethode »Luminanz« für das Hintergrundbild links erzeugt er die zarten Strukturen auf grauem Grund. Die editierbaren Textebenen werden zum Teil mit Effekten versehen [2].

AktGedanken: Vom Konzept zum Fotobuch

1 Der Einband zeigt das Buchkonzept
Die Ebenenmontage des Covers [1, 2] vermittelt bereits ­wesentliche Aspekte der Buchgestaltung: Farbe und Schwarzweiß, Überlagerungen mit Teiltransparenzen, Composings sowie die Integration von Schrift und Text – hier mit einer Helvetica Extended Ultra Light in Kombination mit dem Schriftschnitt Medium. Allerdings führt die stilisierte Wiederholung des Fotomotivs auf der Vorderseite eher zur Redundanz der Aussage anstatt zu ihrer Verstärkung. Ohne digitales Composing à la „Sandbild“ würde der Titel großzügiger wirken.

2 Tief Luft holen mit High-key!
Mit Grausstufen und High-Key gestaltet Klaußner die erste Innenseite seines Buches. [1] Optisch und inhaltlich korrespondiert sie mit der letzten Seite. [2] Luftig und leicht, mit zeichnerisch form­betontem Duktus, stellt sie das Motto des Fotobuchs vor, in dem es um sichtbare und unsichtbare Schönheit geht. Nach Dürers Worten steckt die Kunst in der Natur, und „nur wer sie heraus kann reißen (das heißt zeichnen) … der hat sie“.  Blättern wir weiter.

3 Body Art und Tanzperformance
Eine der wenigen Doppelseiten im Buch, die linksseitig mehrere Fotos darstellt, zeigt eine Serie von Szenen einer Tanzperformance. Es entsteht eine Bildgeschichte, deren Bewegungsfolge fast an Videostills erinnert. Durch die strikte Einhaltung der sonstigen Layoutkriterien fügen sich die Seiten ohne Bruch in das Buch ein.

4 Körperlandschaften
In rhythmischer Folge setzt Klaußner Doppelseiten mit Graustufen oder zarter Monochromie im Buch ein. Farb- und SW-Seiten beeinflussen einander wechselseitig. Die Entscheidung, welche Motive in Graustufen gezeigt werden, trifft der Fotograf intuitiv aufgrund der intensiveren Wirkung. Hier modellieren Licht und Schatten Körperlandschaften und Details.

5 Kompositionen im Dialog
Obwohl beide Fotos der Doppelseite auf einer symmetrischen Komposition beruhen, entsteht durch ihre Anordnung im Layout eine wunderbare Dynamik: Das kleine Motiv links verweist in seiner horizontalen Achse auf die rechte Seite mit vertikaler Struktur und leicht diagonalen Winkeln – eine klassische Dreieckskomposition. Damit unnötig: die Bewegungsunschärfe des Begriffs „in Bewegung“. Hier fehlt es an Vertrauen in die starke Wirkung von Fotos und Layout.

6 Highlights und Aufmacherseiten
Mit der beschriebenen Abfolge stiller und expressiver Seiten, von Farbe und Schwarzweiß, hat Xaver Klaußner ein höchst abwechslungsreiches Aktfotobuch gestaltet, in dem viel Liebe und Sorgfalt steckt. Wenn sich Highlight an Highlight reiht, sollte man aber vielleicht noch eins daraufsetzen: Gerade bei den Fotos, die sich über die  gesamte Doppelseite erstrecken, verschenkt die linksseitige halbtransparente Graufläche viel vom Motiv. Auch Seitenzahl, Farbbalken und Textblock dürfen mal wegfallen. Ein Vorschlag: Ab und zu allein auf die Wirkung des Fotos vertrauen und das Layout einmal nicht einhalten. Abschließend fällt auch in diesem Buch auf, dass es ein paar männliche Aktfotos mehr geben könnte.

Diesen und viele weitere Fachartikel sowie Tipps, Tricks und Workshops finden Sie in der aktuellen DOCMA-Ausgabe 45. 
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